Begründer des „Marshmallow-Tests“ gestorben

Walter Mischel wurde in den 1960er Jahren durch seine „Marshmallow-Experimente“ berühmt. Nun ist der aus Wien stammende Psychologe verstorben. Wie die Columbia University mitteilte, erlag er 88-jährig einer Krebserkrankung.

Mischels Studien zum Belohnungsaufschub sind Klassiker der psychologischen Forschung: Mit seinen „Marshmallow-Experimenten“ wollte er die Fähigkeit vierjähriger Kinder untersuchen, kurzfristigen Verlockungen zugunsten langfristiger Ziele zu widerstehen - also ihre Willenskraft testen.

Die Kinder konnten sich in der klassischen Versuchsanordnung entscheiden, einen vor ihnen liegenden Marshmallow entweder zu essen oder auf den Versuchsleiter zu warten, der vorher in Aussicht stellte, nach einigen Minuten einen zweiten zu bringen, wenn das Kind den ersten nach Ablauf der Zeit noch nicht gegessen hatte.

Dieser Versuchsaufbau und die Schlüsse daraus prägten Mischels wissenschaftliche Biografie nachhaltig. Später konnte er zeigen, dass die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub im Kindesalter mit Stressresistenz und höherer sozialer Kompetenz im frühen Erwachsenenalter einhergeht.

Persönlichkeiten sind „inkonsistent“

Basierend auf seinen Arbeiten entwickelte Mischel auch ein kognitives Persönlichkeitsmodell, das große Bedeutung erlangte. Persönlichkeit besteht demnach nicht darin, dass der Mensch „über viele Situationen hinweg konsistent, sondern in sehr individueller Weise unverkennbar inkonsistent handelt“, sagte Mischel 2012 gegenüber der APA.

In den vergangenen Jahren beschäftigt sich der emeritierte Professor der Columbia University in New York vor allem mit den genetischen Grundlagen des Belohnungsaufschubs und der Frage, wie Willenskraft erlernt werden kann. Mischels Arbeiten beeinflussten auch die Bildungs- und die Entscheidungsforschung in den Wirtschaftswissenschaften nachhaltig.

Walter Mischel bei einem Interview in Wien

APA/HERBERT NEUBAUER

Oktober 2012: Walter Mischel bei einem Interview in Wien

Sein Interesse an der Persönlichkeitspsychologie sei zum Teil darauf zurückzuführen, dass er am 22. Februar 1930 in der Stadt Sigmund Freuds geboren wurde, sagte er einmal. Mit Wien verband Mischel aber letztendlich vor allem bittere Erinnerungen: „Ich war ein sehr patriotischer kleiner österreichischer Bub, und nach dem ‚Anschluss‘ veränderte sich alles dramatisch.“

Flucht vor den Nazis, Karriere im Exil

Mit viel Glück konnte die jüdische Familie „unter schrecklichen Bedingungen“ vor den Nazis flüchten. In Verbindung mit diesen traumatischen Erlebnissen war auch sein Anspruch zu verstehen, Grundlagenforschung zu betreiben, die Kindern hilft, „die eine wirklich schwere Zeit in ihrem Leben durchgemacht haben“ und auf deren Basis sich „wirklich positive Veränderungen im Leben junger Menschen“ bewirken lassen. Seine Geburtsstadt besuchte Mischel später nur sehr selten, seine Gefühle ihr gegenüber seien „sehr schmerzhaft“, sagte er.

Wie viele Vertriebene blickte er mit Ambivalenz auf sein Schicksal zurück: „Da gibt es viel Wut, aber auch viel Dankbarkeit. Ich bin nicht dankbar für 1938, aber für die vielen Dinge, die ein gutes Leben ermöglicht haben“, sagte Mischel in dem von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) initiierten Film „Exile & Excellence. The Class of ’38“.

Nach seiner Flucht wuchs Mischel im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf und verbrachte auch sein gesamtes wissenschaftliches Leben an renommierten US-Institutionen. Sein Psychologie-Studium an der Ohio State University schloss er 1956 ab. Von 1956 bis 1958 lehrte er an der University of Colorado, danach ging er für vier Jahre an die Harvard University. Zwischen 1962 und 1983 war er an der Stanford University tätig, wo er auch seine berühmten Experimente durchführte. Seit 1983 lehrte und forschte er an der Columbia University, auch im hohen Alter war er noch aktiv.

science.ORF.at/APA

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