Nur 13 Prozent der Meere unberührt

Unberührte Natur gibt es in den Weltmeeren kaum mehr: Gerade einmal 13 Prozent der Ozeane verdienen noch den Namen „Wildnis“, berichtete ein internationales Forscherteam. Der Rest ist ökologisch beeinträchtigt oder gar bedroht.

„Wildnis“ ist für Studienleiter Kendall Jones - leider - ein relativer Begriff: „Es gibt vermutlich kaum einen Bereich, der zu 100 Prozent unbeeinflusst ist. Wir haben uns auf jene Bereiche konzentriert, die zumindest nicht stark durch Fischerei, Schifffahrt oder durch Emissionen aus der Landwirtschaft beeinträchtigt werden“, erklärte der Wissenschaftler von der Queensland University gegenüber science.ORF.at.

Um zu berechnen, auf welche Gebiete im Ozean das zutrifft, haben die Forscher Daten von Satellitenaufzeichnungen, UNO-Statistiken und der internationalen Fischerei ausgewertet. „Wir haben 15 menschliche Stressfaktoren berücksichtigt - und jene Gebiete ermittelt, wo der Einfluss jeweils unter zehn Prozent lag“, erklärte der Ökologe.

(C) Kendall Jones, Carissa Klein, James Watson

Zu solchen Stressfaktoren zählen neben der Fischerei mit Schleppnetzen auch Luft- und Wasserverschmutzungen vom Land, etwa Pestizide und Dünger, die vor allem die Küstengebiete beeinträchtigen. Den Einfluss des Klimawandels (vier Stressfaktoren wie Meeresspiegelanstieg und UV-Einstrahlung) haben die Forscher wieder herausgerechnet. Jones: „Der Einfluss ist überall feststellbar und lokal sehr unterschiedlich.“

16 Refugien der Natur

Übrig blieben letztlich 16 relativ naturbelassene Gebiete: vor allem Teile der Polarmeere sowie abgelegene pazifischen Regionen, etwa um Französisch-Polynesien. „Hier ist der Artenreichtum noch groß, und die Ökosysteme funktionieren vermutlich noch fast so wie ohne menschlichen Einfluss“, sagte Jones.

Grafik: Unberührte Gebiete in den Weltmeeren

University of Queensland/Wildlife Conservation Society

Die verbliebene Wildnis (blau)

Die Größe der marinen Wildnis schwankt von Gebiet zu Gebiet recht beträchtlich. Während die Forscher im warmen Indopazifik immerhin 16 Millionen unberührte Quadratkilometer identifizierten (8,6 Prozent des Pazifiks), waren es im gemäßigten Bereich Südafrikas nur noch 2.000 Quadratkilometer. „Wir waren überrascht, wie wenig Meereswildnis noch übrig ist", sagte Jones. „Die Ozeane sind gewaltig und bedecken mehr als 70 Prozent unseres Planeten. Wir haben es mittlerweile geschafft, fast das gesamte Ökosystem zu beeinflussen.“

Mikroplastik nicht eingerechnet

Thomas Brey, stellvertretender Direktor des Helmholtz-Instituts für Funktionelle Marine Biodiversität, hält das Ergebnis der Studie für durchaus realistisch, weist aber auf Lücken in den verwendeten Daten hin. Die Analyse, so sein Resümee, könnte umfassender sein. Darüber hinaus fällt auf, dass Mikroplastik nicht miteingerechnet wurde. „Es gibt begründeten Verdacht, dass Mikroplastik überall ist - auch in der Arktis und Antarktis. Derzeit fehlen uns aber die Daten, weshalb wir diesen Faktor nicht berücksichtigen konnten“, sagte Jones auf Nachfrage des ORF.

Jones weist jedenfalls darauf hin, dass nur fünf Prozent der verbliebenen Wildnis aktuell durch Programme geschützt werden. „Von den 55 Millionen Quadratkilometern mariner Wildnis sind nur 2,67 Millionen geschützt.“ Das muss sich laut den Forschern ändern, denn diese Gebiete sind nicht zuletzt durch ihren Artenreichtum wertvoll für das gesamte Meeresökosystem.

Schildkröte unter Wasser

Belle Co

Die Forscher fordern marine Schutzzonen

„Hier sind sowohl nationale wie auch internationale Maßnahmen notwendig, um etwa den Schutz der Hochsee zu gewährleisten.“ Ein entsprechendes Abkommen auf UNO-Ebene ist gerade in Arbeit, so Jones. Wenn alles nach Plan läuft, soll es in etwa zwei Jahren fertig sein. Vor zwei Jahren führten Kollegen von Jones übrigens eine ganz ähnliche Bestandsaufnahme für terrestrische Ökosysteme. Das Ergebnis damals: Unberührt sind nur mehr 23 Prozent der Kontinente.

Ruth Hutsteiner,Ö1-Wissenschaft

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