Das Mädchen aus dem Reagenzglas

Am 25. Juli feiert die britische Büroangestellte Louise Brown ihren 40. Geburtstag, die Weltöffentlichkeit feiert mit ihr: Denn sie war das erste Retortenbaby der Medizingeschichte.

Ihr Leben verdankt sie streng genommen dem Glück ihres Vaters John. Mutter Lesley wurde auf natürlichem Wege nicht schwanger, eine Fruchtbarkeitsbehandlung war für die Arbeiterfamilie unbezahlbar. Vor der Abfahrt in einen kurzen Sommerurlaub hatte John wie so häufig einen Wettschein der in Großbritannien beliebten Sportwetten „Football Pools“ ausgefüllt. Als das junge Paar nach Hause zurückkehrte, fand es einen Scheck über 800 Pfund im Briefkasten.

Nach neun Jahren vergeblicher Versuche, auf natürlichem Wege ein Kind zu bekommen, investierten die Browns das gewonnene Geld in künstliche Befruchtung - eine Methode, die erst kurz zuvor entwickelt worden war. 1969 war dem Cambridge-Physiologen Robert Edwards gemeinsam mit dem Gynäkologen Patrick Steptoe die erste In-vitro-Fertilisation (IVF) einer menschlichen Eizelle gelungen.

Revolutionäre Methode

Neun Jahre später waren es dieselben zwei Mediziner, die Lesley Brown eine Eizelle entnahmen, diese im Reagenzglas befruchteten und der Mutter wieder einsetzten. „Bis sie bereits ein paar Monate schwanger war, wusste sie überhaupt nicht, dass die Methode komplett neu war und noch nie zuvor funktioniert hatte“, sagte Louise Brown über ihre 2012 verstorbene Mutter.

Lousie Brown, das erste Retortenbaby, im Alter von einem Jahr

ASSOCIATED PRESS

Louise Brown im September 1979

38 Wochen später war es dann soweit: Am 25. Juli um 11.47 Uhr hallte das Schreien von Louise durch die Flure des Oldham General Hospitals, das eine gute halbe Stunde vom Zentrum Manchesters entfernt liegt.

Riesiges Medienecho

Die Zeitung „Daily Mail“, die sich die Exklusivrechte von Mutter Lesley gesichert hatte, nannte Louise das „Superbaby“ - weltweit war damals vom ersten Retortenbaby (Test Tube Baby) die Rede. Mehr als 100 Journalisten belagerten das Haus der Familie in Bristol, nachdem Mutter und Tochter aus dem Krankenhaus entlassen wurden.

Die Browns erhielten unzählige Grußkarten. Einige der Briefe und Pakete waren adressiert an „Test Tube Baby, England“: „Das war ja eigentlich ein Wunder, dass die Post überhaupt bei uns zuhause angekommen ist“, sagte Brown. Doch es gab auch schockierende Reaktionen: In einem Paket, das sie von einem radikalen Katholiken bekamen, fanden sie einen Plastik-Fötus und ein zerbrochenes Reagenzglas, wie Louise Brown in ihrer Autobiografie schreibt.

Kritik der Kirche

Das war nicht die einzige Schmähung, der die junge Familie ausgesetzt war. Der Vatikan kommentierte, die Geburt habe „sehr schwere Konsequenzen für die Menschheit“, der katholische Erzbischof von Liverpool nannte sie „moralisch falsch“. Trotz aller Kritik erhielt der Mediziner Robert Edwards 2010 den Nobelpreis.

Bislang kamen laut einer Studie der Europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Embryologie (ESHRE) weltweit mehr als acht Millionen Menschen durch In-vitro-Fertilisation zur Welt. Inzwischen werden geschätzt mehr als eine halbe Million Babys jährlich nach einer künstlichen Befruchtung geboren. Rund jedes zehnte Paar habe Probleme, auf natürlichem Wege ein Kind zu bekommen.

Louise Brown im Juli 2018

APA/AFP/Daniel LEAL-OLIVAS

Louise Brown im Juli 2018

Louises Eltern reagierten damals offensiv auf die Kritik und tourten mit der bei der Geburt 2.600 Gramm schweren und 49 Zentimeter großen Tochter durch Fernsehstudios und Talkshows. Sie wollten allen zeigen: Louise ist ein ganz normales Kind. Später zog sich die Familie zurück, um ihrer Tochter ein normales Leben zu ermöglichen.

Trotzdem ist Louise Brown bis heute ein Star. „Ich habe es ja nie anders gekannt... Manchmal ist es komisch, darüber nachzudenken, dass so viele Menschen weltweit meinen Namen kennen“, sagte sie.

Ein ganz normaler Star

Auch heute nimmt Louise Brown noch regelmäßig Termine von New York bis Tokio wahr. Eine Veranstaltung zu ihrem 40. Geburtstag in Barcelona besuchten rund 12.000 Mediziner, im Februar 2017 sprach sie vor dem Europäischen Parlament. Dennoch führt sie eigentlich ein ganz normales Leben. Sie arbeitet als Büroangestellte in einer Speditionsfirma und lebt mit ihrer Familie in Bristol. Ihre beiden Söhne wurden auf natürlichem Wege gezeugt.

Bei der Eröffnung einer IVF-Ausstellung im Londoner Science Museum am Montag ermutigte Brown Paare, die auf natürlichem Weg kein Baby bekommen könnten, nicht vor einer solchen Behandlung zurückzuschrecken. „Wenn meine Mutter damals schwanger werden konnte, kann das heute jeder schaffen. Wenn ihr beharrlich bleibt und daran glaubt, kann es wirklich funktionieren.“

Sie selbst wünsche sich noch ein drittes Kind, sagte Brown. Und das würde sie, wenn nötig, auch mit künstlicher Befruchtung bekommen.

Tobias Schreiner, dpa

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