Literaten träumen die Revolution

Dass Österreich einen relativ unblutigen Übergang von der Monarchie zu einer nicht geliebten Republik erlebte, bleibt bis heute ein bemerkenswerter Vorgang. Doch es gab auch hierzulande einen Traum von der Revolution.

Und es waren ein paar junge Literaten, die die Revolution wollten, aber ihre Konsequenzen nicht zu Ende dachten, wie ein neues Buch im Jubiläumsjahr 2018 zeigt. Der Salzburger Germanist Norbert Christian Wolf, der sich zuletzt in einer großen Publikation mit den Umdeutungsversuchungen von Hugo von Hofmannsthals Salzburger Festspielidee nach 1918 beschäftigte, nimmt in seinem neuen Buch, „Revolution in Wien“ die Reaktionen der literarischen Intelligenz auf den gesellschaftlichen Umbruch in den Fokus.

Er stellt dabei einen markanten Bruch im literarischen Feld fest: den zwischen einer etablierten Generation von Schriftstellern, die sich bei allen politischen Unterschieden mit der neuen Republik schwertaten bzw. die danach trachteten, die alte Stellung im intellektuellen Feld auch in der neuen, unsichereren Zeit zu behaupten. Und einer neuen Generation von Literaten, die teils mit revolutionärer Begeisterung auf den Zusammenbruch der alten Ordnung reagierten. Die einen unter den Jungen, etwa Egon Erwin Kisch und Franz Werfel, suchten den Aufstand über die Barrikaden. Andere wie der junge Robert Musil sehnten sich nach der neuen großen egalitären Idee und nahmen zunächst als politische Mitarbeiter am Umbruch teil - Musil etwa war Pressemitarbeiter im jungen, sozialistisch geführten Außenministerium.

Egon Erwin Kisch und Kamerad in der Montur der Roten Garden

ÖNB-Bildarchiv / APA-Picturedesk

„Ein nervöser Literat, dem die Rote Garde ein malerischer Hintergrund eigenen Heldentums zu werden versprach“: Egon Erwin Kisch (l.) und der Infanterist Rothziegel am Beginn der Geschichte der Roten Garde

Stimmungsumschwung 1918

Bereits Otto Bauer, der neben seiner politischen Funktion in der Sozialdemokratie ja auch ein früher Historiograf der jungen Republik war, forderte in den 1920er Jahren, dass der „Niederschlag dieser schnellen Entwicklung der Stimmungen der bürgerlichen Intelligenz in der österreichischen Literatur" zu erfolgen habe.

Warum man gerade Literaten als Seismografen für den Übergang der gesellschaftlichen Ordnung in den Blick nehmen könne, erklärt Wolf im Gespräch mit ORF.at so: „Literaten sind für den Übergang insofern interessant, als sie aus einer bürgerlichen Schicht kommen, die zunächst begeistert war vom Krieg. Im Lauf des Krieges haben sie durch den Lauf der Ereignisse den Glauben an die Monarchie verloren und bewerten zunehmend schon die Vergangenheit Österreich-Ungarns negativ.“

Die Jungen, so Wolf in einem Interview am Rande der Vorstellung seines Buches in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, hätten sich teilweise für einen radikalen gesellschaftlichen Neubeginn eingesetzt, seien dabei aber von den Älteren aus dem liberalen Wiener Bürgertum kritisch beäugt worden, „allen voran von Karl Kraus, der stark darauf bedacht war, seine Position als alleiniger Kriegsgegner zu verteidigen“. Kraus habe gegen die neue Generation von Autoren polemisiert und daran erinnert, dass diese direkt vom Kriegspropagandaministerium zur Roten Garde übergelaufen seien.

Umstürzler und Bewahrer

Norbert Christian Wolf über die Spannungen im literarischen Feld: Jüngere wollten den Umsturz, die Etablierten kämpften um den Erhalt der eigenen Position in der neuen Ordnung.

Positionierungen am Beginn einer Karriere

Tatsächlich, so Wolf, sei die Rote Garde anfangs von Autoren wie Kisch und Werfel mitbestimmt worden. Andere wie Franz Blei, Leo Perutz und Albert Paris Gütersloh, der sein selbst gewähltes „von“ wieder ablegte, hätten ebenfalls von der Revolution und einem neuen, egalitären Gesellschaftsanfang geträumt und weitreichende sozialpolitische Forderungen erhoben. Viele, so erinnert Wolf, seien am Beginn ihrer literarischen Karriere gestanden, in zunehmendem Maße aber vom Lauf der Ereignisse und der Dominanz der alten Eliten in der neuen gesellschaftlichen Ordnung enttäuscht worden.

Vor allem Kisch, so lernt man aus den Darstellungen im Buch, inszenierte sich geschickt als Anführer, der sich sofort um mediale Präsenz seines Revolutionsprojekts bemühte. Dennoch gehen die Narrative über die Abläufe von damals auseinander, bemühten sich doch alle beteiligten Schriftsteller der Revolutionswochen wenige Jahre danach um eine Einordnung der Geschehnisse, die nicht selten unter dem Aspekt der Selbstlegitimierung stand.

Suche nach dem Narrativ

„In der Roten Garde hatte sich (...) so ziemlich alles gesammelt, was es zur Zeit an unruhiger Phantasterei und revolutionärem Köhlerglauben gab“, notierte etwa der beteiligte Julius Deutsch in seinen Memoiren: „Ihr Haupt war der Prager Schriftsteller Egon Erwin Kisch, ein nervöser Literat, dem die Rote Garde ein malerischer Hintergrund eigenen Heldentums zu werden versprach.“

Buchcover

Böhlau

Buchhinweis

Norbert Christian Wolf: Revolution in Wien. Die literarische Intelligenz im politischen Umbruch 1918/19. Böhlau, 364 Seiten, 30 Euro.

Kisch, der zu den revolutionären Abläufen im Stil einer heranbrechenden neuen Zeit keine „Heldenbehimmelung“ oder „Schönfärberei“ betreiben wollte, schrieb nach Übergriffen innerhalb dieser Bewegung im Rückblick in Form einer ausweichenden Selbstverteidigung: „Legitimationslos waren Hunderte von Leuten gekommen und waren aufgenommen worden, der erste Eindruck entschied über die Aufnahme. (...) So waren Leute unter uns, die hier nicht hingehörten“.

Nachträglich wird Kisch das Wirken der Roten Garde als das einer verantwortungsvollen, im Sinne der Staatsräson agierenden Truppe stilisieren, deren ursprüngliches Malheur vielleicht darin bestand, die Konsequenz revolutionärer Akte einfach nicht bis ins Letzte konsequent durchdacht zu haben. Die Idee einiger Rotgardisten, die kaiserliche Residenz in Schönbrunn zu besetzen, notierte Deutsch in seinen Memoiren als einen „in wilder Hast“ zustande gekommenen Akt, freilich einen, bei dem die Folgen nicht abgeschätzt wurden: "Hätte die Rote Garde den Kaiser in ihre Gewalt gebracht, dann hätte die Republik, die für die Sicherheit des bisherigen Herrscherhauses verantwortlich war, leicht in eine Abhängigkeit zur Roten Garde kommen können.

Vom politischen Masterplan zum Masterplan-Roman

Viele der jungen Autoren, die sich den neuen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen gezeigt hätten wie Musil, hätten im Laufe der Ereignisse die Hoffnung auf eine egalitäre Gesellschaft aufgegeben, erinnert Wolf: „Robert Musil hatte auf einen Masterplan der Sozialdemokratie gehofft, er schaute vor allem auf die Programmatik und interessierte sich weniger für die Hürden der Realpolitik.“ Blicke man auf seinen späteren Monumentalroman „Der Mann ohne Eigenschaften“, der ja die Wurzeln für den Zusammenbruch der Zentralmächte freilegen wollte, dann sei für Musil der Untergang der Monarchie so bedauerlich wie notwendig gewesen.

In seinem Buch schildert Wolf vor allem die Wochen im Herbst 1918, als zahlreiche Soldaten desillusioniert von der Front heimkehrten und den Zusammenbruch der Monarchie am eigenen Leib erlebten. Die Hoheitszeichen der k. u. k. Armee hatten ausgedient, und im Abreißen der Kokarden von den Kappen der Soldaten vollzog sich so etwas wie ein symbolischer Bruch mit der alten Ordnung.

„Von der Kappe des jungen Soldaten war die kaiserliche Kokarde verschwunden und durch ein Bändchen mit den polnischen Nationalfarben ersetzt worden“, schilderte der junge Manes Sperber eine Szene am „Vormittag des ersten oder zweiten Novembers 1918“ auf dem Wiener Nordbahnhof: „Das war ein Zeichen der Meuterei“, folgerte Sperber: Der Soldat habe den Mund geöffnet, „wie um einen wütenden Schrei auszustoßen, doch blieb er stumm: Das entsetzte Staunen machte ihn stumm.“

Reaktionen auf „Implosion der Hierarchien“

Die von Wolf konstatierte „Implosion der gesellschaftlichen Hierarchien“ wurde freilich unterschiedlich beantwortet. Hatten manche gehofft, die zurückkehrenden, enttäuschten Soldaten würden wie an anderen Orten die Träger einer neuen Revolution sein, mahnte die bürgerliche Presse im Herbst 1918 sehr schnell wie auch von Wolf zitiert, dass man „nicht in die Fehler Russlands verfallen“ wolle.

Überhaupt wurde ja vieles, was sich als neue, moderne Massengesellschaft schon im Herbst 1918 andeutete, von den damals etablierten Eliten als reale Bedrohung eingestuft. „Dass der revolutionäre Übergang von der Monarchie zur Republik für maßgebliche Teile der bisherigen Eliten einer Deklassierung gleichkam, erhöhte für diese Gruppen nicht die Attraktivität der neuen Staatsform“, konstatiert Wolf.

Die Revolutionäre in der Roten Garde um Autoren wie Kisch hätten bald feststellen müssen, dass besonnene Kräfte, etwa aus der Sozialdemokratie, das Ruder in die Hand genommen hatten. „Revolution machen heißt aber nicht alles zusammenhauen, sondern Revolution ist die Veränderung der politischen und sozialen Ordnung“, liest man dazu in der „Neuen Freien Presse“.

Transfer der Macht

Warum der Übergang von der Monarchie zur Republik in Österreich vergleichsweise friedlich vonstattenging, erklärt der Historiker Oliver Rathkolb.

So mancher revolutionäre Vorgang im Oktober 1918 strandete in einer Art austriakischer Posse, wie sie auch Musil im „Mann ohne Eigenschaften“ nicht pointierter hätte beschreiben können. Die Besetzung des Kriegsministeriums im Oktober 1918 durch republikanisch eingestellte Truppen sei nicht, wie Wolf erinnert, von einer Abrechnung mit den politischen Machthabern begleitet worden, „sondern von der Militärmusik“.

Rathkolb: „Die unterschätzte Republik“

Für die revolutionären Literaten war gerade jenes Element eine Enttäuschung, das eine friedliche Transition der Macht ermöglichte, wie der Historiker Oliver Rathkolb gegenüber ORF.at erinnert: „Das Überraschende an der sogenannten österreichischen Revolution war, dass die übergebliebenen deutschsprachigen Abgeordneten des Reichsrates sowohl die legislative als auch exekutive Gewalt an sich reißen und mit alten Machteliten einen Transfer der politischen Macht umgesetzt haben.“

In diesem geordneten Machtübergang sei auch die Familie Kaiser Karls unangetastet geblieben - und letztlich habe man es geschafft, binnen kurzer Zeit eine der modernsten Verfassungen zu verabschieden. Und es habe trotz aller Anschlusswünsche und einer tiefen ökonomischen Krise einen Staat gegeben, so Rathkolb, der in vielem, etwa der Gesetzgebung, durchaus vorbildlich und modern gewesen sei. Deshalb, so Rathkolb, würde er der Ersten Republik am ehesten den Beinamen „die unterschätzte Republik“ geben.

Für den Germanisten und Historiker Wolf ergibt sich aus seinen Recherchen auch eine historische Lektion. Natürlich hätten damals linke Kreise auf radikalere Reformen drängen können. Das Resultat wäre wohl ein Bürgerkrieg gewesen, so Wolf, der gerade ein Moment als Scharnier für das Werden des Staates in den ersten Jahren sieht: „Es ist der Erhalt der Gesprächsfähigkeit zwischen den Lagern, der entscheidend war - auch wenn das natürlich für alle Seiten Konzessionen bedeutete.“ Das, so Wolf im Gespräch, sei wohl auch eine der Lektionen von 1918 für die Gegenwart.

Gerald Heidegger, ORF.at

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