Wissenschaft zeigt Optionen, Politik entscheidet

Was bedeutet die Digitalisierung für Arbeitsmarkt und Gesellschaft? Dieser Frage widmet sich aktuell das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Während in Österreich die wissenschaftliche Beratung für das Parlament in den Kinderschuhen steckt, hat man in Deutschland bereits jahrzehntelange Erfahrung.

Eine Lehre daraus: Die Rollenverteilung zwischen Wissenschaft und Politik muss klar sein. Erstere zeigt Möglichkeiten auf und bewertet sie, zweitere trifft die Entscheidungen, bilanziert der Leiter des Büros beim Bundestag, Armin Grunwald, im Interview mit science.ORF.at. Seinen österreichischen Kollegen attestiert er, „gleich zu Beginn Pech gehabt zu haben“.

science.ORF.at: In Österreich ist die Technikfolgenabschätzung für das Parlament gleich nach dem Start ins Stolpern geraten - wie beobachten Sie die Entwicklung aus der Ferne?

Armin Grunwald: Wir sind mit unseren österreichischen Kollegen in gutem und langem Kontakt. Ich bin froh, dass nach vielen Jahren der Diskussion auch in Österreich die Technikfolgenberatung für das Parlament gestartet worden ist. Das Konstrukt hat aber nach meiner Erfahrung ein bisschen Pech gehabt, denn gleich nach dem Start gab es Neuwahlen. Danach waren einzelne Personen nicht mehr im Parlament, die man gebraucht hätte, um das Konstrukt mit Leben zu füllen.

Armin Grunwald, Leiter des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)

Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)

Zur Person

Der Physiker, Mathematiker und Philosoph Armin Grunwald leitet das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB).

In Deutschland gibt es seit 1990 das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Bundestag. Wie genau ist der Beratungsprozess organisiert?

Armin Grunwald: Wir sind dem Forschungsausschuss zugeordnet, in dem jede Fraktion einen Berichterstatter für uns stellt. Mit diesen sechs Berichterstattern treffen wir uns ungefähr einmal im Monat. Da wird das aktuelle Geschäft besprochen, welche Studien bald fertig sind, wann sie in den Ausschuss kommen, ob wir dort auch präsentieren sollen. Das ist das Alltagsgeschäft. Zusätzlich gibt es ca. alle eineinhalb Jahre einen Prozess der Themenfindung. Alle Fraktionen und Ausschüsse des Bundestags werden angeschrieben und um Benennung von interessanten Themen gebeten. Da entsteht meist eine große Liste, die wir in engem Austausch mit dem Forschungsausschuss eindampfen.

Das klingt nach einer sehr engen Abstimmung …

Armin Grunwald: Die Themenfindung ist politisch, aber sobald wir die Themen haben, sind wir wissenschaftlich unabhängig in der Bearbeitung. Wenn wir fertig sind, berichten wir dem Forschungsausschuss oder auch anderen Ausschüssen entweder mündlich oder durch einen Bericht zum Thema.

Wie oft entsteht denn aus einem Bericht eine vertiefende Studie?

Armin Grunwald: Das ist die Regel. Wir haben 2,5 Millionen Euro jährliches Budget, davon sind etwa 1,5 Millionen für den Betrieb des Büros, Personalkosten, Miete etc. vorgesehen und eine knappe Million Euro für Gutachten. Denn nicht zu allen Themen, die wir bekommen, haben wir selbst die Expertise, wir holen auch Gutachten von Universitäten und Forschungseinrichtungen ein. Das erlaubt uns, acht bis zwölf Studien pro Jahr abzuschließen.

Welchen Themenkonjunkturen konnten Sie über die Jahre beobachten?

Armin Grunwald: In den 1990er Jahren haben das TAB vor allem Umweltfragen beschäftigt, in den 2000ern hatten wir viele Studien unter den Schlagwörtern Innovation und Medizin. Dann kam die Energiewende, und damit wurde dieses Thema dominant. Jetzt ist es das große Feld der Digitalisierung - Chancen und Risiken unter dem Schlagwort Industrie 4.0, aber auch Veränderungen in der politischen Kommunikation - Schlagwort „Social Bots“, wozu wir eine Studie gemacht haben, aber auch „Datamining“ und „Legal Tech“, also der Ansatz, juristische Prozesse automatisiert abzuwickeln.

TA für das österr. Parlament:

In Österreich ist die Technikfolgenabschätzung für das Parlament bisher nicht so richtig in Schwung gekommen. Ein erster Bericht wurde im November 2017 übermittelt und online gestellt, im Mai folgt der zweite Bericht - ob und was konkret daraus folgen soll, ist unklar. „Man arbeite an Prozessen“, heißt es aus dem Parlament.

Fließen die Studien tatsächlich auch in Gesetze ein oder produzieren Sie - überspitzt gesagt - für die Schublade?

Armin Grunwald: Beides kommt vor. Es passiert tatsächlich manchmal, dass aus Studien nichts folgt. Das kann einfach daran liegen, dass gewählt wird und im neu zusammengesetzten Parlament das Interesse für das Thema nicht mehr so da ist. Es gibt aber auch Erfolgsgeschichten, beispielsweise Plenardebatten, die auf Basis unserer Berichte geführt wurden, Gesetzesvorlagen, in die unsere Berichte eingeflossen sind. Oder auch, dass wir Ministerien zu handeln gedrängt haben. Zum Beispiel haben wir 2011 eine viel beachtete Studie zu den Folgen eines längerfristigen Blackouts der Stromversorgung gemacht. Die Ergebnisse waren erschreckend. Daraufhin wurde die Bundesregierung mit einem Maßnahmenkatalog beauftragt, um Deutschland besser auf solche Fälle vorzubereiten. Davon ist in der Zwischenzeit schon vieles umgesetzt worden.

Können Sie auf dieser Basis Erfolgsprinzipien der Technikfolgenberatung benennen?

Armin Grunwald: Meiner Erfahrung nach ist es ganz wichtig, dass man die Rollen klar einhält. Dass Politiker Wissenschaftlern nicht reinreden, wenn ihnen die Ergebnisse nicht passen. Und dass umgekehrt Wissenschaftler nicht meinen, sie wären eigentlich die besseren Politiker. Wissenschaft entwickelt Optionen, wie Zukunft gestaltet werden kann, und sie bewertet diese Optionen. Wissenschaft kann aber nicht sagen: Das ist die einzige und beste Option, sie muss jetzt genommen werden. In solche Statements würden Wertaussagen und Vorstellungen einer idealen Gesellschaft eingehen, und das wäre außerhalb des wissenschaftlichen Mandats.

Interview: Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft

Mehr zum Thema: