Odyssee-Tontafel: Historische Hausübung?

Die Entdeckung einer 2.300 Jahre alten Tontafel mit Versen aus der Odyssee sorgte diese Woche für Aufsehen. Genauere Untersuchungen der Gravuren zeigen: Es handelt sich dabei wohl um eine Art Hausübung.

Die Erzählung über die Abenteuer des Odysseus, verfasst vom Dichter Homer im achten vorchristlichen Jahrhundert, gilt als eines der Schlüsselwerke der Weltliteratur. Der neue Fund, den das griechische Kulturministerium diese Woche veröffentlicht hat, stammt nach vorläufigen Schätzungen aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert.

Aber das Alter alleine ist nicht das Spannende: Denn Tontafeln waren im alten Griechenland eigentlich ein Wegwerfprodukt wie heute Notizzettel. Literaturabschriften aus dieser Zeit würde man sich eher auf Papyrus erwarten, erklärt der Homer-Experte Georg Danek vom Institut für Klassische Philologie an der Universität Wien. So waren auch die bisher ältesten bekannten Abschriften der Odyssee auf Papyri in Ägypten zu finden, wo das Klima sie besser erhält als im feuchteren und kälteren Griechenland. Sie stammen grob aus derselben Zeit wie die neu entdeckte Tontafel.

Notiz, Übung oder Gedächtnisstütze?

Die Tonplatte hat ein relativ handliches Format – etwas größer als ein A4 –Blatt, wenn auch dicker und schwerer. Anders als bei den Papyri ist der Stil der wohl mit einer Art Stift in den Ton geritzten Inschrift so gar nicht kunstvoll und erinnert weniger an eine literarische Abschrift.

Gravuren in einer Tontafel

Griechisches Kulturministerium

Keine formvollendete Abschrift

Eher schon erinnert sie an eine „hingefetzte“ Hausübung, zumindest bekommt man dieses Bild, wenn man der Analyse von Georg Danek lauscht: “Es war von vornherein nicht sehr gut geplant. Zwanzig Zentimeter sind nicht so wenig, der Kerl hat aber größer geschrieben und ist bei etlichen Zeilen nicht mit dem Platz ausgekommen. Er musste dann den Rest in die nächste Zeile transferieren - dann hat er noch extra einen Strich darunter gemacht um zu signalisieren: da ist der Vers aus. Und es ist auch schief!“

Die Textstelle im Wortlaut

(Übersetzung von Johann Heinrich Voß)

Aber Odysseus ging den rauhen Pfad von dem Hafen / Über die waldbewachsenen Gebirge hin, wo Athene / Ihm den trefflichen Hirten bezeichnete, welcher am treusten / Haushielt unter den Knechten des göttergleichen Odysseus. / Sitzend fand er ihn jetzt an der Schwelle des Hauses, im Hofe, / Welcher hoch auf weitumschauendem Hügel gebaut war, / Schön und ringsumgehbar und groß. Ihn hatte der Sauhirt / Selber den Schweinen erbaut, indes sein König entfernt war, / Ohne Penelopeia und ohne den alten Laertes, / Von gesammelten Steinen und oben mit Dornen umflochten. / Draußen hatt er Pfähle von allen Seiten in Menge / Dicht aneinander gepflanzt, vom Kern der gespaltenen Eiche. / Innerhalb des Gehegs hatt er zwölf Kofen bereitet, / Einen nahe dem andern, zum nächtlichen Lager der Schweine.(ausgelassen)

Viele Autoren der Antike beziehen sich auf die Werke Homers, somit war klar, dass sie weiterhin bekannt waren. Die etwas menschelnde Notiz im Ton ist aber ein Kuriosum, meint Danek, eine Facette, die beleuchtet, dass Menschen „überall in der griechischen Welt ihren Homer gekannt haben.“ Und also nicht nur Manuskripte, die in Archiven und Bibliotheken aufbewahrt wurden.

Ob die Tontafel nun eine Übung, Privatvergnügen oder vielleicht Gedächtnisstütze für eine Aufführung war , bleibt Danek zufolge Spekulation. Der Fund zeige jedenfalls etwas über den alltäglichen Stellenwert von Homers Werken.

Gesang des Schweinehirten

Der gewählten Textstelle, welche die Ankunft auf Ithaka beim Schweinehirten Eumaios beschreibt, misst Altphilologe Georg Danek keine allzu große Bedeutung bei. Außer dem Umstand, dass sie genau zu Beginn des 14. Gesanges ansetzt. Spannend ist das als Hinweis vor allem für Homer-Fachleute wie ihn: „Die Homer Experten streiten bis heute noch, wann die Odyssee eigentlich in 24 Gesänge eingeteilt wurde.“

Zur Zeit Homers war es üblich, dass solche Werke von Sängern vorgetragen wurden. Ob es gleich zu Anfang eine fixe schriftliche Version gab, lässt sich nur mutmaßen. Dem Urheber der Tontafel natürlich dürfte das eher egal gewesen sein – die Tontafelnotiz bricht etwas lustlos mitten in einem Satz ab.

Isabella Ferenci, science.ORF.at

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