Bis 2045 jeder Vierte fettleibig

Schon heute sind weltweit 650 Millionen Menschen fettleibig. Wenn sich nichts ändert, könnte es 2045 fast jeder Vierte sein, so Forscher bei einem internationalen Kongress in Wien. Wie schwer es ist, die Epidemie aufzuhalten, zeigen diverse Studien.

Nicht Mangel, sondern Überfluss ist heute weltweit das größere Problem. Ungesunde Ernährung und Übergewicht sind die häufigsten Ursachen für Krankheiten oder vorzeitigen Tod (Global Burden of Disease Study, 2013/2015). Nicht nur in reichen Ländern macht das Überangebot an ungesunden und kalorienreichen Nahrungsmitteln die Menschen immer dicker und kränker. 2016 waren laut der Weltgesundheitsorganisation WHO (Factsheet Obesity and Overweight) 1,9 Milliarden Erwachsene übergewichtig, davon 650 Millionen sogar fettleibig.

Besonders drastisch ist die Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen: Heute sind weltweit 380 Millionen zu dick. Der Anteil der Fettleibigen hat sich dabei in den letzten vier Jahrzehnten verzehnfacht. Auch in Österreich ist derzeit etwa jeder vierte Jugendliche übergewichtig. „40.000 Zehn- bis 18-Jährige sind sogar fettleibig“, wie Friedrich Hoppichler, Präsident der Österreichischen Adipositas Gesellschaft, in einer Aussendung anlässlich des europäischen Adipositas-Kongresses (European Congress on Obesity 2018) erklärt.

USA besonders betroffen

Die Prognosen, die auf der internationalen Veranstaltung präsentiert werden, liefern einen erschreckenden Ausblick. Denn die Zahl der übergewichtigen und fettleibigen Menschen wird weiter drastisch steigen - sollte sich nichts Entscheidendes ändern.

So hat ein Team auf Basis von Zahlen aus etwa zehn Ländern hochgerechnet, dass bis 2045 im weltweiten Durchschnitt fast ein Viertel (22 Prozent) aller Menschen fettleibig sein werden. Heute sind es etwa 14 Prozent. In manchen Ländern - wie etwa in den USA - werden es sogar mehr als die Hälfte sein. Damit einher gehen schwere Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes. Schon heute leiden 425 Millionen Menschen darunter. Bis 2045 könnten es zwölf Prozent der Weltbevölkerung sein.

Starkes Verlangen

Forscher sind sich einig, dass es höchste Zeit ist, die rollende Epidemie zu stoppen oder wenigstens einzudämmen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Wie schwer es ist, Übergewicht wieder loszuwerden, zeigt unter anderem eine Präsentation von britischen Psychologen in Wien: Sie haben verglichen, wie schlanke, fettleibige und ehemals übergewichtige Teilnehmer auf kalorienhaltiges Essen wie Pizza oder Schokolade reagieren. Denn schon der Anblick der fetten und süßen Speisen löst bei vielen ein drogenähnliches Verlangen aus - das kann leicht dazu führen, dass man das Maß verliert.

Wie die aktuellen Experimente zeigen, reagieren Übergewichtige am stärksten auf solche Reize: Sie produzieren mehr Speichel und ihr Herz schlägt schneller. Bei den von Natur aus Schlanken fanden die Forscher keine messbaren Veränderungen. Bei jenen, die dauerhaft abgenommen hatten, war sogar ein gegenteiliger Effekt feststellbar.

Zwang zum Ungesunden

Wie gut das Spiel mit dem menschlichen Verlangen nach Fettem und Süßen funktioniert, weiß auch die Lebensmittelindustrie. Nicht grundlos steckt sie Millionen in Werbekampagnen für kalorienhaltige Snacks und Säfte. Das illustriert eine ebenfalls nun in Wien vorgestellte britische Studie mit über 3.300 Jugendlichen im Alter von elf bis 19 Jahren.

Die Forscher hatten erhoben, wie lange sich die jungen Menschen vor dem Fernseher oder Streaming-Angeboten aufhalten. Im Durchschnitt waren es 21 Stunden pro Woche, bei den Fettleibigen 26. Und die Junk-Food-Werbung, die sie auf diese Weise sahen, zeigte auch direkte Wirkung. Für jeden zusätzlichen einschlägigen Spot pro Woche aßen die Jugendlichen mehr Salziges, Süßes oder Fettes - im Ausmaß von 350 Kilokalorien. Besonders anfällig waren jene aus sozial schwachen Familien. Viele der jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten außerdem, dass sie das Gefühl hätten, ungesund essen zu müssen.

Gemüse als Ausweg

Wenn man Gewicht verlieren bzw. weniger essen möchte, muss man also den „inneren Schweinehund“ bzw. das eigene Verlangen überwinden und außerdem den äußeren Versuchungen und Einflüssen standhalten. Gibt es denn überhaupt realistische Wege aus der Essensfalle? Ansetzen sollte man am besten schon bei den Kindern und Jugendlichen, so Hoppichler. Von klein auf sollte weniger tierisches Eiweiß, Zucker und Fett, dafür mehr Gemüse angeboten werden. Natürlich braucht es dafür die Erwachsenen als Vorbilder. Deswegen müsse oft das Verhalten der ganzen Familie analysiert werden: Werden zu viele zuckerhaltige Limonaden getrunken und Fertiggerichte konsumiert? Wie sieht es mit Sport aus?

Sich dauerhaft maßvoll und gesund zu ernähren, ist im Kampf gegen Übergewicht in der Regel jedenfalls wirksamer als jede Crash-Diät, wie Ernährungsexperten immer wieder betonen. Diesen Umstand unterstreicht eine weitere Untersuchung, die beim Wiener Kongress vorgestellt wird: Forscher aus den Niederlanden haben dafür 9.600 Frauen und Männer 30 Jahre lang (1986 bis 2016) begleitet, ihr Essverhalten aufgezeichnet und regelmäßige Gesundheitschecks durchgeführt.

Jene, die sich vorwiegend pflanzlich ernährten und nur selten bzw. wenige tierische Produkte zu sich nahmen, waren seltener übergewichtig, hatten weniger Körperfett und schlankere Taillen. Dafür mussten sie weder streng vegetarisch noch vegan leben. Laut den Forschern reicht es, Fleisch und andere tierische Lebensmittel möglichst häufig durch Gemüse, Obst und andere pflanzliche Lebensmittel zu ersetzen.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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