Primaten im Operationssaal

Normalerweise erforscht Frans de Waal das Verhalten von Schimpansen im Zoo. Nun hat der niederländische Biologe sein Team in ein Krankenhaus geschickt - und dort Erstaunliches beobachtet: Auch Ärzteteams agieren wie typische Primaten.

„Ethologische Beobachtungen des Sozialverhaltens“ - das ist das Thema einer soeben im Fachblatt „PNAS“ erschienenen Studie, verfasst von einem Team der Emory University in Atlanta, Georgia. Hinter diesem Titel verbirgt sich eine ganz normale Bobachtungsstudie, wie sie Forscher aus dem ethologischen Fach jede Woche publizieren. Ungewöhnlich daran ist allenfalls das Studienobjekt. Denn es geht dabei um Homo sapiens, das Tier Mensch.

Beobachtungen im Menschenzoo

„Sozial und emotional betrachtet ist der Mensch kein spezieller Primat“, sagt Studienleiter Frans de Waal. „Wenn wir über Sprache, abstraktes Denken und Kultur sprechen, sieht es natürlich anders aus. Aber die psychologischen Grundlagen unserer Art sind nichts Besonderes.“

Um diese Grundlagen zu untersuchen, hat sich de Waal an ein Studienobjekt herangewagt, das bisher nur von Sozialwissenschaftlern untersucht wurde: das Verhalten von Ärzteteams im Operationssaal. Diesmal allerdings nicht - wie bisher üblich - per Fragebogen, sondern so, wie es Biologen normalerweise im Zoo oder im Freiland mit Affen machen.

Ärzte und Ärztinnen im Operationssaal

APA/HELMUT FOHRINGER

„Der OP ist ein Mikrokosmos menschlichen Verhaltens“, sagt Frans de Waal. „Auch hier wird getanzt, gesungen und gestritten.“

De Waals Mitarbeiterin Laura Jones besuchte zwei Jahre lang amerikanische Krankenhäuser, setzte sich dort in den Operationssaal und dokumentierte, wie die Chirurginnen und Chirurgen, Anästhesisten, Techniker und Krankenschwestern miteinander umgingen.

Während der oft stundenlangen Operationen ordnete sie das Beobachtete mit Hilfe eines zuvor erstellten Verhaltenskatalogs, „Ethogramm“ nennen das die Forscher: Jeder Smalltalk, jeder Flirt erhielt so einen Eintrag am Tablet-PC. Ebenso Tratsch, Späße, Zwistigkeiten und natürlich auch technische Gespräche über das Geschehen am Operationstisch. Letztere machten laut Jones’ Aufzeichnungen nur rund fünf Prozent aller Gespräche aus - der Rest fiel in die Großkategorie „Alltägliches & Nebensachen“.

Konflikte folgen bekanntem Muster

Soweit, so typisch menschlich. Auf altes Verhaltenserbe weist indes ein anderes Ergebnis der Studie hin: Die Konflikte im OP gingen meist von den „Alpha-Individuen“ aus, das waren in diesem Fall die Chirurginnen und Chirurgen. Auffällige Unterschiede zwischen den Geschlechtern gab es keine, erzählt de Waal, „auch wenn viele Leute glauben, dass sich Chirurginnen im Operationsaal anders verhalten als ihre männlichen Kollegen“. Sehr wohl einen Unterschied machte die Zusammensetzung der Teams: In nach Geschlechtern durchmischten Gruppen funktionierte Zusammenarbeit am besten. War ein Chirurg vor allem von Männern umgeben, nahm die Zahl der Konflikte zu. War eine Chirurgin vor allem von Frauen umgeben, passierte das Gleiche.

Ein Muster, das die Forscher schon von ihren Studien an unseren nächsten Verwandten kennen: Schimpansen sind darauf bedacht, ihren Rang in der Hierarchie zu verteidigen - und achten dabei, Männchen wie Weibchen, meist auf die Konkurrenz aus dem eigenen Geschlecht. „Wir glauben, dass es beim Menschen ganz genau so ist“, sagt de Waal.

Auch hier regiert der Fußball

Anschauungsmaterial für Hobby-Ethologen biete zurzeit auch die Fußball-WM, sagt der niederländische Biologe im ORF-Interview. Die Gesten des Triumphes und der Niederlage seien für ihn wohlbekannt, natürlich auch der frenetische Jubel für das eigene Team und die nicht minder leidenschaftliche Ablehnung der Gegner. „Ingroup“- und „Outgroup“-Verhalten heißt das im Jargon der Verhaltensforscher.

Kompliziert wird es lediglich dann, wenn die Wissenschaftler nicht aus der gleichen „Ingroup“ stammen. Als Frans de Waal letzte Woche einen Fachvortrag in München hielt, begann gerade das Match zwischen Deutschland und Südkorea. De Waal beruhigte das Auditorium: „Keine Sorge, sie werden nichts versäumen. Deutschland schießt die Tore ohnehin erst in den letzten Minuten.“ Die Kollegen fanden das witzig - bis zur 92. Minute.

Robert Czepel, science.ORF.at

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