Raubkunst: 300 Fälle, 30.000 Objekte

Vor 20 Jahren wurde die Kommission für Provenienzforschung gegründet. Sie sucht die rechtmäßigen Besitzer von Kunstobjekten, die ihnen in der NS-Zeit geraubt wurden. Die Bilanz zum Jubiläum: In 300 Fällen wurden 30.000 Gegenstände zurückgegeben.

Alles begann im Jahr 1998 mit einer Schiele-Ausstellung in New York. Die Bilder der Ausstellung stammten aus dem Wiener Leopold Museum - und ihre wahren Besitzer seien zum Teil von den Nationalsozialisten enteignet worden, titelte die „New York Times“ damals. Einige Familien machten bald darauf Ansprüche auf diese Bilder geltend.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in den Ö1-Journalen: 22.6., 07:00 Uhr.

Die österreichische Politik reagierte schnell. Bereits im Jänner 1998 ließ sie erstmals untersuchen, was in den Bundesarchiven Raubkunst sein könnte. Kurz darauf wurde die Kommission für Provenienzforschung gegründet, die heute im Bundeskanzleramt angesiedelt ist, erzählt Monika Löscher, Historikerin und Provenienzforscherin am Kunsthistorischen Museum Wien und Mitglied der Kommission für Provenienzforschung.

Schieles „Wally" 2010 im Leopold Museum in Wien.

APA - Hans Klaus Techt

Schieles „Wally" 2010 im Leopold Museum in Wien. Das Gemälde war nach seiner Beschlagnahme im Jahr 1998 in New York, einem zwölfjährigen Rechtsstreit mit den Erben der ursprünglichen Besitzer und einer Vergleichszahlung in Höhe von 15 Mio. Euro durch die Stiftung Leopold wieder nach Österreich zurückgekehrt.

Vielfalt geraubter Objekte

„Das Spezifische für Österreich ist, dass wir es hier nicht nur mit Kunstsammlungen zu tun haben, sondern von Anfang an auch technische Sammlungen und naturwissenschaftlich-ethnologische Sammlungen mit dabei waren. Das heißt, wir haben eine ganz große Bandbreite an geraubtem Gut.“

Heute, nach zwanzig Jahren Provenienzforschung in Österreich, hat man bereits über 300 Dossiers, also Rückgabefälle, zusammengestellt. Insgesamt wurden über 30.000 Objekte ihren Besitzern zurückgegeben – vor allem Gemälde, aber auch kleinteilige Münzsammlungen oder Musikinstrumente. Die Entscheidung darüber, ob etwas restituiert wird, trifft der Kunstrückgabebeirat. In den allermeisten Fällen wurde die Rückgabe der Objekte beschlossen, so Monika Löscher.

Proaktive Herangehensweise

Die Kommission wartet nicht nur, bis sich Erben bei ihr mit Ansprüchen auf bestimmte Gegenstände melden, sondern sie durchsucht die Bestände auch aktiv nach enteigneten Objekten und nach den in aller Welt verstreut lebenden Erben. Sie entscheidet auch über die Rückgabe von Objekten, wenn diese von vermeintlichen Erben angefordert werden.

Zuständig ist die Kommission für alle Bundesmuseen, dazu gehört zum Beispiel neben dem Kunsthistorischen Museum die Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien, die Albertina, das Belvedere, die Österreichische Nationalbibliothek und das Technische Museum Wien. Die Kommission entsendet Provenienzforscher und -forscherinnen an diese Museen, diese durchforsten dann die Bestände.

Um die geraubten Gemälde oder Objekte zu identifizieren, bedarf es mitunter langwieriger Recherchearbeit, meint Monika Löscher. „Was wir machen, ist zum Beispiel die Rückseitenautopsie. Wir schauen uns die Rückseiten der Bilder an, ob dort irgendwelche Vermerke angebracht sind. Ausfuhrstempel, Etiketten, Namen von früheren Eigentümern – das Ganze ist eine fast detektivische Arbeit.“

Einzigartiges Kunstrückgabegesetz

Die Grundlage für die Restituierung bildet das Kunstrückgabegesetzvon 1998, novelliert wurde es 2009. Darin enthalten sind genau festgeschriebene Untersuchungen, diese werden von der Kommission für Provenienzforschung vorgenommen.

Österreich stellt einen Sonderfall mit diesem Gesetz dar, so Monika Löscher: „Wir haben mit dem Kunstrückgabegesetz eine ganz klare Vorgabe und ein ganz klares Prozedere, wie wir die Fälle abwickeln. Österreich gilt damit international als Vorbild, weil es weltweit das einzige Rückgabegesetz ist, das es gibt.“

Heute Alltagsobjekte im Fokus

Viel zu tun sieht Monika Löscher auch für die Zukunft noch. Heute geht es allerdings kaum noch um medienwirksame große Kunstsammlungen. Löscher erforscht derzeit eher die finanziell uninteressanten, trotz allem wertvollen Alltagsobjekte.

„Das geht von einem Musikinstrument oder einer Bauerntruhe bis hin zu einem Durchlauferhitzer. Familiengeschichtlich bedeuten diese Gegenstände sehr viel. Beispielweise, wenn eine Familie in der Shoa ermordet wurde, und es noch Überlebende gibt. Was es für diese bedeutet, eine einzige materielle Erinnerung an die Familie zu haben, das ist unermesslich.“

Das Jubiläumsjahr 2018 feiert die Kommission für Provenienzforschung mit einer Reihe von Veranstaltungen bis in den November hinein. Ein Workshop zu Provenienzforschung und Digitalisierung wird am 20./21. September stattfinden, ein Symposium zu Briefen aus der 1942 eingeschlossenen westukrainischen Stadt Kamenez Podolski im Oktober und eine Veranstaltung zu „20 Jahren Kunstrückgabegesetz in Österreich“ im November.

Hanna Ronzheimer, Ö1-Wissenschaft

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