Wie Angst aus dem Gehirn verschwindet

Psychotherapie hilft bei der Bewältigung von Ängsten - warum sie wirkt, war bis vor Kurzem unbekannt. Nun haben Hirnforscher „Anti-Angst-Neuronen“ entdeckt: Der Fund weckt Hoffnungen auf neue Traumatherapien.

„Als ich sechs Jahre alt war, unterzog sich mein Vater einer Psychotherapie“, erzählt Johannes Gräff von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne. „Ich frage ihn: Was passiert da?“ Der Vater nahm ein Blatt Papier zur Hand, malte ein trauriges Gesicht mit Narben auf der Stirn - und sagte: „Die Therapie entfernt die Narben.“

Nun hat der Schweizer Neurobiologe aufgeklärt, was er als Sechsjähriger noch nicht wissen konnte: Was die Narben im Gemüt tatsächlich zum Verschwinden bringt.

Traumatisierung im Labor

Antworten auf diese bisher ungeklärte Frage lieferten Versuche an Mäusen. Die Nager wurden von Gräff und seinen Mitarbeitern in ein neues Gehege gesetzt und erhielten dort einen leichten Stromschlag auf die Pfote. Einen Monat später setzten die Forscher die Mäuse erneut in dieses Gehege. Diesmal blieb der Stromschlag aus - doch die Versuchstiere verharrten regungslos: ein Zeichen dafür, dass sie sich an das traumatische Erlebnis erinnern konnten und die erlittene Angst erneut durchlebten.

Unter dem Mikroskop: Neuronen im Gehirn

EPFL/Gräff Group

Angst (grün) und Angstbewältigung (rot) haben das gleiche Substrat: Neuronen im Hippocampus

Im zweiten Schritt des Experiments wandten die Schweizer Hirnforscher eine Strategie an, die den Interventionen von Psychotherapeuten durchaus ähnelt, getreu dem Motto: „Stell dich deinen Ängsten, wenn du sie loswerden willst.“

Die Forscher konfrontierten die Mäuse mit dem Auslöser der Angst, wieder und wieder - bis die Mäuse das Gehege nicht mehr als bedrohlich empfanden.

Spur der Angst „überschrieben“

Was dabei im Gehirn vorgeht, lässt sich mittlerweile mit modernen Methoden sichtbar machen. Das Ergebnis war überraschend: Die für die Angst verantwortlichen Neuronen im Hippocampus (genauer: im Gyrus dentatus) waren die gleichen, die auch für die Befreiung von der Angst verantwortlich zeichneten. Der Befund spricht stark für die Deutung, dass die Angst bei ihrer Überwindung nicht im Nervengeflecht gelöscht wird. Sie zu überwinden bedeutet offenbar, ihre neuronale Spur gleichsam zu überschreiben.

In ihren nächsten Versuchen wollen die Schweizer Forscher das Nachweisnetz noch engmaschiger knüpfen und herausfinden, was in den Zellen auf molekularem Niveau vor sich geht. Davon könnte wiederum die Medizin profitieren: Gut möglich, dass es eines Tages Medikamente gibt, die an ebenjenen Nervenzellen ansetzen - und bei der Behandlung von Angst und posttraumatischen Störungen helfen.

Robert Czepel, science.ORF.at

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