Ungarns Geheimdienst öffnet sein Archiv

Während des Kalten Kriegs war Österreich eine Drehscheibe für ausländische Geheimdienste. Besonders aktiv soll hier der ungarische Geheimdienst gewesen sein. Bislang ist das Thema noch weitgehend unerforscht – das könnte sich jetzt ändern.

Das Historische Archiv der Staatssicherheitsdienste Ungarns in Budapest hat vor kurzem seine Türen für die Forschung geöffnet. Originaldokumente aus der Zeit zwischen 1948 und 1989 stehen Wissenschaftlern vom Ludwig Boltzmann Institut (LBI) für Kriegsfolgenforschung, nun zur Verfügung. Eine heute stattfindende Konferenz in Budapest gibt den Auftakt für eine neue österreichisch-ungarische Zusammenarbeit.

Kamen mit dem Ungarnaufstand 1956 wirklich so viele Geheimdienstmitarbeiter nach Österreich, wie die Amerikaner immer behaupteten? Stimmt es, dass die Ungarn in Österreich Informationen über andere Westmächte einsammelten? Das sind nur zwei von vielen Fragen, auf die sich der Historiker Dieter Bacher vom LBI für Kriegsfolgenforschung demnächst eine Antwort erhofft.

Einseitige Quellenlage

Was man bisher über die Aktivitäten der kommunistischen ungarischen Staatssicherheit weiß, das stammt hauptsächlich aus den Quellen des amerikanischen Geheimdienstes. Diese Informationen zu verifizieren und neue Erkenntnisse zu gewinnen, wäre das Ziel der zukünftigen Forschung. Erst seit kurzer Zeit nämlich ist das Historische Archiv der Staatsicherheitsdienste Ungarns für Wissenschaftler geöffnet.

SW-Foto einer geheimdienstlichen Observierung: Männer in Anzügen neben einem geparkten Auto

ABTL

Geheimdienstliche Observierung in Wien

„Sicher ist, dass die ungarischen Geheimdienste wie auch alle anderen Geheimdienste, durchaus auf die Mitarbeit von Österreichern gesetzt haben, und zwar nicht nur auf Spitzel in hohen Positionen, sondern durchaus auch Normalbürger für Geheimdienstaktivitäten angeworben haben“, so Dieter Bacher.

Österreich Informations-Hotspot

Klar ist auch: Österreich war zwar Informationsdrehscheibe, nicht aber Fokus von Geheimdiensten aus dem Ausland. Hier wurde erkundet, in anderen Weststaaten wurden Operationen ausgeführt. Wie die Ungarn dabei vorgingen, ist aber noch völlig unerforscht.

Es sind nicht die Einzelpersonen, sondern die Strukturen und die Organisation des ungarischen Geheimdienstwesens, die Dieter Bacher interessieren. „Die wichtigste Frage, die wir uns stellen, ist, dass wir einmal wirklich einen Überblick über die Netzwerke bekommen. Das heißt, wie umfangreich waren die Operationen hier wirklich, hatten die Amerikaner mit ihrer Einschätzung wirklich recht?“

Rückschlüsse auf die Gegenwart

Spannend wäre auch zu wissen, welche Rolle die Informationen aus Österreich für konkrete politische oder wirtschaftliche Entscheidungen Ungarns zur damaligen Zeit spielten, meint Bacher. Kilometerlange Regalreihen voller Aufzeichnungen stehen den Wissenschaftlern nun zur Verfügung. Da gibt es Berichte von Informanten, die von Netzwerken aus Österreich an die Ungarn geliefert wurden – meist in deutscher Sprache.

Aber auch die ungarischen Berichte über ausgeführte Operationen sind vielversprechend. Um zu verstehen, wie die Netzwerke von damals funktioniert haben und auch, welche Fehler damals passiert sind. „Was waren die Schwächen damals? Hier kann man gewisse Rückschlüsse ziehen für die Arbeit der Geheimdienste heutzutage, das können wichtige Hinweise sein“, vermutet Dieter Bacher.

Hanna Ronzheimer, science.ORF.at

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