Grenzen und Chancen für KI

Genauere Diagnosen und bessere Therapien: Das soll Künstliche Intelligenz (KI) in Zukunft ermöglichen. Doch nach Kritik am IBM-Supercomputer „Watson“, der genau das versucht, mehrten sich die Zweifel. Ein Experte zeigt nun die Grenzen und Chancen der KI in der Medizin auf.

„Watson“ sollte Ärzte unter anderem dabei unterstützen, für jeden Krebspatienten die richtige Therapie zu finden. Medienberichten zufolge waren seine Empfehlungen aber „unsicher und falsch“. Zwar weist IBM die Vorwürfe zurück. Dennoch stellt sich die Frage: Was kann KI in der Medizin tatsächlich leisten und was nicht? Der Mathematiker und Medizininformatiker Georg Langs von der Medizinuni Wien gibt Antwort.

Porträtfoto des Informatikers und KI-Forschers Georg Langs

Adrian Dalca

Zur Person

Georg Langs studierte Mathematik an der TU Wien und promovierte 2007 zum Forschungsbereich „Computer Vision“. Von 2009 - 2011 war er Forscher am “Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory” des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Seit 2011 ist er an der Medizinischen Universität Wien und forscht hier am „Computational Imaging Research Lab“.

science.ORF.at: „Watson“ besiegte in den vergangenen Jahren den Schachweltmeister, gewann in der Quizshow „Jeorpardy“ und komponierte Musik. Überrascht es Sie, dass „Watson“ in der Medizin seine Erwartungen vermutlich nicht erfüllen konnte?

Georg Langs: Nein, denn es ist nicht so leicht ist, von einer kleinen Menge an Patientendaten und theoretischen Fällen zu einem funktionierenden Modell zu kommen. Ich denke, Teile der KI-Community und der öffentliche Wahrnehmung waren am Anfang sehr optimistisch. Man wusste, man hat sehr mächtige und gut funktionierende KI und dachte letztlich, man könne das schnell auf viele Probleme in der Medizin übertragen. Ich glaube, es haben viele erkannt, dass vor allem Präzisionsmedizin viel komplexer ist, als Objekte und Gesichter zu erkennen oder Fragen zu beantworten.

Also ist es für KI in so komplexen Bereichen einfach noch zu früh, oder ist es generell unmöglich?

Langs: Wenn zwei Gebiete wie KI und Medizin zusammenkommen und neue KI-gesteuerte Methoden entwickelt werden, gibt es immer eine Phase des Voneinander-Lernens. Wir wissen, dass es viele Patientenbeispiele und Fälle, aber auch methodische Grundlagenarbeit benötigt, damit Software Patienten vergleichen und Merkmale lernen kann, die eine verlässliche Diagnose oder Prognose ermöglichen. Derzeit sind die Unsicherheiten zwar noch groß, sie werden aber immer kleiner. Letztlich ist das ein normaler Entwicklungsprozess, und es gibt ja bereits einige Beispiele, die schon gut funktionieren. Eines ist allerdings klar: KI wird nie den Arzt ersetzen, sie soll unterstützen.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“ am 16.8. um 13:55 Uhr.

Neues Buch

Wo die KI-Forschung steht, hat Langs auch in einem Artikel in dem soeben erschienenen Jahrbuch „Alpbacher Technologiegespräche - Artificial Intelligence" beschrieben (Holzhausen Verlag). Die Einleitung stammt vom AIT-Aufsichtsratvorsitzenden Hannes Androsch, der das Projekt initiiert hat.

Sie selbst forschen, wie KI die Behandlung eines Patienten mit einer Lungenfibrose individuell verbessern kann. Wo stehen Sie hier bzw. was ist das Ziel?

Langs: Fibrose ist eine Krankheit, bei der sich das Gewebe der Lunge immer mehr verändert und die den Patienten sehr stark beeinträchtigt. Zum einen ist es unser Ziel, möglichst früh zu erkennen, unter welchem Typ von Fibrose der Patient leidet, und zum zweiten, wie sich die Krankheit in Folge entwickeln wird. Konkret können wir mit unserer KI die Bilder der Lungen-CTs analysieren und erkennen, wie sich die Fibrose ausbreitet. Anhand dieses Musters können Modelle zunehmend genau sagen, um welchen Typ es sich handelt.

Können das Ärzte nicht?

Langs: Die Krankheitsmuster in der Lunge sind oft sehr schwer zu unterscheiden, und die Art ihrer Ausbreitung ist nicht leicht zu erfassen. Das können meist nur wenige Experten, und eine Analyse jedes Pixels ist in der Routine einfach nicht möglich, weil das zu lange dauern würde. Darüber hinaus gewinnt KI die Fähigkeit, aufgrund dieser Muster vorhersagen zu können, wie die Krankheit verlaufen wird. Auch das war davor nicht möglich.

Es gibt uns also ein Werkzeug, um genauer beschreiben zu können, was wir in den Bildern sehen und wie der Status eines Patienten ist. Das können wir dann mit dem zukünftigen Krankheits- und Therapieverlauf in Bezug setzen.

Abgesehen davon zeigen unsere Ergebnisse, dass KI durch den Vergleich vieler CTs neue aussagekräftige Marker für bestimmte Krankheiten findet, indem sie allgemein nach Mustern von Anomalien in den Bildern sucht. Darin steckt, denke ich, eines der größten Potenziale von KI. Es erweitert das Vokabular an Mustern, die wir zum Verständnis von Krankheiten und zur Prognose von Krankheitsverläufen benutzen können.

Wird das am AKH in Wien etwa schon angewendet?

Langs: Nein, zur Routineanwendung sind noch einige Schritte notwendig. Derzeit befinden wir uns bei vielen dieser Methoden an dem Punkt, wo wir wissen, dass sie funktionieren. Im nächsten Schritt geht es jetzt darum, das in der klinischen Routine einzusetzen. Dazu müssen wir aber sichergehen, dass die Bilderkennungs-KI sicher, genau und verlässlich ist und dass sie den richtigen Platz in den Arbeitsabläufen einer Klinik hat.

Technologiegespräche Alpbach

Von 23. bis 25. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet „Diversität und Resilienz“.

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Wo liegen Ihres Erachtens die größten Irrtümer im Zusammenhang mit dem Potenzial von KI?

Langs: Es funktioniert nicht, eine allgemeine KI-Methode und ein neues Problem zu nehmen und zu sagen, das wende ich einfach an. Jene KIs, die jetzt schon funktionieren, beschäftigen sich mit bestimmten Krankheitsfamilien und werden oft im Tandem mit der medizinischen Forschung mitentwickelt. Das heißt, Erfolge wird KI nur dann haben, wenn sie transdisziplinär entwickelt wird. Wenn also Fachärzte und Informatiker zusammenarbeiten.

Allgemeiner gesprochen: Was steht dem Durchbruch von KI in der Medizin noch im Weg?

Langs: Ein Problem sind derzeit noch die Daten. Befunde und andere klinische Aufzeichnungen enthalten zum Beispiel sehr viel Information über den Krankheitsverlauf, die aber unstrukturiert vorliegt, was die Nutzung dieser Daten für die Forschung noch erschwert.

Zudem ist es eine Herausforderung, die ganz normale Verschiedenheit der Menschen, die mit Krankheit gar nichts zu tun hat, so zu modellieren, dass wir nur die, oft sehr subtilen, Muster herausfischen können, die mit einer Krankheit in Zusammenhang stehen. Es ist so, wie wenn Sie ein Orchester hören, aber nicht das Stück erkennen müssen, sondern welcher Geige eine Saite fehlt. Da gibt es noch viele methodische Fragestellungen an denen wir derzeit arbeiten.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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