Pionier der Medizinhygiene

Ignaz Semmelweis gilt als Pionier der Medizinhygiene und „Retter der Mütter“. Am 1. Juli jährt sich sein Geburtstag zum 200. Mal. Das Andenken hochgehalten wird auch von seinem Ururenkel, der als Herzchirurg in Budapest arbeitet - natürlich an der Semmelweis-Klinik.

In Ungarn laufen die Feierlichkeiten auf Hochtouren. Zahlreiche Veranstaltungen im ganzen Land bringen zum Ausdruck, wie sehr sich die Ungarn mit dem in Budapest geborenen Arzt und Geburtshelfer Semmelweis identifizieren.

Zu Recht, schließlich war seine Entdeckung bahnbrechend: In einer Zeit, als noch nicht klar war, dass Bakterien Krankheiten verursachen, vermutete er, dass es kleine, todbringende Partikel geben müsse, an denen Abertausende Frauen in den Geburtshilfeabteilungen des Wiener Allgemeinen Krankenhauses verstarben. Semmelweis, der dort ab 1846 als Assistenzarzt tätig war, war besessen von dem Wunsch herauszufinden, was die Ursache für das Kindbettfieber sein könnte.

Kupferstich des Grafikers Jenö Doby von 1860

ÖNB

Kupferstich des Grafikers Jenö Doby von 1860: Semmelweis starb fünf Jahre später, nur 47-jährig in Wien

Ururenkel pflegt das Andenken

„Es fiel ihm auf, dass die Sterblichkeit in jener Abteilung, wo die vom Seziersaal kommenden Studenten und Ärzte die Frauen untersuchten, viel höher war als in der Abteilung, wo ausschließlich Hebammen tätig waren“, erzählte der in Budapest lebende Ururenkel Tivadar Hüttl. Der an der Semmelweis-Universitätsklinik tätige Herzchirurg pflegt ein intensives Andenken an seinen Ururgroßvater, dessen Beobachtungen in den 1840er Jahren große Verwirrung und Ablehnung seitens der Ärzteschaft hervorriefen.

Als sein Kollege und Freund Jakob Kolletschka 1847 bei einer Leichenöffnung mit einem Seziermesser verletzt wurde und starb, war Semmelweis klar: Die hohe Sterblichkeitsrate der Frauen müsse mit „Stoffen“ zu tun haben, die über die Hände der Studenten und Ärzte übertragen werden.

„Das Waschen der Hände mit Chlorlauge brachte den entscheidenden Durchbruch“, erzählte Hüttl. Innerhalb kürzester Zeit sank die Müttersterblichkeit auf 1,3 Prozent, für kurze Zeit konnte durch diese Intervention sogar ein Wert von null Prozent erreicht werden. Um diese Werte zu halten, verlangte er von Kollegen und Studenten, dass diese ihre Hände so lange in Chlorlauge waschen, bis sie „rot und schlüpfrig“ sind.

Tivadar Hüttl

Timmel/Casetti/Bledl

Ururenkel Tivadar Hüttl

Öl, Wasser, Seife und Chlorkalk

Wie diese Waschung durchzuführen sei, beschrieb er in seinem berühmten Werk „Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers“, welches 1861 erschien. Darin heißt es: „Die Notwendigkeit, die Hand zu desinfizieren, wird daher immer bleiben, und um dieses Ziel vollkommen zu erreichen, ist es nötig, die Hand, bevor ein zersetzter Stoff berührt wird, gut zu beölen, damit der zersetzte Stoff nicht in die Poren der Hand eindringen könne; nach einer solchen Beschäftigung muss die Hand mit Seife gewaschen, und dann der Einwirkung eines chemischen Agens ausgesetzt werden, welches geeignet ist, den nicht entfernten zersetzten Stoff zu zerstören. Wir bedienen uns des Chlorkalkes, und waschen uns so lange, bis die Hand schlüpfrig wird.“

Ö1-Sendungshinweis

Radiodoktor: 200 Jahre Ignaz Semmelweis - Mit Mut und Leidenschaft zur medizinischen Revolution: 20.6. 2018, 16.40 Uhr.

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„Die Anweisung, die Hände nicht nur zu desinfizieren, sondern auch zu beölen, zeigt, wie erfinderisch Semmelweis war“, sagte Hüttl. Die Beölung der Hände ist in etwa mit dem Tragen von Gummihandschuhen vergleichbar, wie wir es aus dem heutigen Spitalsalltag kennen. Dass diese Maßnahme äußerst unpopulär war, ist leicht nachzuvollziehen. Sich einem Ritual zu unterziehen - dessen Wirksamkeit zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht mikroskopisch nachgewiesen werden konnte - erzeugte Ablehnung seitens der Kollegenschaft.

Film zum 200. Semmelweis-Geburtstag von Carola Timmel, Wolfgang Bledl, Simon Casetti und Lisa Lerchbacher - unterstützt von der Semmelweis Gesellschaft

Auch heute noch Nachlässigkeit

Ablehnung bzw. Nachlässigkeiten in Sachen Händehygiene gibt es übrigens auch 170 Jahre nach seiner bahnbrechenden Entdeckung. „Die sogenannte ‚hand hygiene compliance‘, also die Bereitschaft von Ärzten und Pflegepersonal, sich vor jedem Kontakt mit Patienten die Hände zu desinfizieren, liegt in Europa bei nur rund 50 Prozent - in manchen Ländern sogar darunter", sagte Didier Pittet, Leiter der Abteilung für Krankenhaushygiene an den Genfer Universitätskliniken und externer Leiter des Programms der Weltgesundheitsorganisation (WHO) „Clean Care is Safer Care“.

Die darin enthaltenen „5 Momente der Händehygiene in Krankenhäusern“ sind nicht zuletzt aufgrund seiner unermüdlichen Reisetätigkeit auch in entlegenen Regionen der Welt bekannt. Pittet sieht sich als Botschafter seines großen Idols Semmelweis. Wer je Gelegenheit hatte, einen seiner Vorträge zu hören, weiß: Der Bezug zu Semmelweis ist stets vorhanden.

Semmelweis modern: ein Scanner, der die Handhygiene misst

MedUni Wien / Kovic & Semmelweis Foundation

Semmelweis modern: ein Scanner, der die Handhygiene misst

Rationalität und Emotionalität

Ein ähnliches Naheverhältnis zu Semmelweis pflegt auch Anna Durnova, Politologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien. Ihr Forschungsschwerpunkt ist das Thema „Medizinische Innovation und damit einhergehende Widerstände“. Erst 2015 anlässlich des 150. Todestages von Semmelweis erschien Durnovas Buch mit dem Titel „In den Händen der Ärzte, Ignaz Philipp Semmelweis - Pionier der Handhygiene“ (Residenzverlag).

Durnovas Interesse gilt den Konflikten, die neue Forschungsergebnisse auslösen können. Diesen Konflikten auf den Grund zu gehen, gehört zu den wichtigsten Herausforderungen in der Zukunft, sagte die Wissenschaftlerin. Und gerade in postfaktisch geprägten Zeiten ist Semmelweis ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen.

Als 2016 der Begriff „postfaktisch“ zum Wort des Jahres gekürt wurde, richtete Durnova ihr Interesse erneut auf Semmelweis: „So sehr ich den Ruf verstand, habe ich mir aber auch gedacht, dass die rein rationale Darstellung von wissenschaftlicher Erkenntnis zu wenig ist“, erzählte die Politikwissenschaftlerin. „Rationelles Denken ist wichtig, aber Emotionen sind nicht auszublenden.“ Und letztendlich repräsentiere Semmelweis selbst diese Polaritäten: „Zum einen zeichnete es ihn aus, wissenschaftlich korrekt vorgegangen zu sein, auf der anderen Seite aber hat er seine Erkenntnisse mit großer Emotion verteidigt.“

Carola Timmel, Ö1-Wissenschaft

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