Auch die Schiffe werden autonom

Während selbstfahrende Autos ihre ersten Versuche machen, steht die nächste Verkehrsrevolution vor der Tür: autonome Schiffe. In Finnland wurde soeben ein großes Testgebiet im Meer eröffnet, und bald könnte das erste automatische Containerschiff starten.

In der 170 Quadratkilometer großen Testzone vor der Südwestküste Finnlands könnte es demnächst sehr geschäftig zugehen. Drohnen, die übers Wasser gleiten und den autonomen Schiffen Daten über mögliche Gefahren in der Umgebung liefern, sind eines von mehreren Szenarien, die Päivi Haikkola entwickelt. „Es könnten aber auch Minischiffe sein, die Sensoren testen, oder große Containerschiffe, die mit verschiedenen Arten von autonomem Fahren experimentieren“, so die Leiterin von One Sea in Helsinki, einer Allianz von Firmen aus der Schiffindustrie, die das Testgebiet betreibt.

Illustration eines künftigen selbstfahrenden Schiffs

Rolls Royce

Illustration eines künftigen selbstfahrenden Schiffs

Ohne menschliches Zutun

Noch ist das Zukunftsmusik, aber die Fortschritte von Digitalisierung, Robotik und Künstlicher Intelligenz sind in der Schifffahrt schon heute atemberaubend: Vor einem Monat berichtete der finnische Konzern Wärtsilä vom ersten vollautomatischen Andockmanöver eines Fährschiffs in einem norwegischen Hafen. Das Schiff ist 85 Meter lang und trägt üblicherweise bis zu 300 Menschen und 76 Autos. Die Software berechnete die zahlreichen Faktoren wie Wind- und Strömungsgeschwindigkeit, Wassertiefe, Meeresboden etc. und legte von selbst an - freilich noch unter Aufsicht eines Kapitäns an Bord.

Der norwegische Düngemittelhersteller Yara hat soeben ein Containerschiff in Auftrag gegeben, das frühestens in zwei Jahren komplett ohne menschliches Zutun funktionieren soll. Das Schiff soll Dünger von einer Produktionsstätte im Inland über Wasserwege 57 Kilometer weit bis zu zwei Tiefwasserhäfen bringen. Das Be- und Entladen soll dabei genauso vollautomatisch vor sich gehen wie die Schiffsfahrt, wie auf dem Promovideo von Yara zu sehen ist:

Verschiedene Grade von „Autonomie“

Die Vorteile liegen laut der Expertin Haikkola auf der Hand. Zum einen seien das ökonomische, denn autonome Schiffe sind - zumindest laut Theorie - effizienter: Sie würden weniger Unfälle verursachen - nach heutigen Schätzungen basieren rund 80 Prozent aller Schiffsunfälle auf menschlichen Fehlern - und weniger Treibstoffe verbrauchen. Und das könnte den Schiffsverkehr, einen vergessenen Umweltsünder, auch in Sachen Ökologie und Klimaschutz verbessern.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 1.6., 12.00 Uhr.

Was „Autonomie“ bei Schiffen bedeutet, ist aus heutiger Sicht noch gar nicht so klar. Es gibt hier eine große Variabilität und Bandbreite, sagt Haikkola, „Das reicht von Schiffen mit einer Besatzung wie aktuell üblich, die durch neue Technologien, Kameras und Sensoren eine zusätzliche Entscheidungshilfe für Manöver bekommt, über ferngesteuerte Schiffe mit reduzierter Mannschaft bis zu komplett besatzungslosen Schiffen, die computergesteuert und mit Hilfe von Satellitendaten navigieren.“

Das Interesse an Roboterschiffen ist jedenfalls riesengroß, alle führenden „Seefahrernationen“ wie Norwegen, Großbritannien, die Niederlande, Deutschland, China und die USA sowie alle großen Schiffsbauer und Logistikunternehmen arbeiten daran. Ein wichtiger Industriepartner ist Rolls-Royce, das nicht nur Luxusautos für Hochzeiten im britischen Königshaus herstellt, sondern auch Triebwerke und andere Bestandteile für die Luft- und Schifffahrt. Der Konzern testete im Frühjahr 2017 im Hafen von Kopenhagen ferngesteuerte Schleppdampfer und ist Teil von One Sea.

Raum mit der Fernsteuerung des Schleppers

Rolls Royce

Die Fernsteuerung des Schleppers

Eine internationale Frage

Bei selbstfahrenden Schiffen geht es aber nicht nur um technologische Fragen. Mindestens ebenso wichtig sind die Regeln und Gesetze. Und hier ist die Situation ganz anders als beim KFZ-Verkehr. Denn der Großteil der Verkehrsflächen ist kein nationales Gewässer, sondern internationales - insofern braucht es internationale Lösungen.

Dafür zuständig ist die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO), die zu den Vereinten Nationen (UNO) gehört und in London beheimatet ist. Vor wenigen Tagen hat sie getagt und die ersten Schritte einer Regulierung der autonomen Schifffahrt eingeleitet. Ein Prozess, der noch sehr lange dauern wird - denn bei der IMO müssen sich alle einig sein, und die Länder haben sehr unterschiedliche Interessen.

science.ORF.at war Teil einer Studienreise, die Anfang der Woche auf Einladung von Austrian Cooperative Research (ACR) nach Helsinki führte.

Dennoch hält Haikkola die Internationalität des Schiffverkehrs für eine Stärke, die im Gegensatz zur Situation im Straßenverkehr steht: „Die Hersteller arbeiten an ihren eigenen Autos, die Länder an ihrer eigenen Infrastruktur, und das führt dazu, dass die Technologien nicht immer zueinander passen. In unserem Projekt arbeiten wir an Standards, damit alle Schiffe miteinander kommunizieren können. Das ist zwar auch bei Autos erwünscht, aber momentan kommunizieren die nur im eigenen Netzwerk und nicht mit den Autos anderer Hersteller", so Haikkola, die bei dem Treffen in London dabei war.

Raum mit der Fernsteuerung des Schleppers

Rolls Royce

Der Kontrollraum könnte auch noch etwas futuristischer ausfallen - eine Vision von Rolls-Royce

Erste Anwendungen nahe den Küsten

Dass sich die IMO auf internationale Regeln einigen wird, davon ist Haikkola überzeugt. Nicht zuletzt wegen der Vorschläge, die ihre eigene Allianz aus Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen, One Sea, entwickelt. Mit dabei sind ABB, Cargotec, Ericsson, Meyer Turku, Tieto und nicht zuletzt Google - das in Kooperation für Rolls-Royce Künstliche Intelligenz für die Wahrnehmungs- und Detektionssysteme liefern soll, die auf hoher See für selbstfahrende Schiffe notwendig sind. „Unsere Partner sind so stark, dass wir hoffen, dass andere unseren Vorschlägen folgen werden“, sagt Haikkola.

Die Vorschläge, die bis 2025 in dem Projekt sowohl technologisch als auch regulatorisch entwickelt werden, sollen dabei sehr vielfältig ausfallen. Es werde nicht die eine Lösung geben, sondern eine Vielzahl an Lösungen, die idealerweise miteinander kompatibel seien. Die ersten wirklich funktionierenden vollkommen autonom fahrenden Schiffe erwartet Haikkola im küstennahen Bereich - etwa wie im erwähnten Beispiel des Düngemittelproduzenten im Zubringerverkehr oder zwischen schwach besiedelten Inseln, die durch selbstfahrende Fähren miteinander verbunden werden könnten.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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