Salz ist doch nicht ungesund

Eine Studie an 95.000 Menschen findet keinen Zusammenhang zwischen hohem Salzkonsum und Sterblichkeit: Der Schweizer Mediziner Franz Messerli erklärt, was von diesem erstaunlichen Befund zu halten ist - und warum die WHO in dieser Frage falsch liegt.

Herr Messerli, die WHO empfiehlt maximal fünf Gramm bzw. einen Teelöffel Salz pro Tag zu konsumieren. Eine Studie im Fachblatt „The Lancet“ zeigt jetzt: In 18 untersuchten Ländern erreicht so gut wie keine Kommune derart niedrige Werte. War die Empfehlung unrealistisch?

Franz Messerli: Man weiß seit mehr als 100 Jahren, dass ein Zusammenhang zwischen Salzkonsum und hohem Blutdruck besteht. Dazu gibt es 20.000 bis 30.000 wissenschaftliche Publikationen. Deswegen haben Organisationen wie die WHO, die Europäische Gesellschaft für Kardiologie und die American Heart Association (AHA) den Grenzwert für den Salzkonsum drastisch heruntergesetzt. Die WHO auf fünf Gramm, die AHA sogar noch niedriger. Das ist tatsächlich ein völlig unrealistisches Limit. Das kann man praktisch nicht einhalten.

Nun findet die erwähnte Untersuchung keine oder kaum Zusammenhänge zwischen Salzkonsum und Herzkreislauferkrankungen. Ist Salz doch nicht so ungesund, wie bisher behauptet?

Lassen Sie mich eines vorausschicken: Auch diese Studie bestätigt eindeutig, dass mit dem Salzkonsum der Blutdruck ansteigt. Aber der Blutdruck ist letztlich nur ein Ersatzendpunkt. Die wirklichen Endpunkte sind Schlaganfall, Herzinfarkt und die Sterblichkeit. Und wenn wir diese ansehen, zeigt sich: Selbst bei sehr hohem Salzkonsum - wie zum Beispiel in China - steigt weder das Risiko für Herzinfarkte noch die Gesamtmortalität. Ein hoher Blutdruck scheint sich also nicht auf Herzinfarkte und die Sterblichkeit auszuwirken. Hirnschläge werden bei sehr hohem Salzkonsum allerdings schon häufiger.

der Schweizer Mediziner Franz Messerli

privat

Zur Person

Franz Messerli lehrt und forscht an der Universität Bern sowie an der Mount Sinai Icahn School of Medicine, New York.

Sie haben zu der „Lancet“-Studie einen Kommentar verfasst. Darin befindet sich eine Grafik, die den Zusammenhang zwischen Salzkonsum und Lebenserwartung darstellt: Demnach sieht es so aus, als würden die meisten Menschen eigentlich die optimale Menge Salz zu sich nehmen.

Unsere Hypothese war: Der Salzkonsum hat keinen Einfluss auf die Lebenserwartung. Zu unserer Überraschung haben wir sogar einen positiven Zusammenhang gefunden: Menschen, die mehr Salz essen, leben länger. Das gilt bis etwa zehn Gramm pro Tag.

Was wäre ein vernünftiger Konsum?

Für Menschen mit normalem Blutdruck würde ich sagen: fünf bis zehn Gramm, also ein bis zwei Teelöffel Salz pro Tag.

Also genau das, was ohnehin die meisten Menschen konsumieren.

Es sieht ganz klar so aus, als würden wir uns nicht so schlecht ernähren, was das Salz betrifft. Wenn man sich die Daten etwas genauer ansieht: In China liegt der Salzkonsum bei 14 Gramm pro Tag. Und in Hongkong, wo die Lebenserwartung für Frauen die höchste weltweit ist, liegt der Konsum immer noch zwischen acht und neun Gramm.

Wie kommt es, dass namhafte Organisationen wie WHO und AHA mit ihren Empfehlungen so daneben liegen?

Diese Daten sind neu, das muss man schon sagen. Der Studienautor Andrew Mente hat vor zwei Jahren bereits ähnliche Ergebnisse veröffentlicht, damals wurde das noch als „bad science“ abgetan. Nun doppelt er nach - ich halte das für eine sehr sorgfältige Studie, an der es sehr wenig zu kritisieren gibt. Das muss man jetzt einfach zur Kenntnis nehmen. Ich nehme an, dass dies auch die WHO und andere Organisationen tun und ihre Leitlinien entsprechend revidieren.

Nun gab es auch schon bei anderen Ernährungsthemen solche Kehrtwendungen, das Cholesterin wurde verteufelt, dann wieder nicht, ähnliches gilt für Fette, Vitamine, Kohlenhydrate. Warum dieses Hin und Her?

Schwer zu sagen. Ich muss zugeben: Ich war in früheren Jahren vielleicht kein Salzreduktions-Evangelist, aber ich habe meinen Patienten sicher eine salzarme Diät gepredigt. Und werde das nun nicht mehr tun, ausgenommen Patienten mit Bluthochdruck.

Hat die Ernährungswissenschaft ein grundsätzliches, methodologisches Problem?

Ganz sicher sogar. Das Problem ist, das solche Zusammenhänge in normalen Untersuchungen nur sehr schwer aufzuklären sind. Die Amerikaner planen schon seit einiger Zeit eine randomisierte Salzstudie - und kommen zu dem Schluss: Man könnte das eigentlich nur mit Gefängnisinsassen machen. Eine Gruppe bekommt nur salzarme Kost, die andere nur salzreiche Kost. Und nach zehn Jahren sieht man nach, wie sich das auswirkt. Alle anderen Ansätze haben methodische Schwächen.

Das mag für die Statistik gut sein, klingt aber ein bisschen gruselig.

Im Gefängnis gibt es nicht viel Abwechslung, da hat die tägliche Nahrung sicher enorme Bedeutung. Wenn man einer Gruppe die ganze Zeit nur fade Kost vorsetzt: Ich weiß auch nicht, ob das gut geht.

Sollte man vielleicht generell von Ernährungsempfehlungen abrücken - bis auf den Hinweis, viel Obst und Gemüse zu essen und es mit den Kalorien nicht zu übertreiben?

Ich halte das für eine sehr gute Idee. Andrew Mente und sein Team zeigen ja auch: Selbst wenn Sie viel Salz zu sich nehmen und zusätzlich auch viel Kalium, dann wird der Effekt des Salzes praktisch annulliert. Die Frage ist nun: Ist das Kalium bloß ein Marker für gesunde Ernährung, also Früchte, Gemüse und Nüsse? Oder könnte man das auch durch Zugabe von Kaliumsalz erreichen? Das ist unklar.

Halten Sie sich eigentlich an die Ernährungsempfehlungen der WHO?

Ich war jahrelang auf salzarmer Diät und sehe das seit ein, zwei Jahren ein wenig lockerer. Wurst, Käse und Schokolade esse ich immer noch sparsam. Aber so strikt wie früher bin ich sicher nicht mehr.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

Mehr zu diesem Thema: