Genozid-Darstellung von Holocaust geprägt

Der Genozid an den Armeniern, der am 24. April 1915 begonnen hat, war schon oft Gegenstand von Filmen und Büchern. Dabei werden wie bei anderen Genoziden falsche Bilder vermittelt, meint eine Expertin – denn die Darstellung von Völkermorden ist geprägt vom Holocaust.

Naziaufmärsche, das Novemberpogrom, Ghettos, Züge, Stacheldraht, Konzentrationslager, Gaskammern und Leichenberge – die Geschichte des Holocaust wird zumeist in diesen Bildern erzählt. „Die meisten Menschen haben dieses sehr vereinfachte Verständnis vom Holocaust“, sagt Rebecca Jinks, Historikerin am Royal Holloway Collage der Universität London.

Stacheldraht und Lageratmosphäre

Diese symbolische Bildsprache wird kopiert, wenn andere Völkermorde aufgearbeitet werden, erklärt Jinks: „Der Holocaust wurde zum Sinnbild des Genozids.“ Jinks analysierte Filme, Literatur und Ausstellungen zu den Völkermorden in Ruanda, Kambodscha, Bosnien und an den Armeniern. Die Parallelen in der Darstellung würden über simple Hitlervergleiche hinausgehen, sagt Jinks.

„Einige armenische Aktivisten verwenden beispielsweise auf Postern Holocaustikonographie. Die Bilder zeigen Wüste mit Stacheldraht. Aber Stacheldraht spielte keine Rolle beim Genozid an den Armeniern.“ Dass der Völkermord noch immer nicht als solcher anerkannt ist, sei hier auch relevant: „Armenische Literatur und Filme zum Genozid drehen sich oft darum, den Völkermord zu beweisen. Und das eben auch mit dieser Bildsprache.“

Auch Menschen, die auf engem Raum konzentriert sind, sind ein wiederkehrendes Motiv. So etwa im britisch-deutschen Spielfilm „Shooting Dogs“, der den Völkermord an den Tutsi in Ruanda zum Thema hat. „Man sieht einen jungen britischen Lehrer, der sich gemeinsam mit Tutsi in einer Schule verbarrikadiert. Und draußen sieht man mordende Hutu. Wir verstehen als Zuseher nicht, warum das passiert, es passiert einfach. Und das in dieser Lageratmosphäre, die wir wiedererkennen.“

“Andere“ Genozide werden schwerer erkannt

Die Symbole des Holocausts treffen nicht nur auf viele Genozide nicht zu, sie lassen auch entscheidende Fragen offen, wie etwa nach den gesellschaftlichen Voraussetzungen, die zu einem Völkermord führen.

Jinks sagt: „Wenn die Motive der Täter nicht erforscht werden, führt man die Taten auf Bösartigkeit zurück. Und weil wir uns selbst nicht für böse halten, gehen wir davon aus, dass so etwas bei uns nicht oder nicht mehr passieren kann. Genozide passieren aber oft aufgrund sehr gewöhnlicher Dinge wie beispielsweise wirtschaftlicher Krisen.“ Auch was den Holocaust selbst betrifft, ist die „Ikonographie“ verkürzt, weil sie beispielsweise die Kollaboration der Bevölkerung mit den Nazis außer Acht lässt.

Wird die Darstellung auf andere Genozide übertragen, lässt das die Spezifika und die Einzigartigkeit des Holocausts in den Hintergrund treten und macht eine weitere Gefahr auf: „Genozide, die dieser Darstellung nicht entsprechen, werden schwerer als solche erkannt. Wir sehen das etwa bei kolonialen Völkermorden oder bei den Gestohlenen Generationen in Australien.“

UNO-Definition von Völkermorden

Unter Genozidhandlungen fallen laut UNO-Definition nicht nur Tötungen, sondern auch eine „gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.“ „Entscheidend ist der Versuch, eine Gruppe ganz oder teilweise auszulöschen und das trifft auf die Gestohlenen Generationen zu“, sagt Jinks.

Nicht alle Filme, Romane und Museen reduzieren Völkermorde auf Holocaustsymbole, sagt Jinks. Es gebe auch engagierte Filme und Romane, die sich um ein tieferes Verständnis von Genoziden bemühen, aber alles, was für ein größeres Publikum gedacht ist, folgt heute dieser Darstellung um die „Wiederkennung“ zu garantieren.

Katharina Gruber, Ö1-Wissenschaft

Mehr zu dem Thema: