Resistente Bakterien als Kriegsgefahr

Normalerweise spricht man bei biologischen Waffen von gefährlichen Krankheitserregern. Doch in den vergangenen zehn Jahren hat sich eine neue Dimension der Kriegsführung aufgetan: Multiresistente Bakterien gefährden Kriegsopfer zunehmend und sie verbreiten sich weltweit.

Milzbrand, Pest oder Brucellose gehören zu den Krankheiten, die kriegsführende Staaten jahrelang erforscht haben. Wären biologische Waffen, sogenannte B-Kampfstoffe, zum Einsatz gekommen, wollte man sofort zurückschlagen können. Seit 1971 verhindert das die Biowaffenkonvention, die von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Doch in der biologischen Kriegsführung habe sich seitdem ein ganz anderes Problem aufgetan: Multiresistente Bakterien, die sich mit gängigen Antibiotika nicht bekämpfen lassen. Die spielen heute vor allem bei Konflikten im Mittleren Osten eine wesentliche Rolle.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmete sich auch die Sendung „Wissen aktuell“ am 2.10. um 13.55 Uhr.

Gefahr im irakischen Boden

Einer dieser multiresistenten Erreger ist Acinetobacter baumannii, der zunächst als „Iraqibacter“ bezeichnet wurde. In den 2000er Jahren beobachteten Militärmediziner, dass sich verletzte US-Soldaten, die aus dem Irak und später auch aus Afghanistan heimgekehrt waren, nicht von ihren Wundinfektionen erholen konnten. Denn die „Iraqibacter“ reagierten nicht auf herkömmliche Antibiotika.

Der Mediziner und Anthropologe Vinh-Kim Nguyen, der an der kanadischen Université de Montréal und der Sorbonne in Paris forscht, beschäftigt sich seit einiger Zeit mit der Verbreitung dieser Bakterien. Seine Forschungsergebnisse präsentierte er am Wochenende beim Vienna Humanities Festival. Eine entscheidende Rolle für die Ausbreitung dürfte die Art der Kriegsführung gespielt haben. Die US-Soldaten wurden häufig durch Minen oder Bomben verletzt, die auch den Erdboden aufgerissen haben.

Langsam, klobig und faul

Mittlerweile findet man Acinetobacter baumannii in vielen Spitälern auf der ganzen Welt und es kommt immer wieder zu Ausbrüchen. Wie bei vielen anderen multiresistenten Bakterien ist das hauptsächlich ein Problem für ältere, kranke und immunschwache Menschen. Das Interessante an Acinetobacter b. ist laut Nguyen, dass es sich bei diesen Bakterien um besonders „langsame, klobige und faule“ Organismen handle.

„Aber, und das ist entscheidend, kommt Acinetobacter mit anderen resistenten Bakterien in Kontakt, gelingt es dem Organismus andere Resistenz-Gene einzusammeln“, so der Mediziner. Es agiere wie eine Art bakterielles Archiv und könne sich so weitere Resistenzen gegen Antibiotika aneignen. Solange sich diese trägen Bakterien im Boden aufhalten, profitieren sie nicht wirklich von dieser Eigenschaft. Denn bei der Vermehrung sind sie behäbig.

Krieg begünstigt Verbreitung

Das ändere sich, sobald sie in den menschlichen Körper gelangen, sagt Nguyen. „In diesen Wunden, die mit Antibiotika behandelt werden, sterben die agilen, sich schnell vermehrenden Bakterien ab“, erläutert der Mediziner. Denn sie hätten genetisch nicht die notwendigen Ressourcen, um Multiresistenzen aufbauen zu können. Acinetobacter überlebt aber und verbreitet sich in Spitälern und Krankenstationen.

Nguyen und seine Kollegen erforschen auch, wie es dazu gekommen ist, dass sich diese trägen Bakterien überhaupt im irakischen und afghanischen Boden verbreiten konnten. Einerseits dürfte mangelnde Hygiene, der Zusammenbruch der Sanitärversorgung und der öffentlichen Gesundheitspflege in Kriegszeiten dazu beigetragen haben. Andererseits werden im Krieg Gebäude und Infrastrukturen zerstört und auf diese Weise gelangen Schwermetalle in Umwelt und Böden.

Schwermetalle stärken Bakterien

„Schwermetalle regen Bakterien dazu an, resistent gegen Antibiotika zu werden“, so Nguyen. Dafür müssten die Organismen nicht einmal mit den Medikamenten in Berührung kommen. „Die Art und Weise, wie die Bakterien lernen, sich genetisch vor den Schwermetallen zu schützen, nützt ihnen auch bei der Abwehr von Antibiotika“, erläutert der Mediziner.

Nguyen hat diese Erkenntnis zum Anlass genommen, den Zusammenhang von Schwermetallen und Antibiotikaresistenzen genauer zu untersuchen, auch in menschlichen Organismen. „Denn wenn wir nicht bald verstehen, wie diese Resistenzen genau entstehen, könnte es bereits in 15 Jahren keine wirksamen Antibiotika mehr geben“, warnt der Mediziner.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft

Mehr zu dem Thema: