Forscher warnen vor „Heißzeit“

Ist die aktuelle Hitzewelle der Vorbote einer Heißzeit, wie es die Erde seit über einer Mio. Jahren nicht mehr gesehen hat? Unter bestimmten Umständen könnte das sein, sagen Forscher – und zwar selbst dann, wenn das Pariser Klimaabkommen eingehalten wird.

Unter einem „hothouse earth“ verstehen sie eine Erde, die sich langfristig um etwa vier bis fünf Grad Celsius erwärmen würde. Der Meeresspiegel würde dann um zehn bis 60 Meter ansteigen, wie das internationale Forscherteam in einem Artikel diskutiert.

Zentral für eine solche Entwicklung wären bestimmte Kippelemente im Klimasystem wie die auftauenden Permafrostböden in Russland, die sich erwärmenden Methanhydrate auf dem Meeresboden und große Ökosysteme wie der Amazonas-Regenwald.

Regenwald in Französisch-Guayana

Sophie Fauset, University of Leeds

Regenwald in Französisch-Guayana

Schwierig, Erde bei zwei Grad plus zu „parken“

Sie könnten sich wie eine Reihe von Dominosteinen verhalten, sagte Johan Rockström, Mitautor und Direktor des Stockholm Resilience Centre. „Wird einer von ihnen gekippt, schiebt dieses Element die Erde auf einen weiteren Kipppunkt zu.“ „Der Mensch hat als geologische Kraft bereits seine Spuren im Erdsystem hinterlassen“, ergänzt Hans Joachim Schellnhuber, ebenfalls Autor und Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).

„Werden dadurch empfindliche Elemente des Erdsystems gekippt, könnte sich die Erwärmung durch Rückkoppelungseffekte selbst weiter verstärken. Das Ergebnis wäre eine Welt, die anders ist, als alles, was wir kennen. Die Forschung muss sich daran machen, dieses Risiko schnellstmöglich besser abzuschätzen.“

Nach Angaben der Autoren könnte es schwieriger werden als bisher angenommen, die globale Erwärmung wie im Pariser Klimaabkommen vereinbart zwischen 1,5 und unter zwei Grad Celsius zu stoppen. Man könne sich nicht darauf verlassen, dass das Erdsystem bei zwei Grad langfristig sicher „geparkt“ werden könne, sagte Schellnhuber.

Erwärmung verstärkt sich selbst

Derzeit ist die Erde im Durchschnitt bereits gut ein Grad wärmer als noch vor Beginn der Industrialisierung. Selbst bei vorläufiger Begrenzung der menschengemachten Erderwärmung auf maximal zwei Grad könnten kritische Prozesse im Klimasystem angestoßen werden, die eine noch stärkere Erwärmung - auch ohne weiteres menschliches Zutun - bewirken, erläuterte Erstautor Will Steffen von der Australian National University (ANU). Nach PIK-Angaben könnte das bedeuten, dass sich der Klimawandel dann selbst verstärkt - „auf lange Sicht, über Jahrhunderte und vielleicht Jahrtausende“.

Kippelemente im Erdsystem seien mit schweren Felsbrocken am Strand vergleichbar, erläuterte Schellnhuber. Würden diese langsam, aber unaufhörlich unterspült, könnte irgendwann schon die Landung einer Fliege an einer neuralgischen Stelle ausreichen, um die Brocken kippen zu lassen.

„Wir weisen in unserem Artikel darauf hin, dass es im planetarischen System bereits derart unterspülte Felsbrocken gibt, die wir als Kippelemente bezeichnen. Ist die Erderwärmung weit genug fortgeschritten, reicht vielleicht schon eine kleine Veränderung aus, um diese Elemente in einen ganz anderen Zustand zu stoßen.“

Tauender Permafrost in Alaska

Michigan Tech, Evan Kane

Tauender Permafrostboden in Alaska

Wo die Schwelle ist, bleibt unklar

In Teilen der Westantarktis seien bereits einige Kipppunkte überschritten worden. „Der Verlust des Eises in einigen Regionen könnte dort schon ein weiteres, noch umfangreicheres Abschmelzen über lange Zeiträume vorprogrammiert haben“, sagte Schellnhuber. Und der Kollaps des grönländischen Eisschildes könnte bereits bei einer Temperaturerhöhung um zwei Grad einsetzen. „Die roten Linien für einige der Kippelemente liegen wohl genau im Pariser Korridor zwischen 1,5 und zwei Grad Erwärmung.“

Der Artikel biete eine Synthese und Einordnung von vielen Einzelstudien, bleibe aber recht unkonkret, kommentierte Klimaforscher Reto Knutti von der ETH Zürich. Das Autorenteam argumentiere zwar, dass schon bei zwei Grad eine Schwelle hin zu einem deutlich anderen Zustand der Erde liegen könne, verweise aber zugleich darauf, dass es noch unsicher sei, wo eine solche Schwelle tatsächlich liege.

Aus Kohle aussteigen

„Das ist ein wichtiger und provozierender Artikel“, meint dagegen Jonathan Overpeck von der University of Michigan, der nicht daran beteiligt war. Auch wenn es nicht möglich sei, die exakte Erdtemperatur zu bestimmen, bei der die Kippelemente die Erde in Heißzeit bringen, sei es richtig, sich Sorgen zu machen. „Die Risiken zu ignorieren, könnte katastrophal für den Menschen und den Planeten werden.“

Jeder Einzelne könne etwas beitragen, um dem Klimawandel zu begegnen, aber vor allem sei die Politik gefordert, sagte Schellnhuber. Aus wissenschaftlicher Sicht sei klar, dass der Kohleausstieg so schnell wie möglich umgesetzt werden sollte. „Die Kohleverstromung ist das schädlichste, was man dem Klima antun kann", sagte er. Auch Neuwagen mit Verbrennungsmotor seien klimapolitisch „völliger Unsinn“.

science.ORF.at/dpa

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