„Kluger Unsinn“ in der Rechtsprechung

Eile mit Weile, beredtes Schweigen, bittersüß: Das sind Oxymora, Widersprüche in einem Wort oder einer Phrase. Im Recht sollten sie eigentlich „verboten“ sein. Sind sie aber nicht, wie ein Grazer Jurist im fernen Macau festgestellt hat.

Rostam J. Neuwirth ist ein Weltenbummler der Rechtswissenschaft. Nach einem Jus-Studium an der Universität Graz und Aufenthalten in Frankreich, Kanada, Italien und Indien ist er nun Professor an der Universität Macau und leitet dort einen Master-Lehrgang für Internationales Handelsrecht.

Macau ist eine Sonderverwaltungszone an der Südküste Chinas, „und damit selbst schon ein wunderbares Beispiel für ein Oxymoron“, lacht Neuwirth beim Skype-Interview mit science.ORF.at. Unter dem Motto „Ein Land, zwei Systeme“ erlaubt das (nach Eigendefinition) kommunistische China der ehemaligen portugiesischen Kolonie nach der Wiedereingliederung 1999 weiter seinen eigenen, kapitalistischen Weg. „Hier ist tatsächlich ein Ort, wo der Osten den Westen trifft“, sagt Neuwirth. „Widersprüche werden hier nicht als unüberwindbar betrachtet.“

Porträtofo von Rostam J. Neuwirth

Lukas Wieselberg, ORF

Neuwirth beim Skype-Interview

Conchita Wurst ging Gerichten voran

Somit ist Macau auch ein guter Ort, um sich Oxymora zu widmen. Die Duden-Definition dazu lautet: „Altgriechisch für ‚klug-dumm‘, Zusammenstellung zweier sich widersprechender Begriffe in einem Additionswort oder als rhetorische Figur.“ Neuwirth hatte schon vor Jahren den Eindruck, dass der Gebrauch von Oxymora in der Wissenschafts- und Rechtssprache stetig zunimmt – und zwar ausgehend von der Kunst.

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Diese hat generell kein Problem damit, die Logik der Widerspruchsfreiheit zu überschreiten. „Denken wir etwa an Conchita Wurst, wortwörtlich und visuell ein Oxymoron“, sagt Neuwirth. Die Eurovisions-Contest-Siegerin 2014 changiert zwischen den Geschlechterrollen, „aus rechtlicher Sicht hat sie damit die dualistische Unterscheidung von Frau oder Mann in Frage gestellt. Ende letzten Jahres hat sich dann das deutsche Bundesverfassungsgericht für ein drittes Geschlecht im Geburtenregister ausgesprochen.“ Ähnlich hat dann auch der österreichische Verfassungsgerichtshof im Juni 2018 argumentiert. Mitte Dezember hat der deutsche Bundestag beschlosssen, dass in den Geburtenregistern künftig neben „männlich“ und „weiblich“ auch die Option „divers“ für intersexuelle Menschen möglich ist.

In der Kunst, aber vor allem auch in ihrer säkularisierten Form, in der Werbung („Eistee“, „Frapuccino“) werden Oxymora „geboren“, die dann langsam in andere Teile der Gesellschaft diffundieren: so die These von Neuwirth. Zum Teil schaffen sie es bis in die Wissenschaften, die eigentlich auf Widerspruchsfreiheit pochen. Spätestens mit der Quantenphysik, regiere dieses Prinzip aber selbst in den „harten Naturwissenschaften“ nicht mehr unumschränkt.

Privatleben eines Pornostars ist ein Oxymoron

Ein besonderer Fall ist das Recht. „Denn Juristen lieben keine Widersprüche. Sie denken in erster Linie in dualen Formen, etwas ist entweder richtig oder falsch, legal oder illegal. Entweder eine Person ist schuldig oder unschuldig, und im Idealfall nicht beides gleichzeitig“, so Neuwirth.

Buch

“Law in the Time of Oxymora: A Synaesthesia of Language, Logic and Law”, Verlag Routledge 2018, (Leseprobe)

Im Rahmen seiner Forschung ist er dennoch auch im Recht vermehrt auf Oxymora gestoßen. Für sein vor Kurzem erschienenes Buch „Law in the Time of Oxymora“ hat er vor allem englischsprachige Literatur in diversen Rechtsdatenbanken nach entsprechenden Stichworten durchforstet. Dabei stieß er auf rund 200 Fälle, bei der Oxymora eine Rolle gespielt haben. „Ein amerikanischer Pornostar hat einmal auf Schutz der Privatsphäre geklagt. Darauf hat der Richter erklärt:‚A porn star‘s private life is an oxymoron.‘“

Porträtofots von Rostam J. Neuwirth

Lukas Wieselberg, ORF

Eine Buchempfehlung zum Thema

Ähnliches gilt für die im Straßenverkehr immer beliebteren „Sport Utility Vehicles“ (SUV). „Sie haben im Welthandel anfangs für massive Probleme gesorgt“, sagt Neuwirth. „Denn ‚sport‘ und ‚utility‘ waren bei der Klassifizierung des Zolls zwei verschiedene Autos. Man wusste nicht, was man anwenden soll. Deshalb wurde ein neuer Zollposten eingeführt – ähnlich wie beim dritten Geschlecht.“

Aristoteles trifft auf Konfuzius

Dagegen sei nichts Prinzipielles einzuwenden, meint der Jurist, der dennoch eine Gefahr sieht: „Das Recht wird immer kasuistischer, zielt also immer mehr auf den Einzelfall ab, ohne allgemeine Gültigkeit zu haben. Und das ist dem Gerechtigkeitsempfinden nicht zuträglich.“

Ansonsten ist Neuwirth aber ein Freund der Oxymora, die er neben seinen weiteren Kernthemen wie Europarecht und WTO-Recht weiter erforschen möchte. Er glaubt, dass sie deshalb so beliebt sind, weil sie Extrempositionen vereinen, Widersprüche zulassen und damit Komplexität vereinfachen.

„Vielleicht passt das ja auch besser zum 21. Jahrhundert und zum geopolitischen Comeback Asiens“, so Neuwirth. „Das aristotelische Denken Europas, in dem die Dinge entweder-oder sein sollen, wird vom konfuzianischen Denken des sowohl-als-auch herausgefordert. Vielleicht sind die Oxymora ja eine Reaktion des europäischen Gedankenguts auf diese Herausforderung.“

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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