5.000 Gesichter kennt das Gedächtnis

Tagtäglich sieht man Hunderte Gesichter, im echten Leben und auf Abbildungen. Nicht alle bleiben einem im Gedächtnis. Insgesamt kann man sich zwischen 1.000 und 10.000 Personen merken, wie Forscher nun berechnet haben.

Babys interessieren sich für Gesichter mehr als für alles andere. Erwachsene können in Sekundenbruchteilen entscheiden, ob sie in ein vertrautes Antlitz blicken, selbst wenn sie ihr Gegenüber jahrelang nicht gesehen haben. Dass wir uns Gesichter so gut merken können, ist im sozialen Miteinander sicher kein Nachteil.

Die Studie

„How many faces do people know?“, Proceedings of the Royal Society B, 10.10.2018

Die längste Zeit seiner Geschichte lebte der Mensch allerdings in sehr überschaubaren Gruppen. Genauso überschaubar war auch die Anzahl der Gesichter, in die sie und er täglich blickten, bzw. der Menschen, die man kennen bzw. erkennen sollte. Anders heute: Abgesehen von der digitalen Bilderflut, der sich die meisten freiwillig aussetzen, begegnet man auch im echten Leben tagtäglich zahllosen bekannten wie unbekannten Menschen.

Dabei fällt es manchen schwerer als anderen, sich an jemanden zu erinnern, den er oder sie nur ein- oder zweimal gesehen hat. Anderen hingegen reicht eine kurze Begegnung an der Supermarktkasse, um jemanden selbst zwei Wochen später wiederzuerkennen. Letztere bezeichnet man auch als „Super-Recognizer“ („Supererkenner“). Sie können ein bekanntes Gesicht unter Tausenden anderen erkennen. Die Londoner Polizei nutzt diese Fähigkeit etwa bei der Fahndung nach Verbrechern. Zu dieser Gruppe zählen etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung; ob man dazu gehört, kann man übrigens mit einem Test der Greenwich University herausfinden.

Am anderen Ende des Spektrums gibt es aber auch Menschen, die generell Schwierigkeiten haben, Gesichter wiederzuerkennen. Sie leiden unter Gesichtsblindheit oder Prosopagnosie. Bis zu zwei Prozent aller Menschen sollen davon betroffen sein.

Ins Gedächtnis rufen

Aber wie steht es um den Durchschnitt zwischen diesen beiden Extremen? Wie viele Gesichter bzw. Personen kann ein „normal“ begabter Mensch eigentlich im Gedächtnis behalten? Dieser Frage haben sich die Forscher um Rob Jenkins von der University of York in ihrer aktuellen Studie nun empirisch genähert. Bei den zeitaufwändigen Testreihen mussten 25 Studierende unterschiedliche Erinnerungs- bzw. Wiedererkennungstests absolvieren. Das ist eine recht kleine Gruppe, aber die Teilnehmer wurden ausgewählt, weil die Forscher wussten, dass diese gut mitarbeiten werden. Denn das Ziel der Studie war es letztlich auszuloten, wieviel Gesichter man sich zumindest theoretisch merken könnte.

Zuerst hatten sie eine Stunde, um möglichst viele Personen zu benennen, denen sie schon persönlich begegnet sind und die sie nach eigenen Angaben wiedererkennen würden. Als Hilfestellung erhielten sie unter anderem Excel-Sheets, die sie selbst befüllten. Die Kategorien wie Familie, Freunde, Arbeit, etc. sollten es den Teilnehmern erleichtern, sich möglichst viele Personen ins Gedächtnis zu rufen. Nach einer Stunde wurde der erste Test beendet. Im Durchschnitt hatten die Probanden 362 bekannte Gesichter gelistet. Hätten sie noch länger Zeit gehabt, wären es wohl um die 549 gewesen, wie die Forscher hochrechneten. Der zweite Test ähnelte dem ersten, nur mussten die Studierenden dieses Mal bekannte Personen in die Tabellen schreiben. In einer Stunde schafften sie 290, hochgerechnet wären es etwa 395 gewesen.

Große Unterschiede

Beim dritten Test ging es dann um das Wiedererkennen von bekannten Gesichtern (aus einem Pool von 3.441 Personen). Als erkannt zählten die Forscher eine Person, wenn sie auf zwei verschiedenen Bildern identifiziert worden war. Die Teilnehmer konnten sich so viel Zeit nehmen, wie sie wollten, für jede richtige Zuordnung gab es eine Belohnung.

Nachdem man mehr Gesichter erkennen kann, wenn man sie vorgesetzt bekommt; etwa fast fünf Mal so viele, als wenn man sich spontan daran erinnern muss, dienten die Ergebnisse des Erkennungstest in erster Linie als Parameter für die Hochrechnung. Die Ergebnisse des Erinnerungstests wurden dann addiert (549 + 395 = 944) und mit dem Verhältnis multipliziert: ergibt 4.240. Etwa 5.000 Gesichter kann sich der Mensch demnach also merken, wobei es laut den Forschern große Unterschiede gab: Die oder der Einzelne kann 1.000 bis 10.000 Gesichter im Gedächtnis behalten.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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