Arbeitsverbot für Flüchtlinge ist teuer

Je länger Flüchtlinge nicht arbeiten dürfen, desto teurer wird es für Staat und Gesellschaft. Eine neue Studie hat das am Beispiel von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien berechnet: Schon wenige Monate gehen in die Millionen.

Die Debatte über Lehrlinge ohne positiven Asylbescheid haben gezeigt: Auch in Österreich ist die Frage, ob bzw. ab wann Flüchtlinge arbeiten dürfen, höchst umstritten. Durch die nun im Fachjournal „Science Advances“ veröffentlichte Studie bekommen jene Stimmen Unterstützung, die für einen möglichst frühen Zugang zum Arbeitsmarkt plädieren.

Urteil beschleunigt Arbeitsmarktzugang

Jens Hainmüller und Kollegen vom Immigration Policy Lab der Universität Stanford und der ETH Zürich haben die Jahre 1999 und 2000 analysiert. Damals kamen zigtausende Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland, innerhalb dieser zwei Jahre änderte sich allerdings eine wichtige Rahmenbedingung: Während jene Menschen, die 1999 in Deutschland ankamen, durchschnittlich 19 Monate auf eine Arbeitserlaubnis warten mussten, verkürzte ein Gerichtsurteil diese Frist im Jahr 2000 auf zwölf Monate.

Ein junger Mann aus Afghanistan konjugiert "arbeiten" während einer Unterrichtseinheit eines Deutschkurses für Flüchtlinge.

APA/dpa/Marijan Murat

Egal, ob Sprachkurs, Asylverfahren oder Arbeit - langes Warten wirkt negativ.

Für die Forscher sind das ideale Bedingungen für eine Studie: Alle Umstände - beispielswiese durchschnittliches Bildungsniveau und Alter der Geflüchteten sowie Wirtschaftswachstum - blieben gleich, nur ein Faktor, der Zugang zum Arbeitsmarkt, veränderte sich. Das Ergebnis dieses Vergleichs: Fünf Jahre nach der Ankunft in Deutschland hatten 49 Prozent jener Menschen Arbeit, die ein Jahr auf die Erlaubnis warten mussten. Von den länger Wartenden hatten nur 29 Prozent einen Job gefunden. „Sie brauchten bis zu zehn Jahre, bis sie die gleichen Erwerbsraten hatten wie jene, die schon nach einem Jahr arbeiten konnten“, erklärt Studien-Co-Autor Dominik Hangartner vom Immigation Policy Lab der ETH Zürich im Interview mit science.ORF.at.

„Narbeneffekt“ wirkt lange

Die Forscher erklären sich das vor allem durch den demoralisierenden Effekt von Arbeitslosigkeit: Je länger ein Mensch nicht arbeiten darf, desto mehr sinkt die Motivation. Von einer regelrechten „Erosion“ spricht Dominik Hangartner. Wird das Arbeitsverbot ausgehoben, steigt die Motivation nicht sofort wieder an - die Forschung nennt das einen „Narbeneffekt“. Je früher negative Erfahrungen gemacht werden, desto tiefere Narben bleiben: „Die ersten Monate in einem fremden Land sind besonders wichtig für die langfristige Integration. Alles, das gleich zu Beginn schlecht läuft, hat einen disproportional negativen Effekt.“ Arbeit sei dabei nicht der einzige Faktor, so Hangartner, das treffe auch auf den Zugang zu Sprachkursen und die Dauer des Asylverfahrens zu.

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Über das Thema berichtet auch „Mittagsjournal“ um 12.00 Uhr am 21.9.2018.

Schon wenige Monate wirken auch Jahre später noch nach. Die aktuelle Studie gießt diesen „Narbeneffekt“ in konkrete Zahlen: Wäre der Arbeitsmarkt für jene 40.500 Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien, die 1999 nach Deutschland gekommen sind, um sieben Monate früher geöffnet worden, hätte sich das Land 40 Millionen Euro pro Jahr an höheren Sozialausgaben und niedrigeren Steuereinnahmen gespart.

Flüchtlinge könnten besonders empfänglich für diesen „Narbeneffekt“ sein, weil sie durch die Erfahrungen von Krieg und Gewalt in ihrer Existenz erschüttert sind. Jede weitere Verunsicherung wirke deshalb besonders langfristig, so die Studie.

Fakten für hitzige Debatte

Was heißt das nun für die politische Praxis? Dominik Hangartner: „Wenn das Ziel die möglichst schnelle und gute Erwerbsintegration von Geflüchteten ist, dann ist es sicherlich sinnvoll, dass sie möglichst schnell arbeiten können.“ Er verweist etwa auf die Schweiz, wo Menschen nach drei Monaten bereits arbeiten dürfen, und auf Schweden, wo Flüchtlinge schon am zweiten Tag nach der Einreise arbeiten dürfen, während das Asylverfahren noch läuft. Grundsätzlich könne man Asylstatus und Arbeitserlaubnis entkoppeln. „Im schlimmsten Fall hat jemand einige Monate gearbeitet und muss dann das Land verlassen.“

Mit ihrer Studie wollen die Forscher Fakten für eine oft hitzig geführte Debatte liefern, zu der es bisher kaum wissenschaftlich gesicherte Evidenz gibt: „Wir wollen keine Politik machen. Wir wollen einen Beitrag für die Diskussion liefern.“ Klar sei laut Dominik Hangartner, dass die Kosten von restriktiver Arbeitsmarktpolitik für die Aufnahmeländer relativ groß sind. „Junge Menschen künstlich von Ausbildung und Arbeit fernzuhalten, kostet den Steuerzahler viel Geld - nicht nur kurzfristig, sondern auch noch lange danach.“

Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft

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