„Trump kommt nicht weit“

Der US-Ökonom Jeffrey Sachs gilt als glühender Verfechter einer aktiven Klimapolitik. Im ORF-Interview beklagt er mit Ölgeldern bestochene Politiker und glaubt, dass US-Präsident Donald Trump mit seinem Einsatz für fossile Energien nicht weit kommt.

Jeffrey Sachs leitet das Earth Center an der Columbia University in New York, ist Sonderberater des UNO-Generalsekretär António Guterres für die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) und war zuletzt Gast beim Europäischen Forum Alpbach.

science.ORF.at: Sie haben kürzlich davor gewarnt, dass wir trotz aller Warnsignale direkt auf die Klimakatastrophe zusteuern – wie die Hauptfigur in einem Horrorfilm. Ist es überhaupt noch realistisch, dass wir das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die globale Erwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten, erreichen?

Jeffrey Sachs: Es ist ein Rennen gegen die Zeit. Es werden Schritte in die richtige Richtung gesetzt, aber zu langsam. Das reicht nicht. Im Moment sind wir also nicht auf dem Weg, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Wir könnten es mit einem enormen Aufwand schaffen, aber wir können sehr leicht scheitern. Ich bin weder optimistisch, noch pessimistisch, sondern realistisch und die Situation ist durchwachsen: Überall auf der Welt erkennen die Menschen, dass der Klimawandel mit Fluten, Dürren, Hitzewellen, Waldbränden und steigendem Meeresspiegel stattfindet und gefährlich ist. Mehr Regierungen als bisher sind sich darüber bewusst. Aber ob wir die Fähigkeit haben, den Weg herauszufinden, ist fraglich. Wir wissen noch immer nicht, wie es ausgeht und wir befinden uns nach wie vor in der entscheidenden Phase.

Könnten Geo-Engineering-Methoden die entscheidende Lösung bringen? Also beispielsweise Methoden, mit denen Sonneneinstrahlung künstlich abgeblockt oder mehr CO2 im Ozean versenkt werden soll?

Sachs: Das alles sind sehr gefährliche Lösungen. Wenn man sich diese Tricks genauer anschaut, dann wird klar, dass sie das Kernproblem nicht lösen. Wir haben bereits klare Lösungsansätze. Wenn diese nicht gelingen, dann sollten wir nicht das Vertrauen haben, dass diese Tricks gut funktionieren. Daher bin ich gegen Geo-Engineering. Was wir brauchen, ist eine reine Elektrowirtschaft aus nicht-fossilen Energien: Wind, Sonne, Wasser, aber auch Atomenergie, sofern Länder das wollen. Hauptsache, es wird kein Kohlendioxid produziert: Wir brauchen elektrische Autos, Züge, Schiffe, Flugzeuge. Ein anderer Teil der Lösung ist eine nachhaltige Landwirtschaft. Hier ist das Allerwichtigste, den Rindfleischkonsum zu reduzieren. Wenn wir diese Ideen umsetzen, brauchen wir kein Geo-Engineering.

Jeffrey Sachs

Forum Alpbach

Sachs in Alpbach

Das sind Ideen, über die man schon seit Jahrzehnten spricht. In der Umsetzung tut sich vergleichsweise wenig. Ist das ein Problem der Politik oder der Märkte?

Sachs: Es gibt eine organisierte Opposition gegen das Handeln. Vor allem die Öl-, Gas- und Kohleindustrie ist mächtig. Viele Politiker stehen mit dem alten Energiesektor in Verbindung und ermöglichen es dem Sektor der erneuerbaren Energien nicht, sich zu etablieren. Natürlich gibt es auch technologische Herausforderungen, aber diese Probleme sind nicht unlösbar. Und dann gibt es die Politiker: In den USA werden sie von der Ölindustrie bezahlt. Die republikanische Partei ist durch den Öl- und Gassektor korrumpiert, und das ist der Hauptgrund, warum die USA nicht mit dem Rest der Welt übereinstimmt.

Wer zahlt, schafft an. Das heißt, es gibt wenig Anlass zur Hoffnung?

Sachs: Doch, denn die Ölindustrie wird immer schwächer. Die Kohleindustrie ist fast bankrott, sie muss sich aus dem Geschäft zurückziehen. Das sind gute Nachrichten. Trump versucht diese Industrie wiederzubeleben, aber es gelingt ihm nicht. Die Ölindustrie kommt immer mehr in die Defensive, sie ist mit Klagen und moralischen Anschuldigungen konfrontiert. Aber sie hat sich auch mit praktischen Herausforderungen herumzuschlagen, weil sie im Wettbewerb mit Energiealternativen immer schwerer mithalten kann. Firmen wie die norwegische Statoil machen das deutlich: Statoil hat sich sogar in Equinor umbenannt um zu signalisieren, dass sie keine reine Ölfirma mehr ist. Sie ist auf dem Weg, eine Windenergiefirma zu werden. Sogar Saudi Aramco, die größte Erdölfirma der Welt, und Saudi-Arabien steigen ins Solarenergiebusiness ein. In China werden Kohlekraftwerke stillgelegt. Es gibt also einen Fortschritt, aber nicht genug. Das ist das Problem. Und es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn das Kohlendioxid, das wir in die Atmosphäre jagen, verschwindet von dort nicht mehr, nur weil wir Schritte in die richtige Richtung setzen. Wir müssen schneller sein. Wir müssen mehr Druck ausüben, damit es zu einer wirklichen Energiewende kommt.

Kann der Druck einer kritischen Öffentlichkeit gegen zahlungskräftige Lobbys ankommen?

Sachs: Wir haben mehr Stimmen als ExxonMobil oder Koch Industries. Sie haben viel Geld, aber die Menschheit umfasst eine Menge Leute, die mehr an ihrer Sicherheit und der Gesundheit ihrer Kinder interessiert sind, als an den Erfolgen einer Ölfirma. Ich denke, die Menschen stehen hier auf der richtigen Seite.

Die Leute haben Trump ins Weiße Haus gewählt.

Sachs: Die Leute haben ihn nicht wegen des Klimawandels gewählt. Außerdem hat Trump nicht einmal die Mehrheit der Stimmen bekommen. 70 Prozent der Amerikaner wollen etwas gegen den Klimawandel unternehmen. Demokratische Politik ist kompliziert, weil die Menschen keine direkte Mitsprachemöglichkeit haben. Unsere Repräsentanten vertreten in den USA im Moment nicht uns, sondern die mächtigen Interessen derer, die ihre Kampagnen zahlen. Das ist Korruption.

Sie meinen trotzdem, dass es die Öffentlichkeit mit der fossilen Industrie aufnehmen kann?

Sachs: Absolut. In den USA kann ich genau beobachten, wo die Korruption liegt, und obwohl sie so einflussreich ist, glaube ich, dass die Öffentlichkeit dagegenhalten kann. In ein paar Wochen lädt der kalifornische Gouverneur Jerry Brown internationale Akteure zum Global Climate Action Summit ein, um zu sagen, dass wir trotz Trumps Ankündigung, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, mit dem Kampf gegen den Klimawandel weitermachen. Außerdem gibt es immer mehr Klagen gegen Lügen der Industrie, die ihre eigenen Investoren betrügt, indem sie ihnen nicht die Wahrheit über die Risiken sagt, die fossile Industrie verursacht, und dadurch auch nicht über die Risiken ihrer zukünftigen Rentabilität. Und es ist heute nicht mehr so leicht, Gas- und Ölpipelines zu bauen, weil die Öffentlichkeit es nicht will, das zeigt das Beispiel der Keystone-Pipeline. Es ist ein Kampf zwischen großen Erdölfirmen und dem öffentlichen Interesse. Trump kommt nicht weit mit seinem Einsatz für die fossile Energie. Viele seiner Verfügungen zu ihren Gunsten wurden von Gerichten gestoppt.

Jeffrey D.Sachs beim Forum Alpbach 2017

APA/BARBARA GINDL

Trumps Politik ist aber nur ein Teil des Problems. Hat der Kampf gegen den Klimawandel nicht immer das Nachsehen, solange die globale Wirtschaft auf Wachstumssteigerung und Profitmaximierung ausgerichtet ist?

Sachs: Profitmaximierung kann sowohl positive Auswirkungen auf den Wohlstand haben, als auch destruktive in Bezug auf den Klimawandel. Sie mag das Hauptinteresse von Firmen sein, aber der Hauptzweck von Politik ist nicht, die Firmen alles bestimmen zu lassen, sondern das menschliche Wohlbefinden zu fördern. In Skandinavien funktioniert das gut, und dort wird auch etwas gegen den Klimawandel getan. Im Falle von Deutschland ist es eine eigenartige Situation: Deutschland ist weit gekommen, was die Energiewende betrifft, aber es ist ein unorganisierter Prozess ohne einen richtigen Plan.

Und mit einer gut organisierten Kohleindustrie …

Sachs: Ja, mit einer einflussreichen Kohleindustrie. Und die deutsche Wirtschaft hängt stark von der Automobilindustrie ab. Aber ich glaube, dass wir bald alle chinesische Elektroautos fahren werden, wenn deutsche Ingenieure die Umstellung auf Elektroautos nicht schnell genug vorantreiben. Die Umstellung ist also nicht nur für das Klima, sondern auch für die deutsche Wirtschaft enorm wichtig. Ich habe mit einigen deutschen Politikern und Experten wie Hans Joachim Schellnhuber gesprochen, und sie wissen, Deutschland braucht einen Plan für die nächsten 30 Jahre auf wissenschaftlicher Grundlage, um die Wirtschaft kohlendioxidfrei zu machen, nicht nur den Slogan „Energiewende“. So ein Plan ist machbar, deshalb erwarte ich, dass Deutschland bald damit aufwarten wird.

In welchen Ländern sind Änderungen im Moment am wichtigsten?

Sachs: Quantitativ gesehen sind es die Schritte, die China setzt um aus der Kohleindustrie auszusteigen. Wir sehen ähnliche Bemühungen in Indien und im Nahen Osten, wo gerade die Solarenergie ausgebaut wird. Wir sehen viele positive Zeichen, aber es geht nicht schnell genug.

Und doch ist das Rennen nicht verloren?

Sachs: Wir sind sehr nah daran, weil wir so viel Zeit verloren haben. Aber noch können wir es schaffen. In den nächsten zwei Jahren werden der UNO-Klimagipfel 2019 und die Weiterentwicklung des Pariser Abkommens entscheidend sein. Wenn wir nicht jeden Tag hart daran arbeiten, das Problembewusstsein aufrechtzuerhalten, die Risiken und Lösungsansätze zu erklären, die Technologien weiterzuentwickeln, die Politiker unter Druck zu setzen, die gefährlichen Firmen zu klagen und die globale Zusammenarbeit zu unterstützen, dann ist das Rennen verloren.

Interview: Katharina Gruber aus Alpbach, Ö1-Wissenschaft

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