Wie Österreich „offiziell“ klingt

Österreich hat lange gebraucht, um für den Nationalsozialismus Verantwortung zu übernehmen. Das spiegelt sich auch in der Musik wider, die bei offiziellen Gedenkveranstaltungen gespielt wurde - 1988 wurde dabei zum Wendepunkt, wie Forscherinnen berichten.

Die Musikwissenschaftlerin Anita Mayer-Hirzberger und ihr Team haben nicht nur Veranstaltungen zum „Anschluss-Jahr“ 1938 ins Visier genommen, sondern auch Feiern anlässlich der Entstehung der Ersten Republik 1918 sowie anlässlich des Jahres 1945, als die Zweite Republik Österreichs ausgerufen wurde, analysiert. „Wir machen damit musikalische Zeitgeschichte“, so die Projektleitern.

science.ORF.at: Am 12. März 2018 wurde bei der Veranstaltung „80 Jahre Anschluss“ Musik vom im KZ ermordeten Komponisten Pavel Haas sowie vom vertriebenen Egon Wellsz gespielt. Was sagt das aus?

Anita Mayer-Hirzberger: Das ist kein Zufall. Man versucht, denke ich, bewusst Musikern, die während des Nationalsozialismus in Österreich verstummen mussten, eine Stimme zu verleihen und ihnen ein musikalisches Denkmal zu setzen. In diesem Sinne kann man auch den Auftritt der Künstlerin Susan Philipps interpretieren, die mit Gläsern die zerbrechlichen Stimmen der Verfolgten erklingen ließ. Das zieht sich mittlerweile durch mehrere Veranstaltungen. Auch bei den Feierlichkeiten zum 4. Mai, am Tag gegen Gewalt und Rassismus, ist Musik von Egon Wellesz angekündigt, ebenso wie von Walter Arien, ein Komponist, der bei den letzten Feiern auch als Zeitzeuge aufgetreten ist. Seit 1998 scheint das in den Programmen üblich geworden zu sein.

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Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Mittagsjournal um 12:00 am 2.5.

Warum 1998?

Mayer-Hirzberger: Eigentlich begann die Veränderung bereits 1988. Hier hat man besonders stark 1938 gedacht und das Jahr ins Zeichen der geschichtlichen Aufarbeitung gestellt. Man hat sich hier genau angesehen, welche Komponisten vertrieben oder nicht gespielt worden waren. Diese Musik wurde zwar nicht symbolhaft, aber man hat das Repertoire bei offiziellen Anlässen um deren Stücke erweitert.

Was hat sich geändert?

Mayer-Hirzberger: Man spielt Komponisten wie Anton Webern und Hanns Eisler, deren Musik bereits vor dem Anschluss Österreichs in manchen austrofaschistischen sowie auch in christlich-sozialen Kreisen als nicht österreichisch galt. Sie wurden als kulturbolschewistisch bezeichnet - damit meinte man links und mitunter jüdisch. Die Nazis haben ihre Musik dann als artfremd bezeichnet und verboten. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges dauerte es, bis diese Komponisten bei offiziellen Anlässen wieder gespielt wurden. Das gilt auch für Pavel Haas, der erst seit den 1990er Jahren wieder zu hören ist. Heute zählt er zu den wichtigen Komponisten.

Abseits der staatlichen Veranstaltungen findet man in dieser Zeit zudem auch Musiken der Roma, die hierzulande ebenfalls während des Nationalsozialismus verfolgt wurden, was man lange ignoriert hat. Das heißt, 1988 öffnet sich die Vorstellung darüber, was österreichische Musik ist. Das ging freilich nicht von heute auf morgen, aber der Prozess wurde damals in Gang gesetzt.

Sie sehen sich in ihrem Forschungsprojekt nicht nur Gedenkfeiern zu 1938 an, sondern auch zu 1918 bzw. 1945. Gibt es diesen Wandel auch hier?

Mayer-Hirzberger: Ja, auch bei der Feier zu „80 Jahre Republik“ im Herbst 1998 wurden fünf geistliche Lieder von Anton Webern sowie auch Hanns Eisler gespielt, der ins Exil ging. Man hat damit bewusst mit dem bis dahin üblichen Ritus gebrochen.

Was wurde zuvor gespielt?

Mayer-Hirzberger: Sieht man sich die Gedenkfeiern zu den vergangenen Achterjahren an, scheint seit der Ersten Republik ein bestimmter Ritus auf. Erstaunlich ist, dass sich dieser sowohl hinsichtlich der Dekoration als auch der Musik zwischen 1928 und 1978 nicht geändert hat.

So gibt es traditionell eine Fanfare, wenn ein wichtiger Politiker einzieht. In der Mitte gibt es einen Choral - also festliche Musik - und zum Schluss die jeweilige Hymne, die zu dem Zeitpunkt gegolten hat. Genaue Werke sind hier nicht bekannt.

Alexander van der Bellen beim Gedenkakt zum 12. März 1938/2018

APA/HANS PUNZ

Alexander van der Bellen beim Gedenkakt zum 12. März 1938/2018

Offensichtlich war ein Bläserensemble bei derartigen Anlässen üblich. Es ist sogar so, dass der Bläserchor der Stadt Wien bei Festakten der Ersten Republik genauso gespielt hat wie während des Nationalsozialismus und danach. Das heißt, dieses Ensemble ist in allen politischen Zeiten als repräsentative Musik aufgetreten. Diese Bläsermusik ist uns bis heute erhalten geblieben, wenngleich es den Chor in dieser Form heute nicht mehr gibt.

Dass man diesen festgefahrenen Ablauf 1998 mit Hanns Eisler und Anton Webern bricht, ist schon ein starkes Statement. Man hätte schließlich auch einen der Tonheroen wie Mozart oder Strauß nehmen können.

In Ihrer Forschung beschreiben Sie auch, wie sich Politiker an den Komponisten abgearbeitet und sie für eigene Ideologien instrumentalisiert haben. Wie etwa an Franz Schubert - inwiefern?

Mayer-Hirzberger: Nehmen wir beispielsweise das Jahr 1928. Es stand im Zeichen des Todestages von Franz Schubert. Dabei wird er von allen Parteien in den politischen Reden für ihre Zwecke interpretiert. Sozialdemokraten sehen in ihm den Armen und plädieren dafür, dass es nie wieder Künstler oder generell Menschen geben soll, die in einer derartigen Armut leben müssen. Die Christlich-Sozialen zeigen Schubert wiederum als sehr gläubigen Menschen, und deutschnational orientierte Parteien haben ihn vorrangig als Deutschen instrumentalisiert.

Wobei man dazusagen muss, dass die meisten ihn und seine Musik zu dieser Zeit bewusst als deutsch-österreichisch bezeichnet haben, um ihren Willen zum Anschluss an Deutschland zu verstärken, den fast alle Parteien 1928 hatten.

Nach 1945 wiederum wird Schubert dann die ideale Figur, um das Österreichische wieder hervorzukehren. Man hat mit ihm sehr stark das biedermeierliche Wien assoziiert - das Ländliche in der Stadt, die Idylle, das gemütliche. Es geht ja immer darum, wie man die Klischees auslegt.

Warum ist Musik für die Identität eines Landes so wichtig?

Mayer-Hirzberger: Musik spricht die Gefühle an und kann dadurch bestimmte Bilder und Vorstellungen verstärken. Man merkt das bei Sportveranstaltungen wie etwa den Olympischen Spielen. Wenn die Hymne ertönt, brechen viele Sportler in Tränen aus. Voraussetzung ist aber, dass man die Symbolik der Musik versteht, sonst funktioniert es nicht. Ist die Bedeutung aber klar, ist sie ein gutes Mittel, um bestimmte ideologische Botschaften zu unterstreichen oder bestimmten Ereignissen Bedeutung zu verleihen. Hier untersuchen wir etwa auch die Musik, die bei offiziellen Gedenkveranstaltungen ebenso wie bei Rahmenveranstaltungen in den sogenannten „Achterjahren“ eingesetzt wurde.

Sie geben der Forschung dabei den Titel „Wie klingt Österreich?“. Inwiefern kann man aus diesen offiziellen Veranstaltungen auf den Klang Österreichs schließen, der ja noch sehr viel umfangreicher ist als Mozart, Hanns Eisler und Co.?

Mayer-Hirzberger: Wir schauen uns nicht nur diese Veranstaltungen an, sondern auch, wie etwa in den Medien über 1918, 1938 und 1945 berichtet wurde und vor allem mit welcher Musik die Berichte unterlegt wurden. Aus all dem sehen wir uns an, was man mit österreichischer Musik verbindet. Das ist interessant, weil es auch etwas über die Zeitgeschichte Österreichs aussagt. Wir sind aber jetzt gerade erst dabei, die früheren Jahre wie etwa 1968 aufzuarbeiten.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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