Gehirn passt sich Sprechtempo an

Beim Zuhören stellt sich das Gehirn auf das Tempo ein, mit dem jemand anderer spricht. Sogar die Gehirnwellen von Sprechern und Zuhörern sind im Einklang, wie Experimente zeigen.

Sprachen sind voller Mehrdeutigkeiten, dennoch können sich die meisten Menschen mühelos und zügig miteinander unterhalten, ohne dass es permanent zu Missverständnissen kommt. Damit das so gut funktioniert, muss das Gehirn blitzschnell reagieren.

Sofort - wenn ein Sprecher oder eine Sprecherin zu sprechen beginnt - entstehen beim Zuhörer Erwartungshaltungen. Er ahnt gewissermaßen schon, was kommt. Manche Menschen entwickeln sogar die Angewohnheit, die Sätze des Gegenübers zu beenden und liegen damit oft richtig. Parallel wird meist schon eine Antwort formuliert. Das alles geschieht in Sekundenbruchteilen.

Die Studie

„Neural entrainment determines the words we hear“, Current Biology, 6.9.2018

Dieses Wechselspiel spiegelt sich auch im Gehirn, wie Untersuchungen mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) zeigen. So ergab z.B. eine in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ 2010 veröffentlichte Studie, dass die Hirnaktivitäten von Sprechern und Zuhörern tatsächlich aneinander gekoppelt sind. Die Gehirne arbeiten mehr oder weniger im Gleichschritt.

Tempo manipuliert

Wie weit die Koppelung geht, zeigt die aktuelle Arbeit der Forscher um Anne Kösem vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen: Sie betrifft nämlich sogar die Sprechgeschwindigkeit.

Bei den Experimenten wurden den Probanden Sätze vorgespielt. Der Anfang eines Satzes war entweder komprimiert oder gedehnt, die Geschwindigkeit also schneller oder langsamer als bei der Originalaufnahme. Gegen Ende des Satzes wurde das Sprechtempo wieder normalisiert - so dass am Ende des Hörstücks beide Zuhörergruppen wieder das Gleiche hörten.

Synchronisierung der Gehirnwellen

Am Satzende der niederländischen Äußerung hatten die Forscher allerdings akustische Mehrdeutigkeiten versteckt, die auch tatsächlich unterschiedlich verstanden wurden - je nachdem, wie die Sprechgeschwindigkeit zuvor manipuliert worden war. Dadurch änderte sich auch der Inhalt. Ein Hörbeispiel betraf die niederländischen Wörter „tak“ und „taak“. Mit kurzem „a“ heißt es „Ast“, mit langem „aa“ „Aufgabe“. Probanden, denen die Version mit dem schnellen Anfang vorgespielt worden waren, hörten das lange „aa“ und jene mit dem langsamen das kurze „a“.

Gleichzeitig wurden die Hirnaktivitäten mittels Magnetenzephalographie aufgezeichnet. Dabei zeigte sich, dass sich die Gehirnströme an das Anfangstempo angepasst hatten und diesen Rhythmus während des ganzen Satzes beibehielten. Offensichtlich benutzt das Hirn die Anfangsgeschwindigkeit ebenfalls als Maßstab für das, was kommt, erklärt die Forscherin in einer Aussendung. Die Synchronisierung der Gehirnwellen mit der Sprechgeschwindigkeit hilft demnach dabei, die relative Länge der kommenden Silben einzuschätzen.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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