Fakten hinter dem Mythos Sobieski

Um ein Denkmal für den Polenkönig Jan Sobieski am Wiener Kahlenberg ist ein Streit ausgebrochen. Sein Beitrag zur „Türkenbefreiung“ ist umstritten und der Platz des Denkmals falsch, schreibt der Historiker Johannes Feichtinger in einem Gastbeitrag.

1683 ist nicht vergessen. Um den Sieg König Jan III. Sobieski über die Osmanen ranken sich nach wie vor viele Mythen. Die Osmanen hatten Wien 61 Tage lang belagert, das kaiserliche Koalitionsheer hat mit der Entscheidungsschlacht am 12. September 1683 die Haupt- und Residenzstadt befreit. Seither wird die Schlacht am Kahlenberg im Stadtgedächtnis immer wieder neu aufgegriffen, aktualisiert und neu interpretiert. In den ersten 100 Jahren statteten Hof und Kirche jährlich den himmlischen Mächten ihren Dank ab.

Hintergrund:

Über den Autor

Johannes Feichtinger ist Historiker an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Dozent für Neuere Geschichte an der Universität Wien. In seinen Forschungen beschäftigte er sich unter anderem mit dem Türkengedächtnis in Wien und Zentraleuropa.

Erst im 19. Jahrhundert wurden die weltlichen Helden gefeiert und mit neuen Denkmälern gewürdigt. 1883, zum zweihundertsten Jahrestag der Schlacht, gab das Ministerium für Cultus und Unterricht das Starhemberg-Denkmal in Auftrag, mit dem im Wiener Stephansdom dem kaiserlichen Verteidiger der Stadt gedacht werden sollte. Zugleich widmete die Stadt Wien dem weitgehend vergessenen Bürgermeister von 1683 Johann Andreas von Liebenberg ihr erstes Monumentaldenkmal an der Wiener Ringstraße und den Entsatzheeren eine Gedenktafel auf dem Kahlenberg.

Johann III. Sobieski, König von Polen (1624 - 1696)

ONB

Johann III. Sobieski, König von Polen (1624 - 1696)

1883: 40 Meter hohe Siegessäule geplant

1883 begann auch der Streit um die Rolle Sobieskis beim Entsatz von Wien. Der habsburgtreue Historiker Onno Klopp hatte mit seiner umfangreichen Monographie über den Türkenkrieg den Unmut polnischer Nationalisten erregt. Der Reichsratsabgeordnete Jan Chełmecki beschuldigte ihn, „die Verdienste der Polen um die Christenheit“ nicht ausreichend gewürdigt zu haben. Stein des Anstoßes war auch das Türkenbefreiungsdenkmal im Stephansdom (eingeweiht 1893, zerstört 1945).

Hier war Sobieski gleichwertig mit anderen am Entsatz beteiligen Heerführern dargestellt. Im Mittelpunkt stand der kaiserliche Verteidiger der Stadt Ernst Rüdiger von Starhemberg, Sobieski blieb eine Randfigur. Die Absicht der Denkmalstifter war, sowohl die Verteidigung von innen als auch den Entsatz der Stadt von außen für Staat und Dynastie zu reklamieren.

Mit diesem Denkmal nahm der Staat zudem einem Denkmalprojekt des liberalen Wiener Gemeinderats den Wind aus den Segeln. Geplant war eine 40 Meter hohe Siegessäule mit Aussichtsgalerie am Kahlenberg, die sich auch aus finanziellen Gründen als nicht realisierbar erweisen sollte. Stattdessen errichteten die Wiener Stadtväter das Liebenberg-Denkmal vor der Mölkerbastei (enthüllt am 12. September 1890) und eine Gedenktafel über dem Hauptportal der Josefskirche auf dem Kahlenberg (enthüllt am 11. September 1883).

Messe auf dem Leopoldsberg: Die Messe des Marco d'Aviano in der alten Georgskapelle mit König Johann III. Sobieski von Polen als Ministrant. Aquarell von Josef von Führich, 1842.

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Messe auf dem Leopoldsberg: Die Messe des Marco d’Aviano in der alten Georgskapelle mit König Johann III. Sobieski von Polen als Ministrant. Aquarell von Josef von Führich, 1842.

Abwehrkämpfer gegen viele Feinde

Seither sind die Kontroversen über die Rolle Sobieskis beim Entsatz von Wien nicht abgerissen. Die Verfechter der Darstellung Sobieskis als Retter des Abendlandes in Wien sahen im polnischen König einen Abwehrkämpfer gegen Feinde von innen und außen. Dieses Feindbild war offen für unterschiedliche Zuschreibungen: 1883 waren es Slawen und Juden, bei den Türkenbefreiungsfeiern im autoritären Ständestaat 1933 waren es die anstürmenden Nationalsozialisten, im Schatten des Kalten Krieges war es der Kommunismus, gegenwärtig sind es wieder Muslime.

Auch die Geschichtsschreibung war Teil des Kampfes um die Deutung von 1683. Bis heute ist die Frage, welchen Anteil Sobieski am Sieg vor Wien hatte, nicht vollständig geklärt. Große Zweifel hegte der liberale Wiener Historiker Johann Newald (1817-1886), der in seinem Standardwerk Beiträge zur Geschichte der Belagerung von Wien durch die Türken, im Jahre 1683 folgende Feststellung traf:

„Thatsache ist, dass der linke Flügel der Entsatzarmee schon am frühen Morgen des 12. September in Action trat, und unter heftigen Kämpfen die Feinde aus allen Stellungen verjagte, so dass der Sieg so viel wie entschieden war, als der rechte Flügel [d.h. die Polen mit ihrem König], Nachmittags 2 Uhr, erst in die Schlachtlinie einrückte. […] Niemand wird die Bedeutung der polnischen Hilfe für die Rettung von Wien auch nur im mindesten verkürzen wollen. Allein den Bestrebungen, die da glauben machen wollen, es habe Wien seine Rettung nur den Polen zu verdanken, muss denn doch die Wahrheit entgegengestellt werden. […] Die Ehre des Tages gebührte dem Herzog von Lothringen.“

Es begann am Leopoldsberg

Die Frage, an welchem Ort die legendäre Messe vor der Entsatzschlacht stattgefunden hat, in der Sobieski dem Kapuzinerpater Marco d’Aviano ministiert haben soll, scheint mitterweile jedoch geklärt: Es ist nicht der Kahlenberg, sondern der benachbarte Leopoldsberg. Felix Czeike schreibt lapidar im Historischen Lexikon der Stadt Wien, dass „die hist. Messe, die Marco d’Aviano 1683 feierte u. bei der Sobieski angebl. ministrierte, in der alten Georgskapelle auf dem Leopoldsberg gelesen wurde.“ 1693 war der historische Kahlenberg in Leopoldsberg und der gegenüberliegende Josefsberg in Kahlenberg umbenannt worden.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts im Besitz eines Wiener Bürgers, wurde der Kahlenberg mit der Josefskirche zu jenem Ort aufgewertet und verklärt, von dem die Schlacht am 12. September 1683 angeblich ihren Ausgang genommen hatte. Die Josefskirche war 1852 am Jahrestag der Schlacht erneut eingeweiht worden. Seit damals wurde in dieser Kirche unter bürgerlichem Patronat jährlich die Befreiung Wiens gefeiert.

Eine Kniebank mit der Aufschrift „Papst Johannes Paul II. betete auf dieser Kniebank am 13. September 1983 aus Anlass des 300-Jahr-Jubiläums des Entsatzes von Wien“ in der „Sobieski-Kirche“.

APA - Herbert P. Oczeret

Eine Kniebank mit der Aufschrift „Papst Johannes Paul II. betete auf dieser Kniebank am 13. September 1983 aus Anlass des 300-Jahr-Jubiläums des Entsatzes von Wien“ in der „Sobieski-Kirche“ am Kahlenberg.

1883 wählte die Stadt Wien die Josefskirche als jenen Ort, an dem Bürgermeister Eduard Uhl das mit der Säkularfeier verbundene deutschliberale Bekenntnis deutlich zum Ausdruck bringen konnte. Dass der „gewaltige Feind […] der abendländischen Cultur“ damals zurückgeschlagen worden war, sei Vermächtnis und Auftrag für die Gegenwart, „abzuwehren alle Angriffe“ auf Wien als „Hort deutscher Cultur“. Am 4. April 1906 übergab der Inhaber die Josefskirche durch Schenkung an den polnischen Orden der Resurrektionisten in Wien.

1983 errichteten die Resurrektionisten am Hauptportal der Josefskirche eine neue Gedenktafel. In der zweisprachigen Inschrift wird „Jan III. Sobieski“, „dem Oberbefehlshaber der verbündeten Heere“, für den Entsatz von Wien zur „Rettung der Christenheit“ gedankt. Im selben Jahr erinnerte Papst Johannes Paul II. in einem in polnischer Sprache gehaltenen Teil seiner Rede auf dem Kahlenberg an den „Sieg der polnischen Armee und einer Koalition der europäischen Länder unter der Führung unseres Königs Jan III. Sobieski“.

Angesichts der Pläne für ein neues Denkmal zur Erinnerung an 1683 sollte die Wahl des Standorts jedenfalls auf wissenschaftlich gesicherter Grundlage getroffen werden.

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