Weniger Druck für mehr Integrität

Immer wieder erschüttern gefälschte Studienergebnisse die Wissenschaft. Wie man solches Fehlverhalten verhindern kann, diskutierten Experten gestern in Wien. Ihre Forderung: weniger Publikationsdruck für den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Eines der Grundprinzipien wissenschaftlichen Arbeitens ist die Wiederholbarkeit von Studien: Wird eine sozialpsychologische Befragung wiederholt, muss es dabei zu den gleichen oder zumindest ähnlichen Ergebnissen kommen wie beim ersten Versuch. Das gilt genauso für eine Medikamentenstudie an Labormäusen oder die Beobachtung von Wildtieren in der Natur. Gelingt das nicht, sind berechtigte Zweifel an der Methode erlaubt. Solche Zweifel können in Österreich seit zehn Jahren bei der Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) gemeldet werden.

Die ÖAWI

Die Österreichische Agentur für Wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) wurde 2008 gegründet und hat im Juni 2009 ihre Arbeit aufgenommen. Seit damals hat die Kommission 144 Anfragen bekommen und konnte in 40 Fällen wissenschaftliches Fehlverhalten feststellen. Unter dem Eindruck von Plagiatsfällen und mehreren Verdachtsfällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens haben Universitäten und Forschungseinrichtungen 2008 die ÖAWI als Verein gegründet. Eine aus sieben ausländischen Experten zusammengesetzte Kommission untersucht unabhängig Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens in Österreich und bewertet diese.

Quelle: APA

Zehn Jahre Selbstkontrolle

Anlässlich des zehnjährigen Bestehens der ÖAWI, fand gestern ein Symposium in Wien statt, bei dem das österreichische Modell der wissenschaftlichen Selbstkontrolle auch internationalen Zuspruch fand. Wenn von handfestem Betrug die Rede sei, würde sowieso Anzeige erstattet, erklärt Lex Bouter, Professor für Methoden und Integrität an der Universität Amsterdam.

Bevor Rechtsorgane eingeschaltet würden, sei es besser, das Fehlverhalten auf akademischer Ebene zu klären. So könne man etwaige systematische Fehler schneller entdecken und beheben. „Statt härterer Strafen würde ich mich dafür einsetzen, das System zu verändern“, so Bouter gegen science.ORF.at.

Mehr Transparenz, weniger Druck

Die Rahmenbedingungen müssten so gestaltet werden, dass die wissenschaftliche Forschung möglichst transparent ablaufen könne. In diesem Sinn begrüße Bouter die Ankündigung des Wissenschaftsfonds FWF zukünftig nur mehr jene Studien zu fördern, die „Open Access“, also frei zugänglich, erscheinen und nicht in jenen Fachzeitschriften, die abonniert werden müssen.

„Gerade, wenn es um öffentliche Förderungen geht, um Geld von den Steuerzahlern, ist das eine wirklich gute Idee“, sagt Bouter. Dann könne jeder nachvollziehen, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gearbeitet hätten. Einen negativen Aspekt habe diese Strategie jedoch: Gerade junge Wissenschaftler müssten sich um Veröffentlichung in renommierten Abo-Zeitschriften bemühen, um Karriere zu machen. „Hier müsste das System verändert und der Publikationsdruck verringert werden“, so Bouter.

Ö1-Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“: 11.9., 13.55 Uhr.

Abo-System finanziert Kontrolle

Dass das derzeitige System falsche Anreize setzt, beobachtet auch Sabine Kleinert, leitende Redakteurin der Medizin-Fachzeitschrift „The Lancet“, eines der Flaggschiffe des wegen seiner Preisgestaltung mehrfach in die Kritik geratenen Verlagsriesen Elsevier. Seit den 1950er Jahren verdoppelt sich die Anzahl wissenschaftlicher Publikationen im Schnitt alle neun Jahre. Hier brauche es eine Entschleunigung, um Qualität und Integrität in der Forschung fördern zu können.

Die Strategie, sich gänzlich auf „Open Access“-Modelle, also einen freien Zugang zu Studien, konzentrieren zu wollen, sieht die studierte Medizinerin jedoch kritisch. „In solchen Systemen ist es de facto unmöglich, eine personalintensive, redaktionelle Kontrolle zu haben“, so Kleinert. Zeitschriften wie „The Lancet“ würden nur einen sehr kleinen Teil der eingereichten Studien publizieren. Diesen Aufwand könne man nur im Rahmen eines Abonnement-Modells finanzieren.

Neues Modell für „Open Access“

„The Lancet“ selbst publiziert einige Studien mit „Open Access“, dafür müssen die Institutionen oder Forschungsförderer jedoch hohe Summen bezahlen. „Und die Bezahlung, die wir dafür bekommen, würde nicht ausreichen, um die Zeitschrift mit der aktuellen Qualitätskontrolle zu finanzieren“, so Kleinert. Die Abonnements würden den „Open Access“-Anteil gewissermaßen subventionieren. „In punkto Integrität bietet das ‚Open Access‘-Modell viele Vorteile, wir müssen nur darüber nachdenken, wie wir ein solches Modell finanzieren könnten“, meint die Redakteurin.

Eine Schattenseite des „Open Access“-Modells habe der Skandal rund um sogenannte Raubverleger offenbart, sagt Kleinert. Da man bei „Open Access“-Publikationen so gut wie immer für die Veröffentlichung zahle, würden betrügerische Pseudoverlage diesen Umstand ausnützen, indem sie Studien ungeprüft veröffentlichen, dafür aber kassieren.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft

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