Erstaunlich desinteressierte Ameisen

Zu viele Köche verderben bekanntlich den Brei. Das beherzigen auch Ameisen, wie ein Experiment zeigt: Beim Tunnelbau sind die meisten Arbeiterinnen erstaunlich desinteressiert - und helfen damit der Gemeinschaft.

Beim Thema Faulheit im Tierreich mag einem der in der Mittagshitze dösende Löwe in den Sinn kommen. Oder auch die trägen Folivora, besser bekannt als Faultiere. Aber sicher nicht die wuselnden Ameisenvölker, die dank ihrer perfekt organisierten Arbeitsteilung sämtliche Kontinente (bis auf Antarktika) erobert haben. Doch auch hier gibt es offenbar so etwas wie Müßiggang, wie Forscher um Daniel Goldman nun im Fachblatt „Science“ berichten.

Stauvermeidung im Tunnel

Als der Physiker vom Georgia Institute of Technology kleine Kolonien mit 150 Feuerameisen im Labor beobachtete, fiel ihm auf, dass etwa 30 Prozent aller Ameisen 70 Prozent aller Arbeit erledigten.

„Arbeit“ heißt in diesem Fall: Tunnelbau. Feuerameisen bewohnen unterirdische Nester mit verzweigten Tunnelsystemen. Da die Völker - etwa wegen Überschwemmungen - immer wieder zum Umzug gezwungen sind, gehören Grabungsarbeiten zum Alltagsgeschäft, jedenfalls für einige im Kollektiv. „Wir haben festgestellt, dass von den 150 Ameisen im Container nur zehn bis 15 mit Graben beschäftigt waren.“ Der Rest, so erzählt Goldman, tat entweder wenig - oder gar nichts.

Das hat freilich nichts mit Arbeitsverweigerung zu tun, sondern schlicht mit dem begrenzten Raum in den Tunnelsystemen. Stauvermeidung hat für die Ameisen offenbar Priorität. Und nachdem sie über keinen übergeordneten Verkehrsplaner verfügen, müssen sie das Problem per Schwarmintelligenz lösen.

Roboter, die nicht zur Arbeit kommen

Wie sie das hinkriegen, haben Goldman und seine Mitarbeiter mit Hilfe eines Roboterexperiments genauer untersucht. Die beweglichen Roboter mussten ähnliche Aufgaben wie die Ameisen lösen (hier: Bälle durch schmale Straßen transportieren) und gingen in drei Gruppen mit jeweils unterschiedlichem Verhaltensinventar an den Start. Der Name war Programm, in diesem Fall sogar Computerprogramm, nämlich „Eifer“, „Faulheit“ und „Umkehr“.

Das Ergebnis: „Eifrige“ Roboter produzierten - obzwar am fleißigsten - regelmäßig Staus im Testgelände und brachten damit die Arbeit zum Erliegen. „Faule“ Roboter brachten zwar nicht viel weiter, dies immerhin mit dem niedrigsten Energieverbrauch.

Bleibt noch die „Umkehrstrategie“. Hier pflanzten die Forscher den Robotern die Regel ein: Kehre um, wenn es auf dem Weg zur Arbeit zu Verzögerungen kommt. „Umkehr erzeugt vernünftige und zweckmäßige Grabungsarbeit“, bilanziert Goldman. „Die Strategie ist zwar nicht die schnellste, aber es gibt keinen Stau.“ Das ist, wie die Forscher in ihrer Studie schreiben, auch die Strategie der Ameisen. Sind bereits die besten Plätze an der Grabungsfront besetzt, machen die ankommenden Arbeiterinnen einfach kehrt.

Die US-Forscher haben auch ein Computermodell mit den Parametern des Grabungsproblems gefüttert und attestieren dem Schwarm nach Ansicht aller Lösungen Intelligenz: Die Ameisen arbeiten offenbar nahe am Optimum. Einen angewandten Aspekt hat die Studie auch. Sollten in Zukunft Roboter in Bergwerken oder auf fernen Planeten Tunnel graben, dann werden sie es wohl wie die Ameisen machen. Autonom und nicht übertrieben fleißig.

Robert Czepel, science.ORF.at

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