Als der Tag nur 18 Stunden hatte

24 Stunden hat der Tag bekanntlich, aber das war nicht immer so: Vor 1,4 Milliarden Jahren dauerte eine Erdumdrehung bloß 18 Stunden, wie Geologen herausgefunden haben. Schuld daran war und ist: der Mond.

Die Tage auf der Erde werden länger. Für alle gestressten Zeitgenossen wäre diese Erkenntnis, nachzulesen diese Woche im Fachjournal „PNAS“, im Prinzip eine gute Nachricht. Nur leider merken wir wenig davon. Denn der Vorgang ist extrem langsam, er wird erst in geologischen Zeitskalen sichtbar.

Erstaunlich immerhin, dass man die in der „Tiefenzeit“ herrschenden Verhältnisse überhaupt rekonstruieren kann, lauern bei diesem Unterfangen doch einige Komplikationen, wie nun der Geologe Stephen Meyers und der Astronom Alberto Malinverno in ihrer Studie berichten.

Der Mond etwa bewegt sich gegenwärtig 3,82 Zentimeter pro Jahr von der Erde weg. Extrapoliert man man diese Bewegung in die Vergangenheit, dann kommt man irgendwann zu einem Punkt, an dem „die Schwerkraft der Erde den Mond auseinandergerissen hätte“, sagt Meyers. Wissend, dass das nicht stimmen kann: Der Mond ist laut geologischen Untersuchungen 4,5 Milliarden Jahre alt. Und so groß, dass er zerbrochen wäre, war das gravitative Gezerre der Erde nie.

„Pirouetteneffekt“ dehnt den Tag

Die Rekonstruktion urzeitlicher Verhältnisse braucht also mehr Zutaten. Das sind im Modell von Meyers und Malinverno geologische Daten (1,4 Milliarden Jahre altes Gestein aus Nordchina), astronomische Theorie inklusive der wohlbekannten Milanković-Zyklen (das Trudeln der Erdrotationsachse und die Schwankungen der Erdumlaufbahn) sowie eine neue statistische Methode, die Unsicherheiten im Vielkörper-Chaos des Sonnensystems zu bändigen vermag.

Blick aus dem All auf Erde und Mond

NASA

Der Mond entfernt sich von der Erde

Meyers und Malinverno jedenfalls können laut eigenen Angaben mit dem Modell akkurat in die Vergangenheit rechnen - und kommen zu dem Schluss: Vor 1,4 Milliarden Jahren dauerte ein Erdentag bloß 18 Stunden. Die Hauptschuld an der Bremsung der Erdrotation trägt der Mond, beziehungsweise seine schrittweise Entfernung von der Erde. „Wenn sich der Mond wegbewegt, verhält sich die Erde so wie eine Eiskunstläuferin, die bei der Pirouette langsamer wird, weil sie ihre Arme ausstreckt“, so Meyers.

Das Große steckt im Kleinen

Er und Malinverno sind im Übrigen nicht die einzigen, die ihr Modell mit geologischen Proben kalibriert haben. Neuseeländische Wissenschaftler konnten etwa jüngst Änderungen im Fossilbestand ausgestorbener Meerestiere, „Graptolithen“, mit den schwankenden Zyklen der Erde zur Deckung bringen.

Fazit: Im Planetensystem summieren sich kleine Änderungen der Schwerkraftverhältnisse langfristig zu großen Wirkungen auf, ähnlich wie beim prominenten Schmetterlingseffekt aus der Chaostheorie. Das hält die Forscher aber nicht davon ab, die verschlungenen Wirkungen aus der Vergangenheit zu präparieren. Der Code dafür steckt im uralten Gestein. Oder wie Meyers es ausdrückt: „Die Geologie der Erde ist ein astronomisches Observatorium. Mit ihrer Hilfe können wir in die Frühgeschichte des Sonnensystems blicken.“

Robert Czepel, science.ORF.at

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