Weiterer Schwund zu befürchten

Die Menge an Bienen und anderen Insekten schrumpft - nicht zuletzt wegen der monokulturellen Landwirtschaft. Die steigenden Temperaturen bieten den Insekten zwar bessere Bedingungen, das wird laut Experten den Artenschwund aber nicht bremsen.

Vor knapp einem Jahr sorgte in Deutschland eine Studie des Entomologischen Vereins Krefeld für Aufsehen, die das Insektensterben in unserem Nachbarland eindeutig bezifferte: In den vergangenen drei Jahrzehnte hatte sich die Anzahl der fliegenden Insekten um 75 Prozent verringert. Die Studie, die in der Fachzeitschrift PLOS ONE erschien, sorgte für mediales und politisches Aufsehen.

Biomasse im Archiv

Plötzlich war sogar in den Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD vom Wildbienensterben und notwendigen Gegenmaßnahmen die Rede. Dass Bienen nicht die einzigen bedrohten Insektenarten seien und auch nicht die einzigen, die in der Natur als Bestäuber fungieren, werde aber oft vergessen, sagt der Insektenforscher Martin Sorg, Mitarbeiter des Entomologischen Vereins Krefeld und soeben Gast einer Konferenz in Wien.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“: 12.9., 13.55 Uhr.

Für ihre Studie hatten die Mitarbeiter des Vereins seit 1989 immer im März, zu Beginn der Insektensaison, in 63 Gebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und in Brandenburg sogenannte Malaise-Fallen aufgestellt: zeltartige Netze, die Fluginsekten in einen großen Sammelbehälter leiten, der mit Alkohol gefüllt ist, wo die Mücken, Fliegen, Falter und andere getötet werden. Am Ende der Vegetationsperioden im Herbst wurde das gesamte gefangene Material konserviert und im Archiv des Vereins untergebracht.

Weniger Insekten, weniger Arten

2017 werteten die Krefelder Entomologen diesen Datensatz aus und kamen zu dem Schluss, dass vor knapp 30 Jahren noch viermal so viele Insekten in Deutschland unterwegs waren wie heute. Aussagen über das Artensterben habe man jedoch keine gemacht, betont Sorg. Darüber wisse man nach wie vor zu wenig. „Die Untersuchungsdichte in Europa ist auch heute noch so gering, dass man kein vollständiges Verständnis für die Biodiversität bekommen kann“, so Sorg gegenüber science.ORF.at.

Weil in all den Jahren zu wenige Informationen über die Insektenvielfalt erhoben wurden, können die Wissenschaftler heute nicht sagen, welche Folgen der Artenschwund für die Ökosysteme hatte bzw. zukünftig haben wird. Klar sei nur, dass sich die Menge der Insekten verringere, nicht nur in Deutschland. „Aktuelle Ergebnisse aus den Niederlanden zeigen sehr ähnliche Rückgangstrends, da sehen wir eindeutige Parallelen zur Entwicklung in Deutschland“, sagt Sorg.

Vielfalt steigert Widerstandsraft

Schreitet der Klimawandel voran, könnte sich dieses Bild allerdings ändern. Denn es gibt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die einigen Insekten ein starkes Wachstum prognostizieren, wenn die Temperaturen steigen, allen voran Schädlingen. Dann würde es zwar mehr Insekten geben und dadurch auch mehr Biomasse, nicht aber eine größere Artenvielfalt.

Denn schon jetzt profitieren Schädlinge in landwirtschaftlichen Monokulturen davon, dass sie dort nur wenige natürliche Feinde aus der Insektengemeinschaft antreffen. „Gerade bei den Insekten haben wir viele Arten, die räuberisch leben und eine jeweils andere Art regulieren“, so Sorg. In einer Monokultur werde dieses regulatorische System gestört. Das sei mit Blick auf die Zukunft besonders kritisch, meint der Insektenforscher. Prognosen seien zwar wegen mangelnder Vergleichsdaten nicht möglich, aber man wisse, dass eine große Artenvielfalt ein Ökosystem widerstandsfähiger macht.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft

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