Raubverleger unterwandern Forschung

Rund 400.000 Forscher und Forscherinnen haben laut neuen Recherchen in den letzten Jahren in unseriösen Zeitschriften publiziert oder Fake-Konferenzen besucht. Den dahinter stehenden Raubverlegern und Veranstaltern geht es nicht um Wissenschaft, sondern um Geschäft.

Die publizierten Beiträge wurden oft mit öffentlichen Geldern finanziert, berichtet ein Rechercheverbund, an dem neben zahlreichen internationalen Medien auch der ORF und die Wochenzeitschrift „Falter“ beteiligt war. Alleine in Deutschland sind etwa 5.000 Forscher und Forscherinnen betroffen, auch Hunderte Fälle in Österreich wurden aufgedeckt.

Raubverleger („predatory journals“) verwenden für ihre Fachzeitschriften oft Namen, die jenen von seriösen und etablierten ähneln. Sie ahmen auch deren Websites nach und locken Forscher und Forscherinnen mit Angeboten. Häufig finden sich zudem falsche Angaben zur Relevanz der Journale. Daraus folgt allerdings nicht notwendigerweise, dass die darin publizierten Studien falsch oder fehlerhaft sein müssen.

Hunderte Fälle in Österreich

Selbstversuch in der ZIB2

Die ZIB2 hat im Selbstversuch bei einer Konferenz eine pseudowissenschaftliche Studie eingereicht und ist damit durchgekommen. Zu sehen am Donnerstag ab 22.00 Uhr in ORF2: der Beitrag in der ORF-TVthek.

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Alleine beim Raubverleger OMICS wurden in den vergangenen 18 Jahren mehr als 120 Studien mit Autoren und Autorinnen aus Österreich gefunden. Fast zwei Drittel von ihnen stammen von medizinischen Institutionen, aber auch die großen Universitäten des Landes, verschiedene Forschungseinrichtungen und auch Pharmafirmen finden sich in der Liste. Eine ähnliche Auswertung gibt es laut Recherchen des ORF auch zum Konferenzveranstalter WASET. Darin tauchen im Zeitraum 2006 bis 2018 390 Autoren mit Bezug zu einer österreichischen Forschungseinrichtung auf - allesamt prominente Unis, Fachhochschulen oder Institute.

Der Selbstversuch der ZiB2

ORF

Selbstversuch der ZIB2 bei einer Fake-Konferenz im Juni 2018 in Wien: Vortrag nach 500 Euro Anmeldegebühr

Publikationsdruck in der Forschung

Das Phänomen der pseudowissenschaftlichen Verlage ist zwar schon seit Jahren bekannt. Hochschulen und Forschungsgesellschaften haben bereits mehrfach davor gewarnt. Neu ist jedoch das steigende Ausmaß. So hat sich die Zahl solcher Publikationen bei fünf der wichtigsten Verlage den Recherchen zufolge seit 2013 weltweit verdreifacht, in Deutschland sogar verfünffacht.

Pseudowissenschaftliche Verlage nutzen den auf Wissenschaftlern lastenden Publikationsdruck und sprechen diese per E-Mail an. Die Betroffenen publizieren Ergebnisse gegen Zahlung teilweise hoher Gebühren in den Internetjournalen, die von Unternehmen in Südasien, der Golfregion, Afrika oder der Türkei herausgegeben werden. Die Firmen behaupten zwar, Forschungsergebnisse wie international üblich vor der Veröffentlichung anderen erfahrenen Wissenschaftlern zur Prüfung und Korrektur vorzulegen. Den Recherchen zufolge geschieht das jedoch meist nicht.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichten auch die Ö1-Journale, 19.7., 18.00 Uhr.

So gelangen nicht selten fragwürdige Studien mit scheinbar wissenschaftlichem Gütesiegel an die Öffentlichkeit. Viele Autorinnen und Autoren wurden den Recherchen zufolge Opfer dieser betrügerischen Praktiken. In anderen Fällen nutzten sie offenbar gezielt die Dienste solcher Verlage, um Forschungsbeiträge schnell zu veröffentlichen, ohne sich der Kritik von Kollegen zu stellen. So können Klimawandelskeptiker ihre umstrittenen Thesen publizieren oder dubiose Mediziner „Studien“ zu umstrittenen Mitteln gegen Krankheiten wie Krebs veröffentlichen.

Etwa ein Prozent betroffen

Wie groß der Anteil an Forschern ist, die wissentlich oder unwissentlich in Zeitschriften von Raubverlegern publizieren, ist nicht ganz einfach zu beantworten. Eine Analyse der „NZZ am Sonntag“ hat vor einem halben Jahr eine Stichprobe von knapp 10.000 Forschern und Forscherinnen über Google Scholar identifiziert, die an einer Schweizer Universität oder einer Fachhochschule beschäftigt waren. Von diesen hatten 146 mindestens eine wissenschaftliche Abhandlung in einer Pseudozeitschrift veröffentlicht – also rund 1,5 Prozent der Stichprobe. Andere Studien gehen von einem Phänomen im Promillebereich aus.

Große Forschungsgesellschaften und Hochschulen erklärten dem Rechercheverbund zufolge überwiegend, das Phänomen prinzipiell zu kennen. Für den Wissenschaftsfonds FWF ist auch das Ausmaß nicht überraschend. Gegen Raubverleger gebe es recht einfache Mittel, sagte FWF-Experte Falk Reckling gegenüber science.ORF.at: „Wir finanzieren und empfehlen nur Zeitschriften, die im Directory of Open Access Journals gelistet sind.“ Dabei handelt es sich um eine Art Weißbuch von Zeitschriften, die nachweisbar eine transparente Qualitätskontrolle durchführen. Ein ähnlicher Überblick über seriöse Konferenzen wäre laut dem FWF-Experten sinnvoll - diesen gibt es aber noch nicht.

science.ORF.at/dpa

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