Ohne Politik mehr Lernbereitschaft

Soziale Medien gelten zunehmend als Echokammern, in denen man von anderen nichts lernen will. Das muss aber nicht sein, wie eine neue Studie zeigt. Lässt man die Politik aus dem Spiel, steigt die Lernbereitschaft deutlich.

Die neue Studie beschäftigt sich mit einem grundsätzlichen Problem der Wissenschaft: Viele Menschen interpretieren wissenschaftliche Erkenntnisse nicht korrekt, sondern so, wie es in ihr Weltbild passt. Diskussionen um den Klimawandel zeigen das immer wieder, vor allem in den USA: Ob man akzeptiert, dass es eine menschengemachte Erderwärmung gibt, hängt dort sehr stark von der eigenen politischen Einstellung ab. Ein Forscherteam um Damon Centola von der University of Pennsylvania hat sich nun damit beschäftigt, wie soziale Medien diese Dynamik beeinflussen.

Frühere Studien haben gezeigt, dass die politische Polarisierung in sozialen Medien oft verstärkt wird, wenn Menschen mit Meinungen konfrontiert werden, die von ihrer eigenen abweichen. In dieser Situation würden Menschen ihren Standpunkt erst recht verteidigen und sich von anderen Argumenten nicht überzeugen lassen. Laut der neuen Studie widerspricht dies aber der Forschung zu kollektiver Intelligenz. Diese zeige, dass gegenseitiges Lernen begünstigt wird, wenn Meinungen in sozialen Netzwerken ausgetauscht werden. Damon Centola und seine Network Dynamics Group haben daher getestet, ob das auch bei polarisierenden Themen wie dem Klimawandel zutrifft.

Das Ergebnis: „Der Grund für Polarisierung ist nicht die Kommunikation zwischen Anhängern unterschiedlicher Parteien, sondern die Kommunikation in einem politisierten Kontext. Wenn politische Symbolik im Spiel ist, verharren Menschen in ihren eingefahrenen, parteiischen Einstellungen“, so Centola gegenüber science.ORF.at.

Politische Symbole verstärken Polarisierung

Für ein Online-Experiment mussten 2.400 Probanden - die Hälfte Republikaner, die Hälfte Demokraten - auf eigens konstruierten Social-Media-Seiten ein Diagramm interpretieren, das die Entwicklung der Eismenge in der Arktis zeigt. Anhand von Daten der letzten dreißig Jahre sollten sie voraussagen, wie viel arktisches Eis im Jahr 2025 vorhanden sein wird. Dabei lagen 40 Prozent der Republikaner und 26 Prozent der Demokraten falsch – sie prognostizierten, dass die Eismenge steigen werde.

Klimagrafik Antarktiseis

University of Pennsylvania

Durchschnittliche Eismenge in der Arktis pro Monat von 1979 bis 2013: Dieses Diagramm sollten die Studienteilnehmer interpretieren. Da die Kurve am Ende nach oben zeigt, glaubten viele Teilnehmer, dass die Eismenge langfristig mehr wird.

In einem zweiten Schritt hatten die Teilnehmer unter verschiedenen Bedingungen die Chance, ihre Einschätzung zu korrigieren. Das gelang den Teilnehmern je nach Testgruppe unterschiedlich gut. Die Gruppe, welche lediglich die Schätzungen der anderen, anonymen Teilnehmer sah, verbesserte ihre Einschätzung deutlich: Nur noch zwölf Prozent der Republikaner und 14 Prozent der Demokraten lagen falsch. Bei der Gruppe, die auch die politische Einstellung der anderen Teilnehmer sehen konnte, war dieser Lerneffekt deutlich geringer, die Polarisierung war weiterhin erkennbar. Und sogar wenn die politische Zugehörigkeit der anderen Teilnehmer nicht sichtbar war, sondern nur die beiden Symbole der amerikanischen Großparteien – ein Esel und ein Elefant – auf der Plattform eingeblendet wurden, wurden die Lerneffekte weniger.

Mit anderen Worten: Sobald man den Teilnehmern suggerierte, dass es um ein politisches Thema geht, schalteten sie auf stur und blieben bei ihren ursprünglichen Einschätzungen.

Schon das Erscheinen der Parteilogos reichte aus, damit die Teilnehmer auf stur schalteten

PNAS

Schon das Erscheinen der Parteilogos reichte aus, damit die Teilnehmer auf stur schalteten

Neutrale Kommunikation erleichtert Lernen

Ob diese Erkenntnisse auch für die tatsächliche Kommunikation – ob online oder von Angesicht zu Angesicht - gelten, bleibt offen. Immerhin haben die Teilnehmer der Studie nicht direkt miteinander kommuniziert.

Studienleiter Centola zieht aus seiner Arbeit dennoch Schlüsse für die Praxis: Die sachliche Kommunikation zwischen Anhängern unterschiedlicher Parteien in sozialen Netzwerken könne stark verbessert werden, wenn politische Symbole und Logos reduziert oder entfernt werden. „Das gilt auch für Fernsehsendungen, in denen Leute zum Klimawandel diskutieren. Wenn Symbole der Parteizugehörigkeit entfernt werden, sind die Leute eher gewillt, voneinander zu lernen und zu einem sachkundigen Konsens zu gelangen, so der Kommunikationsforscher.

Und eine weitere Idee für die reale Kommunikation hat Centola: Man könnte versuchen, Menschen miteinander zu verbinden, die zwar politisch nicht übereinstimmen, die aber andere Gemeinsamkeiten haben, also etwa einen ähnlichen Musikgeschmack. „Je ähnlicher Menschen sich in anderen Bereichen sind, umso empfänglicher werden sie auch für die Meinung des anderen zu kontroversen politischen Themen sein,“ so der Forscher gegenüber science.orf.at.

Julia Geistberger, science.ORF.at

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