Warum Statistik so schwierig ist

Viele Menschen haben Probleme, Statistiken zu verstehen. Laut einer neuen Studie liegt das daran, dass sie dabei lieber umständlich denken als leichte Lösungswege wählen - selbst wenn sie auf dem Silbertablett präsentiert werden.

Kommt eine Frau zum Arzt. So beginnt kein schlechter Witz, sondern ein Rechenbeispiel von Patrick Weber, Mathematiker und Didaktiker an der Universität Regensburg. Er hat mit seinen Kollegen untersucht, warum Menschen sich mit Wahrscheinlichkeiten (in diesem Fall bedingte Wahrscheinlichkeiten) so schwer tun. Ein Phänomen, das seit den 1970er Jahren bekannt ist. „Wahrscheinlichkeiten sind wenig intuitiv und erzeugen manchmal Illusionen, weil wir uns unter Prozent weniger vorstellen können als unter einer Anzahl.“ Sich 30 Prozent der Österreicher vorzustellen ist demnach schwieriger als 30 von 100 Österreichern. Letzteres Format bezeichnet der Forscher als „natürliche Häufigkeit“.

Ein Beispiel: Brustkrebs

Die Frau macht in Webers Beispiel eine Mammographie. Das Ergebnis der Untersuchung auf Brustkrebs fällt positiv aus. „Jetzt will sie natürlich wissen, was das für sie bedeutet und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie tatsächlich Brustkrebs hat“, erklärt Weber. Ärzte nennen, wie die meisten von uns, in diesem Fall meist die falsche Zahl, so Weber, „nämlich irgendwas um die 80 Prozent.“

„Grundsätzlich liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau in unserem Beispiel in ihrem Alter Brustkrebs hat, bei einem Prozent.“ Folgendes weiß man nun über die Zuverlässigkeit von Mammographien: 90 Prozent der Frauen mit Brustkrebs werden von der Mammographie richtig erfasst. Zehn Prozent übersieht das Gerät. Allerdings bekommen auch manche Gesunde fälschlicherweise die Diagnose Brustkrebs - genauer sind es von den 99 Prozent der gesunden Frauen zehn Prozent. Wenn Sie nun nicht einfach ausrechnen können, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Frau aus Webers Beispiel tatsächlich Brustkrebs hat, sind Sie nicht allein. Laut einer Metaanalyse schaffen es im Schnitt nur vier von 100 bei einer Wahrscheinlichkeitsrechnung wie dieser auf das richtige Ergebnis zu kommen.

Das Problem ist, beinah jeder würde versuchen, die Wahrscheinlichkeit in Prozent zu rechnen. Kaum einer käme allerdings auf die Idee, die Frage mithilfe von „natürlichen Häufigkeiten“ zu klären. Dabei wäre es in vielen Situationen viel einfacher, so Weber. Auch das zeigte dieselbe Metaanalyse aus dem Jahr 2017: War die Angabe nicht in Prozent, sondern in absoluten Zahlen angegeben, schafften es statt vier plötzlich 24 von 100 zur richtigen Lösung zu kommen.

Rechnen mit der Anzahl an Personen

In Webers Beispiel würde das folgendermaßen funktionieren: Man wechselt von Prozent in die Welt der absoluten Zahlen und stellt sich die Anzahl der Frauen vor: konkret mit einer Stichprobe von 1.000 Frauen. Nach den eben genannten Wahrscheinlichkeiten sind von diesen 1.000 Frauen zehn tatsächlich krank (ein Prozent). Bei neun von diesen zehn Frauen zeigt die Mammographie richtigerweise Brustkrebs an (90 Prozent), eine Frau wird übersehen.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 12.10., 13:55 Uhr.

Bleiben noch die 990 gesunden Frauen. Hier bekommen also 99 fälschlicherweise ein positives Testergebnis (zehn Prozent). Das heißt, wir haben in Summe 108 Frauen mit einem positiven Testergebnis: neun Frauen, die richtigerweise ein positives Ergebnis bekommen und 99, die eigentlich vollkommen gesund sind. Neun von 108 sind also tatsächlich krank: Die Frau aus dem Beispiel ist also mit einer Wahrscheinlichkeit von 8,3 Prozent auch tatsächlich krank. (9 *100 / 108 = 8.3) [Anmerkung: Die Zahlen des Beispiels orientieren sich an Mammographiestudien aus dem Jahr 1982; mit Zahlen aus dem Jahr 2015 wäre die Frau in Deutschland zu 13 Prozent tatsächlich krank.]

Obwohl es sich in einigen Situationen anbietet, diesen mathematischen Weg einzuschlagen, klammern sich die meisten Menschen an komplexe Wahrscheinlichkeitsrechnungen mit Prozenten. Auch die Metaanalyse aus 2017 zeigte: Zwar konnte etwa ein Viertel der Menschen die Aufgaben mit Häufigkeiten richtig lösen, dennoch scheiterten Dreiviertel weiterhin. „Wir wollten wissen, warum das so ist und haben unseren Teilnehmern Rechenbeispiele vorgelegt: Einmal in Wahrscheinlichkeiten und einmal in Häufigkeiten formuliert. Wie sie die Angabe lösen, wurde freigestellt.“

Studie: Lieber kompliziert

Dabei zeigte sich in den Lösungen der Teilnehmer: Trotz Angabe in Häufigkeiten rechnete rund die Hälfte die Angabe in Prozent um und scheiterte, das richtige Ergebnis zu errechnen. Auf der anderen Seite: Nur die wenigsten rechneten die Wahrscheinlichkeitsangabe in Häufigkeiten um, so wie bei dem Mammographie-Beispiel. „Es zeigte sich aber eindeutig, dass der Großteil, der mit Häufigkeiten gerechnet hat, zum richtigen Ergebnis gekommen ist.“

Dass es uns an mathematischer Flexibilität mangelt bzw. dass wir komplexe Lösungswege bevorzugen, liegt den Autoren zufolge an der Schulausbildung. „Die Teilnehmer waren es von der Schule her so gewohnt, ständig mit Wahrscheinlichkeiten umzugehen, dass, selbst wenn man ihnen diesen simplen Lösungsweg präsentiert, sie auf das ihnen bekannte, komplizierte Lösungsschema zurückgreifen“, so Weber. Auch in Österreich und anderen Ländern werden natürliche Häufigkeiten zur Lösung solcher Wahrscheinlichkeitsaufgaben kaum unterrichtet. „Das fängt aber schon an den Universitäten an. Hier finden diese Lösungskonzepte kaum Anwendung.“

Den Grund dafür sieht der Forscher darin, dass natürliche Häufigkeiten in der Mathematik-Community weniger akzeptiert sind. Sie kamen erst in den 1990er Jahren auf und sind somit um viele Jahrzehnte jünger als Wahrscheinlichkeiten. „Noch wurden sie von vielen Mathematikern und Lehren nicht als mathematisch korrekt genug eingestuft. Man kann natürliche Häufigkeiten aber genauso mathematisch präzise definieren wie Wahrscheinlichkeiten.“ Gerade um reale Sachverhalte wie das Arzt-Beispiel nachvollziehen und beantworten zu können, wären weniger abstrakte Rechenwege wichtig, so Weber.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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