Tumoren mit Zähnen und Knochen

Teratome sind zumeist gutartige Geschwulste mit erstaunlichen Eigenschaften: In ihrem Innern können sich Haare, Knochen und sogar Zähne verstecken. Der Grund: Sie bestehen aus Stammzellen – und das könnte sie einmal zu einer Art Ersatzteillager machen.

Teras, das griechische Wort für „Schreckbild“ war Ende des 17. Jahrhunderts namensgebend für die meist gutartige Tumorart. Denn in den sogenannten Teratomen finden Ärztinnen und Ärzte immer wieder Gewebe, das gar nicht dort sein dürfte. Zuletzt entdeckten japanische Ärzte im Jahr 2017 sogar ein Stück hochentwickelte Gehirnmasse, umschlossen von einer dünnen Knochenschicht, in einem Teratom. Meist befinden sich Teratome im Bereich der Eierstöcke, der Hoden oder des Steißbeins. Das hat mit ihrer Entstehung zu tun.

Ö1-Sendungshinweise

Dem Thema widmen sich auch Beiträge in den Sendungen Wissen aktuell, 18.4. 13:55 Uhr und Radiodoktor - das Ö1 Gesundheitsmagazin, 18.4., 16:40 Uhr.

Kurz nach der Befruchtung einer Eizelle, wenn die genetische Information der Mutter sich mit der des Vaters verbindet, können fötale Stammzellen wandern und sich zu Teratomen entwickeln. Die Stammzellen sind Vorläufer von Ei- bzw. Samenzellen und bleiben meist dort, wo diese auch beim erwachsenen Menschen zu finden sind. Seltener wandern sie bis in den Hals oder das Gehirn.

Teratom eines Eierstocks mit Hautgewebe

Public domain, Ed Uthman,

Teratom eines Eierstocks mit Hautgewebe

„Diese Zellen sind so pluripotent, dass sie sich in jedes erdenkliche Gewebe verwandeln können, also auch in die drei Keimblätter, aus denen der Mensch aufgebaut ist. Deswegen können sich diese Zellen zu Haut, Hautanhangsgebilde wie Talgdrüsen und Schweißdrüsen entwickeln, aber auch zu Nervenzellen, Knochen und Knorpel. Auf wienerisch sind sie eine Melange aus verschiedenen Zellformationen“, sagt Wolfgang Grin, Oberarzt an der Abteilung für Frauenheilkunde der Krankenanstalt Rudolfstiftung in Wien.

Ein Zwilling im Zwilling?

Selten findet man in Teratomen ganze Homunkuli, also sehr kleine Anlagen eines kompletten Fötus. Der Verdacht, es handle sich dabei um einen Zwilling, der in den anderen Zwilling eingewachsen ist, liegt daher nahe, ist aber falsch, so der Gynäkologe. „Es ist eigentlich ein Stück von sich selbst. Der angelegte Fötus würde eins zu eins dem Ich entsprechen.“ Vor allem Frauen sind von der Tumorart betroffen. Ein Viertel aller Wucherungen am Eierstock sind Teratome. Die gute Nachricht: Fast immer handelt es sich dabei um „reife“ Teratome.

„Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie ausdifferenzierte, reife Zellen sind. Das nennen wir auch reifes oder adultes Teratom. Der einzige Unterschied ist, dass sie nicht wie Haare am Kopf sind, sondern eben an einem Ort, der untypisch ist, nämlich in einem Tumor im Eierstock zum Beispiel“, so Grin. Bei Krebsabstrichen lassen sich reife Teratome daher auch nicht feststellen, denn bis auf den ungewöhnlichen Ort unterscheidet sich das Gewebe nicht von anderem, gesundem Gewebe im menschlichen Körper.

Teratom eines Eierstocks mit Haaren und Zähnen

CC BY-SA 3.0 - Herecomesdoc

Teratom eines Eierstocks mit Haaren und Zähnen

Stammzellen reagieren auf Hormone

Ein bis zwei Prozent der Eierstockteratome sind hingegen unreif. Sie enthalten keine ausgereiften Zellen und sind potenziell bösartig. Sie werden auch „Teratokarzinome“ genannt. Reife, gutartige Teratome machen sich oft erst durch ihre Größe bemerkbar. „Im Bauch ist eigentlich relativ viel Platz. Da werden erst Raumforderungen von drei bis vier Zentimetern relevant, die dann irgendwo auf Nachbarorgane, wie die Harnblase drücken.“ Im Gehirn, wo wenig Platz ist, kann bereits ein ein Zentimeter großes Teratom Schmerzen verursachen.

Die meisten Teratome werden im Alter zwischen 15 und 30 Jahren entdeckt. Davor existiert der Tumor zwar schon, die Zellen befinden sich aber in einer Ruhephase. So wie auch die Eizellen von Frauen bereits in der Kindheit vorhanden sind, sich aber erst mit Beginn der Pubertät entwickeln. Die Stammzellen, aus denen ein Teratom entsteht, scheinen auf die hormonellen Veränderungen in der Pubertät zu reagieren – sie werden aktiv. Wie genau der dahinterliegende Mechanismus funktioniert, gibt Forschenden allerdings noch Rätsel auf.

Entfernung notwendig

Obwohl reife Teratome gutartig sind, sollten sie entfernt werden. Nach der Menopause könnte daraus sonst ein bösartiger Tumor entstehen. Wenn Teratome zu groß werden, können sie auch die Blutversorgung des Eierstocks abklemmen, was große Schmerzen verursacht. Mithilfe des vaginalen Ultraschalls kann die Frauenärztin oder der Frauenarzt reife Teratome bei der alljährlichen Vorsorgeuntersuchung finden. Über mehrere kleine Schnitte in der Bauchdecke wird der Tumor dann entfernt.

„Man ist immer bemüht, ein Restgewebe vom Eierstock zu erhalten, das gelingt einem aber oft nicht, weil ein Teratom relativ rasch das komplette Eierstockgewebe einnimmt. Dann muss man den kompletten Eierstock entfernen. Das klingt tragischer als es ist, denn der zweite Eierstock ist genug hormonelle Reserve und auch hinsichtlich der Follikel gibt es ausreichend Reserven.“ Einem Kinderwunsch stehe dadurch nichts im Weg, so der Gynäkologe.

Gewebe mit Zähnen, Haut und Haaren aus einem Teratom des Eierstocks

CC BY-SA 3.0 - Billie Owens

Gewebe mit Zähnen, Haut und Haaren aus einem Eierstock-Teratom

In den seltenen Fällen, in denen es sich um ein bösartiges Teratom handelt, wird es mitsamt den Lymphknoten dieser Körperregion entfernt. Danach folgt eine Chemotherapie. „Man kann und muss der Frau aber sagen, dass die Prognose sehr gut ist und sie eine wirklich sehr gute Chance hat, in dieser Kombination von chirurgischem Vorgehen und Chemotherapie wirklich wieder geheilt zu sein“, beruhigt Wolfgang Grin.

Was Mediziner früherer Jahrhunderte erschreckte, fasziniert Forschende heute umso mehr. Teratome sind beliebte Studienobjekte in der Stammzellenforschung. „Man kann eigentlich so ein Teratom als eine Art Ersatzteillagerfabrik des Menschen sehen, wo prinzipiell alles herstellbar ist. Wir fangen halt heutzutage noch nichts an damit.“ Grin erwartet aber schon in den nächsten zehn Jahren Forschungsergebnisse zu der Frage, wie man Stammzellen so beeinflusst, dass sie sich in die eine oder andere Richtung entwickeln.

Lena Hallwirth, Ö1-Wissenschaft

Mehr zu dem Thema: