Wenig Interesse der Forschung

Tausende Menschen erkranken jedes Jahr in Österreich an Borreliose. Trotzdem wird in die vor allem durch Zecken übertragene Krankheit wenig investiert. Der Tenor: Forschung und Behandlung „lohnen sich nicht“ - das könnte aber ein Trugschluss sein.

Sie sind länglich, ähneln einer Schraube, und gehören nicht unbedingt zu den Schnellzündern unter den Krankheitsüberträgern: Borrelien dringen langsam, etwa drei Millimeter pro Tag, in den Körper ein und vermehren sich im 24-Stunden-Zyklus. Ebenso langsam reagiert auch die Immunabwehr. Ein bis zwei Wochen nach dem Stich durch eine Zecke oder - in selteneren Fällen - eine Mücke bildet sich bei vielen, aber nicht allen Betroffenen ein kreisförmiger roter Fleck, die sogenannte Wanderröte. Später bekommen manche leichtes Fieber, Kopfschmerzen und Herzklopfen - Symptome einer leichten Grippe.

Schnelle Behandlung, wenig Geschäft

Ö1 Sendungshinweis:

Über das Thema berichtet auch das Mittagsjournal am 30.4.2018.

Im besten Fall wird die Borreliose schon in diesem Stadium diagnostiziert, dann sind Antibiotika die beste Behandlungsmethode - allerdings wirken sie nicht immer so gründlich wie angenommen, sagt der Präsident der Deutschen Borreliose Gesellschaft, Ortwin Zais. „In der landläufigen Meinung unter Medizinern ist die Borreliose mit zwei oder drei Wochen antibiotischer Therapie ausbehandelt. Alles, was danach an Problemen, Symptomen und Erkrankungen bei den Patienten besteht, kann nach Meinung dieser Mediziner nicht mehr mit der Borreliose zusammenhängen.“

Er halte das aber für einen fatalen Trugschluss, so Zais im Interview mit Ö1 anlässlich der Europäischen Lyme-Borreliose Konferenz in Villach. Er führe nämlich dazu, dass die Borreliose in Wissenschaft und Industrie fast keine Rolle spiele: „Weil mit drei Wochen eine Erkrankung auszubehandeln, heißt: Damit ist auch das Geschäft erledigt.“

Erreger können sich abkapseln

Eine Zecke auf einem Blatt

APA/dpa-Zentralbild/Patrick Pleul

Ein Drittel aller Zecken in Österreich trägt Borrelien in sich, am stärksten belastet sind Zecken in Vorarlberg.

Das ist auch beim Kongress in Villach zu sehen, wo man die ausstellenden Unternehmen an einer Hand abzählen kann. Im Kongress-Programm findet sich kein einziges Logo einer Pharmafirma, ganz im Unterschied zu anderen ärztlichen Fortbildungen. Dabei sei die Borreliose eine heimtückische Krankheit, kann unentdeckt oder falsch behandelt Gelenke ebenso schädigen wie Organe und sogar das Nervensystem, so Ortwin Zais: „Die Erreger versuchen, nicht vom Immunsystem oder von Antibiotika erreicht zu werden, sie können sich abkapseln und so Monate oder sogar Jahre bis zum nächsten Ausbruch überdauern - das macht auch die Schwierigkeit aus, Borreliose-Erkrankungen zielführend zu behandeln.“

Das bestätigt auch der Mediziner Albin Obiltschnig, Co-Präsident der internationalen Konferenz in Villach. Er war selbst schwer an Borreliose erkrankt - mit immer wieder kehrenden Schüben: „Ich hatte eine Lähmung des Auges, ich konnte die Hände nicht mehr bewegen, und ich habe immer gespürt, wenn die Erreger wieder aktiv werden. Dann habe ich immer noch einmal Antibiotika genommen. Bis ich das Gefühl hatte: Jetzt ist es in Ordnung.“

Zecke zur Untersuchung mitbringen

Heute arbeitet Albin Obiltschnig wieder als Unfallchirurg. Noch heute kommen Patienten und Patientinnen nach einem jahrelangen Leidensweg zu ihm, etwa weil Antibiotika nicht alle Borrelien erwischt haben, die Erreger sich abgekapselt haben. „Oder er noch andere Keime hat, die ähnliche Symptome machen, und danach muss man suchen, das macht aber fast niemand“, so Obiltschnig.

Eine FSME-Impfung wird verabreicht.

dpa/Tobias Hase

Die Impfung schützt gegen FSME, nicht gegen Borreliose. Wurde man gestochen, sollte man die Zecke zur Analyse mitbringen.

Umso wichtiger sei es aufzuklären - Ärzteschaft und Patienten. Die Schätzungen zu Borreliose in Österreich liegen zwischen 16.000 und 70.000 Fällen pro Jahr. Genauere Zahlen gibt es zu den Überträgern: Nach einer Studie der Medizinuni Wien trägt jede dritte Zecke Borrelien in sich. Zum Vergleich: Der gefährliche Erreger der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) wird bei rund jedem 100. Tier gefunden. Immunologen der Medizinuni Wien raten deshalb, sobald wie möglich nach einem Zeckenstich zur Untersuchung ans Institut für Hygiene zu kommen, um – wenn wirklich eine Infektion vorliegt – sofort die Behandlung zu starten. Die Zecke sollte man mitbringen, um sie auf die unterschiedlichsten Krankheitserreger untersuchen zu können.

Langwierige Suche nach Impfung

Neue Ansätze zur Erforschung der Borreliose muss man suchen - so gibt es etwa eine Forschungsgruppe an der Universität Ulm, die sich genetischen Veränderungen bei Immunzellen von chronischen Patienten widmet (Bericht dazu in Wissen Aktuell). Vor allem im Vergleich zu FSME wird an Borreliose wenig geforscht. Die Datenbank des Wissenschaftsfonds FWF zeigt 14 relativ aktuelle Projekte zu FSME an, zu Borreliose werden drei Projekte ausgeworfen, alle aus den 1990ern. Eine Rückfrage bei der Medizinuni Wien ergibt, dass man dort an einem EU-Projekt zur Frühdiagnose mitarbeitet und weitere Einreichungen vorbereitet.

Auch in Sachen Impfung sieht es bei der Borreliose vergleichsweise düster aus: Während es gegen FSME schon lange eine viel beworbene Impfung gibt, befindet sich die Borreliose-Impfung seit Jahrzehnten im Entwicklungsstadium. Derzeit ist gerade das österreichisch-französische Impfstoffunternehmen Valneva (vormals Intercell) dabei, einen klinischen Impfstoffkandidaten zu entwickeln. Zeithorizont für die Marktreife: falls überhaupt, mindestens fünf Jahre.

Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft

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