Was heißt eigentlich „Resilienz“?

„Diversität und Resilienz“ lautet das Motto des Europäischen Forum Alpbach, das am Mittwoch begonnen hat. Als Begriff ist Resilienz en vogue, aber was bedeutet es eigentlich, wenn Ökosysteme, Gesellschaft oder Menschen resilient sind? Ein Experte gibt Antworten.

science.ORF.at: Herr Sakdapolrak, bei Resilienz denken vermutlich viele an Psychologie und verstehen darunter die Fähigkeit, sich von Krisen nicht unterkriegen zu lassen. Ist das der Ursprung des Begriffs - zumindest in der Forschung?

Patrick Sakdapolrak: Es stimmt, der Begriff wird in der Psychologie schon lange verwendet, in der Forschung populär wurde er dann in den 1970er Jahren. Es gibt aber parallel dazu auch in der Ökologie wichtige Auseinandersetzungen mit Resilienz. Soweit ich weiß, völlig unabhängig davon. Hier sind vor allem die Arbeiten des kanadischen Ökologen Crawford Stanley Holling zu nennen. Er war einer der ersten, der mit der damals herrschenden Annahme brach, dass Ökosysteme sich zu einem perfekten Gleichgewicht entwickeln und in diesem Zustand stabil sind.

Porträtfoto von Patrick Sakdapolrak

Universität Wien

Zur Person

Patrick Sakdapolrak ist Professor für Bevölkerungsgeografie und Demografie an der Fakultät für Geowissenschaften, Geografie und Astronomie. Neben der Beziehung zwischen Umwelt und Mensch, erforscht der Geograf auch Resilienz und Verwundbarkeit.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmete sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“ am 14.8. um 13.55 Uhr.

Holling zeigte letztlich, dass Ökosysteme sich ständig verändern und Störungen und Belastungen nicht die Ausnahme, sondern ein fixer Bestandteil sind. Resilienz bedeutet in diesem Zusammenhang also die Menge an Belastungen, die ein System absorbieren kann, ohne dass es sich grundsätzlich verändert und instabil wird. Also kurz: Resilienz ist die Fähigkeit, sich anzupassen.

Könnten Sie ein Beispiel nennen?

Sakdapolrak: Wenn ein Wald nach einem Brand trotzdem noch ein Wald bleibt, dann ist dieses Ökosystem resilient. Anders wenn der Wald in Folge einer Störung zu einer Wiese wird.

Sie selbst sind Geograf, ist Resilienz in Ihrem Fach dasselbe wie in der Psychologie und Ökologie?

Sakdapolrak: Die Geografie knüpft vor allem an das Konzept der Ökologie an. Für die Humangeografie wiederum wurde der Begriff interessant, als nicht mehr nur Ökosysteme im Fokus standen, sondern als der Faktor Mensch systematisch miteinbezogen wurde.

Wann war das?

Sakdapolrak: Richtig prominent ist der Begriff seit den 2000ern. Die direkte Übertragung eines ökologischen Begriffs auf die Gesellschaft ist aber natürlich nicht unproblematisch.

Inwiefern?

Sakdapolrak: Viele Arbeiten, die sich sehr stark an der ökologischen Forschung orientieren, übersehen häufig, dass Gesellschaften nicht mechanistisch und deterministisch funktionieren. Menschen haben die Fähigkeit zu reflektieren, zu imaginieren, zu handeln und zu entscheiden. Gesellschaften sind zudem meist durch Ungleichverteilung von Macht und Ressourcen geprägt. Es gibt machtvolle und marginalisierte Akteure in ihnen. Man muss sich deshalb immer fragen, wer sich eigentlich anpassen muss, wer die Kosten für die Anpassung trägt und wer von der Resilienz eines Systems letztlich profitiert. Solche Fragen wurden häufig nicht adressiert.

Technologiegespräche Alpbach

Von 23. bis 25. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet „Diversität und Resilienz“.

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Sie erforschen unter anderem, was agrarisch geprägte Haushalte im ländlichen Raum Thailands gegenüber Einflüssen des Klimawandels resilient macht. Wie beziehen Sie hier die Ungleichheit mit ein?

Sakdapolrak: Grundsätzlich ist ein Haushalt resilient, wenn er trotz Dürre etwa die Bedürfnisse der Familie und der im Haushalt lebenden Personen weiterhin befriedigen kann – also, dass etwa alle zu essen und trinken haben, die Stromrechnung bezahlt werden kann und die Kinder zur Schule gehen. Wir interessieren uns in unserer Forschung vor allem für den Einfluss von Migration auf die Resilienz von Haushalten. Haushalte schicken Mitglieder zum Arbeiten in die Stadt oder ins Ausland, und von dort werden sie nicht nur mit Geld, sondern auch mit Ideen und Information versorgt, was sie potenziell resilienter macht. Denn das Einkommen kommt dann nicht mehr nur aus der Landwirtschaft, sondern ist vielfältiger und dadurch stress-resistenter.

Zudem können die Familien dann etwa Land kaufen und selbst unterschiedliche Pflanzen anbauen. Auch dadurch können sie das Einkommen stabilisieren und sich bei einer Dürre verhältnismäßig besser anpassen. Dadurch sind sie auch besser angepasst an zukünftige Dürren oder andere Klimarisiken. Unsere Forschung zeigt aber auch, dass es nicht für jeden funktioniert und dass die gesellschaftliche Ungleichverteilung von Ressourcen zentral ist. Man sieht, dass gerade die, die sowieso besser gestellt sind, eher von dem Umzug in die Stadt profitieren können. In ärmeren Haushalten ist die Ausbildung schlechter, dadurch müssen sie einen schlechteren Job annehmen und können ihre Familie nicht so unterstützen.

Der Begriff Resilienz taucht heute auch in populärwissenschaftlichen Büchern wie Ratgebern auf. Wie erklären sie sich diesen Erfolg des Begriffs?

Sakdapolrak: Ich denke, dass das letztlich Ausdruck von einem neoliberalen Zeitgeist ist. So spielt in der Resilienzforschung beispielsweise die Fähigkeit zur Selbstorganisation im Umgang mit Krisen eine ganz zentrale Rolle. Haushalte, die sich also selbst organisieren können, sind resilienter und können besser mit Belastungen umgehen. Im Rahmen eines neoliberalen Denkmodells bedeutet das mehr Eigenverantwortung, mehr Flexibilität und weniger Staat.

In der Psychologie zeigt sich aber, es sind nicht alle gleichermaßen anpassungsfähig. Vermutlich auch nicht alle Haushalte. Kann man Resilienz aber lernen?

Sakdapolrak: In der Forschung werden unterschiedliche Eigenschaften von resilienten Systemen hervorgehoben. Zum einen wird hier immer wieder Diversität genannt. Ein Wald mit unterschiedlichen Pflanzen etwa ist gegenüber negativen Umwelteinflüssen widerstands- und anpassungsfähiger. Ebenso der erwähnte Haushalt, der unterschiedliche Einkommensquellen hat. Zudem spielen Lernen und Erfahrung wichtige Rollen. Sie stärken die Resilienz, weil man eher weiß, wie man ein Problem lösen und sich an bestimmte Gegebenheiten anpassen könnte. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder gezeigt, dass man nicht immer versuchen sollte, Störungen zu verhindern. Sie sollen vielmehr auch zugelassen und vielleicht sogar provoziert werden, um im Umgang mit Krisen den Erfahrungsreichtum zu vergrößern. Resilienz kann zwar sicher erlernt werden. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass die Ausgangsbedingungen für einen resilienten Umgang mit Stresssituationen und Krisen meist sehr ungleich verteilt sind.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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