Für ein Grundeinkommen mit Bedingungen

Die Automatisierung bedroht Arbeitsplätze und ganze Branchen. Für den Kapitalismus, bei dem Produktion und Konsum gekoppelt sind, kann das zum Problem werden, meint der britische Wirtschaftshistoriker Lord Skidelsky.

Er spricht sich in einem Interview für ein Grundeinkommen aus – allerdings für eines mit Bedingungen. (Anm.: Das Interview wurde geführt, bevor Finnland bekanntgab, den Versuch mit einem Grundeinkommen einzustellen.)

science.ORF.at: Nutzen Sie in Supermärkten die Selbstbedienungskassen?

Robert Skidelsky: Nein. Erstens weil ich sie nicht bedienen kann (lacht) und zweitens weil ich eine Verpflichtung spüre, den Arbeitsplatz zu erhalten. Wenn die Supermarktkassiererin nicht mehr existieren sollte, würde ich entweder verhungern oder ich wäre gezwungen zu lernen, wie man die Maschinen verwendet. Bis heute hat der Konsument aber da noch die Wahl.

Robert Skidelsky ist Professor Emeritus für politische Ökonomie an der Universität Warwick und v.a. bekannt für seine dreibändige Biographie über John Maynard Keynes. Derzeit ist er Gast des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen in Wien. Am 25.4. hielt er im Radiokulturhaus die jährliche Patocka-Gedächtnisvorlesung:

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 30.4., 13:55 Uhr.

Man könnte sagen, dass einige Jobs niemals von Maschinen ersetzt werden können, wie Ärztinnen, Köche oder Bestatter … Sind Sie damit einverstanden?

Skidelsky: Ja, ich denke, dass besonders Jobs, die großer körperlicher Geschicktheit oder kognitiver Anstrengung bedürfen, nur schwer zu ersetzen sind. Aber die Frage ist, ob es genug neue Arbeitsplätze in diesem Bereich geben wird, die die Verluste der anderen ausgleichen werden. Da bin ich mir nicht sicher. Vor 20 oder 30 Jahren hätte niemand gedacht, dass man einmal LKW-Fahrer ersetzen wird können. Jetzt stehen uns die autonom fahrenden Autos bevor.

Sind Automatisierung und die Angst davor wirklich etwas Neues? Technologischer Fortschritt war immer eine Grundlage des Kapitalismus ...

Skidelsky: Die Angst, dass Maschinen die Arbeiter überflüssig machen, hat es seit Beginn der industriellen Revolution gegeben. Tatsächlich war das Gegenteil der Fall, die Mechanisierung hat indirekt mehr Jobs geschaffen und somit mehr Menschen versorgt. Wenn man also auf die Geschichte zurückblickt, ist es nicht klar, ob Roboter eine Gefahr für Jobs sind oder nicht. Wenn man aber heute sieht, wie schnell die Entwicklung voranschreitet und wie tiefgehend sie sich auswirkt, kann man sich schon fragen: Woher sollen neue Jobs kommen? Nahezu alles kann heute automatisiert werden. Wir wissen nicht, wie schnell und in welchem Umfang. Aber aus Sicht eines Arbeiters, für den Arbeit seine Existenzgrundlage bedeutet, ist es offensichtlich eine Bedrohung.

Lord Robert Skidelsky

Ursula Hummel-Berger/ORF

In den vergangenen Jahren sind viele Studien erschienen, die Prognosen abgeben, wie viele Jobs in Gefahr sind. Es gibt optimistischere und pessimistischere: Auf welcher Seite stehen Sie?

Skidelsky: Es ist sehr schwierig, das genau einzuschätzen. Die Studien unterscheiden sich in zwei Hinsichten. Zum einen quantitativ: Wie viele bestehende Jobs werden in den nächsten 25 Jahren in den entwickelten Ländern technisch ersetzt werden? Da gehen die Schätzungen von 20 bis 30 Prozent aus. Zum anderen ist die Frage, ob das wirklich einen Verlust an Jobs bedeutet, oder ob nicht auch komplett neue geschaffen werden, die diesen Verlust ausgleichen. Ich weiß nicht, ob man das wirklich beantworten kann. Ich denke aber schon, dass es zu einem Nettoverlust an Jobs kommen wird.

Die Frage ist: Warum hat es diesen Nettoverlust nicht schon in der Vergangenheit gegeben?

Skidelsky: Weil die technologische Innovation mit einem Anwachsen der Bevölkerung einhergegangen ist. Dadurch ist der Konsum stetig gewachsen, und mehr Konsum war immer verbunden mit mehr Technologie. Denn die Grundannahme der ökonomischen Literatur lautet: Menschen sind unersättlich. Ihr Konsum wird immer mehr wachsen, und das wird für immer mehr Arbeitsplätze sorgen, die immer mehr Waren herstellen. Dadurch sinken die Kosten, mit den Einkommen lassen sich die neuen Waren kaufen. Das ist das optimistische Szenario. Das pessimistische Szenario meint, dass das auch ganz anders sein könnte: Vielleicht gibt es nicht genügend neue Jobs, die wegen der Automatisierung entstehen. In diesem Falle müsste man sich eine Welt vorstellen, in der die Menschen weniger arbeiten.

Wäre das eine schlechte Welt?

Skidelsky: Nein, nicht unbedingt. Eines der Versprechen von Maschinen war ja immer, den Menschen die Last der Arbeit zu verringern und Zeit freizumachen für andere Dinge. Aber das erzeugt sehr gemischte Gefühle. Denn was werden wir tun, wenn wir mehr Freizeit haben? Für viele Menschen ist Freizeit eine Qual. Oder Faulheit. Oder der Verlust von Sinn und Ordnung.

Auch das Einkommen ist nach wie vor mit Arbeit verknüpft …

Skidelsky: Ja, direkt auf individueller Ebene, aber auch das gesamte soziale Sicherungssystem ist mit dem Arbeitsmarkt verbunden. Das zu entkoppeln stellt die Sozialpolitik vor große Herausforderungen und bedarf kreativer Lösungen. Deshalb gibt es ja die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Lord Robert Skidelsky

Ursula Hummel-Berger/ORF

Ist das Grundeinkommen aus der Sicht eines Wirtschaftshistorikers mit langem Rückblick eine Lösung?

Skidelsky: Historisch ist das ein relativ junges Thema. Aber was man aus der Wirtschaftsgeschichte lernen kann, ist folgendes: In vormodernen Zeiten hatten die Menschen mehrere Einkommensquellen. Wir glauben meistens, dass das damals vor allem Bauern waren. Dabei war Landwirtschaft eine Frage der Jahreszeiten. Und es gab immer wieder Zeiten, wo die Menschen etwas ganz anderes getan haben, etwa Textilien in Heimatarbeit hergestellt haben. Die Menschen waren damals für ihr Einkommen nicht nur von einer Quelle abhängig. So würde ich auch ein Grundeinkommen heute sehen: als zusätzlichen Bestandteil einer Reihe von Einkommensmöglichkeiten. Und nicht als etwas, das man bedingungslos verteilt, und jeder tut, was er will.

Warum nicht?

Skidelsky: Ein bedingungsloses Grundeinkommen löst zwei Einwände aus: Erstens den Vorwurf der Faulheit. Zweitens die Frage nach dem eigenen Beitrag zur Gesellschaft, wenn man etwas für nichts bekommt. Ich bin ein wenig ambivalent, was das Grundeinkommen in seiner reinen Form betrifft. Aber für ein Zusatzeinkommen, das mehr Wahlfreiheiten zwischen verschiedenen Tätigkeiten bedeutet, gibt es gute Argumente.

Sie plädieren also für ein bedingtes Grundeinkommen?

Skidelsky: Ja, ich glaube es braucht Bedingungen, die auch politisch verwirklichbar sind. Bei Referenden, man hat das etwa in der Schweiz vor zwei Jahren gesehen, lehnen Leute die Idee ab, dass man etwas bekommt und nichts dafür leistet. Sie machen sich Sorgen über eine bedingungslose Wahlfreiheit, weil sie denken, dass die Leute sich dann für Nichtstun entscheiden.

Wie könnte man der Automatisierung abgesehen vom Grundeinkommen noch begegnen?

Skidelsky: Man könnte den Prozess verlangsamen und somit Zeit gewinnen, damit sich die Menschen anpassen können. Aber es gibt nicht nur die Gefahr, dass die Menschen ihre Existenzgrundlage verlieren könnten. Die Arbeit ist ein enorm wichtiger Teil der menschlichen Existenz. Es ist nicht so, dass die Menschen immer nur gezwungen wurden zu arbeiten, sondern sie hat ihrem Leben auch Sinn verliehen, ihnen Anerkennung, Gemeinschaft und Befriedigung verschafft. Wenn man diese Arbeit beschneidet, verliert man nicht nur Einkommen, sondern auch etwas sehr Grundlegendes – nämlich was es bedeutet ein Mensch zu sein. Und das ist die zweite Quelle der Angst.

Lord Robert Skidelsky

Ursula Hummel-Berger/ORF

Die Menschen konsumieren auch sehr gerne. Insofern scheint die ökonomische Annahme der Unersättlichkeit richtig zu liegen …

Skidelsky: Die Frage ist, ob diese Unersättlichkeit tatsächlich ein wesenhafter Zug des Menschen ist. Wenn man die Geschichte betrachtet, sieht man, dass das nicht stimmt. Tausende Jahre lang hat es überhaupt keinen technischen Fortschritt gegeben, auch keinen von Konsum. Das ist eine schlechte Nachricht für die Werbeindustrie. Denn deren Aufgabe ist es, Unzufriedenheit zu schaffen und das Versprechen zu geben, dass man diese Unzufriedenheit beseitigen kann, indem man etwas kauft. Natürlich ist das Gegenteil der Fall, man wird noch unzufriedener und will noch etwas anderes. Das ist, was die Werbeindustrie macht, und deshalb würde ich sie besteuern. Werbung sollte als besteuerbare Aktivität behandelt werden und nicht als Abschreibposten und Betriebsausgabe.

Die Werbung weckt zwar Begehren, aber diese sind dennoch real …

Skidelsky: Ja, aber es ist ja kein Zeichen von Fortschritt, wenn wir immer neue Bedürfnisse entwickeln, damit der Kapitalismus am Leben bleibt. Kapitalismus ist nichts Ewiges. Seine Funktion war es, die Welt mit Kapitalgütern zu füllen. Wenn es genügend Kapitalakkumulation gibt, um die vernünftigen Lebensbedürfnisse zu befriedigen, wozu brauchen wir da noch Kapitalismus? Wir wissen nicht, was an seine Stelle tritt, denn der alte Kommunismus war ihm sehr ähnlich: Beide waren Maschinen-Zivilisationen. Maschinen und die stets wachsende Automatisierung auf Kosten anderer Dinge verbinden die beiden Wirtschaftssysteme. Deshalb sollt man sich ein Leben jenseits des Kapitalismus anders vorstellen als wie der alte Sozialismus oder Kommunismus.

Es gibt den bekannten Satz „Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus.“ Sehen Sie das auch so?

Skidelsky: Unglücklicherweise wird es immer einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen. Wir haben die Natur sehr stark belastet, und nun übt sie in gewisser Weise Rache, wenn wir etwa an Klimaerwärmung, Verschmutzung oder Erschöpfung natürlicher Ressourcen denken. Ich denke, es gibt dafür natürliche Grenzen, und die könnten schneller erreicht sein, als unsere Vorstellungen eines „Jenseits des Kapitalismus“ reichen. Im Moment haben wir keine Alternativen dazu, und mit dem Kapitalismus sind Ideen verbunden wie Freiheit, persönliche Wahl und andere liberale Werte. Aber ich glaube, man könnte diese Werte auch ohne Kapitalismus haben, wenn auch nicht ohne Privateigentum. Wobei es Privateigentum schon vor dem Kapitalismus gegeben hat. Kapitalismus ist ein System, in dem alles zur Ware wird, gekauft und verkauft werden kann, inklusive des Menschen. Und darauf könnte man verzichten. Aber es fehlt uns noch die Phantasie, uns eine Welt vorzustellen ohne Supermärkte, Konsumdruck und ständiger technologischer Innovation.

Interview: Lukas Wieselberg, science.ORF.at

Mehr zu dem Thema: