Politik als digitales Theater

Um den Klimawandel abzubremsen, braucht es dringend Veränderungen - etwa den Ausbau von Elektromobilität. Wissenschaftler aus Österreich, Deutschland und den USA wollen Politikern nun mit einem digitalen Theater helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Seit 2016 fördert die deutsche Bundesregierung den Kauf von Elektroautos mit bis zu 4.000 Euro. Damit will man bis 2020 die Zahl der E-Autos von mehreren Tausend auf eine Million heben. Noch ist man davon weit entfernt. Zwar nimmt deren Zahl auf Deutschlands Straßen zu, doch so richtig in Schwung kommen will der Verkauf nicht.

Zur Person

Manfred Laubichler studierte Zoologie an der Uni Wien und promovierte später an der Yale Universität in Biologie und an der Princeton Universität in Geschichte. Neben der Arizona State Universität forscht Laubichler auch am Santa Fe Institute.

Am 24.8. spricht Laubichler bei den Technologiegesprächen in Alpbach.

Erst simulieren, dann entscheiden

Manfred Laubichler will mit seinem „Entscheidungstheater“ solche Flops in der Nachhaltigkeitspolitik künftig vermeiden helfen. „Ich habe durchaus ein Eigeninteresse daran, dass wir unseren Planeten nicht zerstören“, sagt der österreichische Biologe, Komplexitätsforscher und Wissenschaftshistoriker von der Arizona State University - jene Uni, an der das „Entscheidungstheater“ erstmals entwickelt wurde.

Passanten in der Lüneburger Altstadt

RONNY HARTMANN / AFP

Klein beginnen: Die erste simulierte Stadt war Lüneburg

Gemeinsam mit Kollegen aus den USA und Deutschland bastelt er an einem umfangreichen Modell, mit dem vorab simuliert werden kann, wie sich gewisse politische Maßnahmen auf das Mobilitäts- und Nachhaltigkeitsverhalten der Bevölkerung auswirken. „Es gibt bereits viele Simulationen für Zukunftsszenarien. Das Problem dabei ist aber, dass sie oft sehr beschränkt sind und von irgendwelchen Grundannahmen über eine Bevölkerung ausgehen. Ko-evolutionäre Prozesse und etwaige Wechselwirkungen in der Entwicklung der Bevölkerung werden dabei nicht berücksichtigt. Diese sind aber wichtig.“

Technologiegespräche Alpbach

Von 23. bis 25. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet „Diversität und Resilienz“. Davor erscheinen in science.ORF.at Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die bei den Technologiegesprächen vortragen oder moderieren.

Manfred Laubichler spricht am 24.8. zum Thema „Digital literacy for all – Alle sollen digital fit sein“.

Modellstadt Lüneburg

Einen Prototyp des Modells gibt es bereits in Lüneburg - eine kleine Stadt rund 60 Autominuten südlich von Hamburg. Hier hat Laubichler zusammen mit Physikern, Mathematikern, Ökonomen, Nachhaltigkeitswissenschaftlern und Psychologen Lüneburgs Stadt, Verwaltung und seine Bevölkerung detailgetreu modelliert - von der Bevölkerungsverteilung, möglichen Plätzen für E-Ladestationen, bis hin zu Veränderungen in der Stadtpolitik.

„Wir haben auch eingerechnet, wie sich die Stadt in der Geschichte kulturell entwickelt hat. Das erkennt man etwa daran, welche Institutionen - auch politische Institutionen - im Laufe der Zeit geschaffen wurden. Sie bilden letztlich zu einem gewissen Grad die Werte der Bevölkerung ab.“

All diese Daten werden mit ökonomischen Lehren sowie Evolutionstheorien verknüpft. Daraus entsteht letztlich eine fiktive, wenngleich realitätsgetreue Lüneburger Stadtbevölkerung, mit der man bestimmte Mobilitäts-Szenarien durchspielen kann. „Es geht letztlich um die Frage, wie sich eine Person vorstellt, künftig mobil zu sein. Hierfür bauen wir für jedes Individuum eine Art Entscheidungsvektor.“ Die virtuelle Bevölkerung reagiert dann verzögert auf etwaige Maßnahmen wie kostenlose Bus- und Bahntickets oder CO2-Steuern.

Feedback durch die Bürgerinnen

Dass die Wissenschaftler auf Anhieb die Bedürfnisse und Motive der Lüneburgerinnen und Lüneburger perfekt modelliert haben, denkt Laubichler nicht. Vielmehr soll das Modell ständig weiter entwickelt werden und zwar mithilfe der Bürger. „Wir wollen ein interaktives Entscheidungstheater bzw. einen Entscheidungsraum aufbauen.“

Ladestation für Elektroautos

dpa/Paul Zinken

Die Mobilität der Zukunft beginnt jetzt - als Computermodell

Dabei werden die Modelle und die ihnen zugrundeliegenden Daten auf großen, im Kreis angeordneten Bildschirmen gezeigt. Die Idee ist, die Bürger in diesem Raum mit dem Modell experimentieren und schließlich diskutieren zu lassen. Die Diskussionen darüber wollen die Forscher wieder in das Modell integrieren. „Es wird teilweise vielleicht zwei, drei Monate dauern, bis eine neue Wiederholung möglich ist. Aber dann sollen die Menschen erneut zusammen kommen.“

Es folgen: Berlin und Wien

Ende des Jahres sollen die ersten Bürger Lüneburgs in das Entscheidungstheater eingeladen werden. „Es wird sich zeigen, ob das Modell funktioniert.“ Dabei ist die Kleinstadt nur die Generalprobe für das eigentliche Hauptprojekt: Ein Modell für Berlin. Der Startschuss dafür soll bereits im nächsten Jahr fallen, so Laubichler. „In der Stadt werden die wichtigsten Entscheidungen in Sachen Nachhaltigkeitspolitik getroffen - nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa. Deshalb fangen wir hier an.“ Weitere Großstädte Europas und der Welt sollen aber bald folgen. Wien steht laut Laubichler als nächstes auf der Liste.

Bedenken, dass zu wenige Menschen mitmachen oder nur jene, die sich ohnehin mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen, hat Laubichler nicht. „In Berlin arbeiten wir hier etwa mit dem ‚Haus der Kulturen der Welt‘ zusammen. Hier treffen schon seit Jahren unterschiedliche Menschen zusammen und diskutieren über Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt.“ In Wien soll wiederum der Complexity Science Hub das Publikum anziehen. Wann, ist noch unklar.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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