Wittgensteins persönliche Odyssee

Vor 100 Jahren hat Ludwig Wittgenstein seinen berühmten „Tactatus Logico-Philosophicus“ beendet. Die neue Ausstellung „Die Tractatus Odyssee“ widmet sich der „persönlichen Transformation“ des einflussreichen Philosophen.

Während seines letzten Fronturlaubs diktierte Ludwig Wittgenstein (1889-1951) im August 1918 die endgültige Fassung seiner Logisch-Philosophischen Abhandlung, die Anfang der 1920er Jahre veröffentlicht und unter dem Titel „Tractatus Logico-Philosophicus“ berühmt wurde. Eine Schau über das komplexe Werk selbst zu machen, in dem Wittgenstein seine Sprachtheorie darlegte und damit die Philosophie nachhaltig veränderte, sei anfänglich auf viel Skepsis gestoßen. „Deswegen ist es eine biografische Reise geworden“, sagt Radmila Schweitzer, Generalsekretärin der Wittgenstein Initiative.

„Vom Ultrareichen zum Asket“

In genau jener Lebensphase, in der der „Tractatus“ entstand, also in etwa zwischen 1912 und 1924, sei nämlich aus dem „verzogenen, arroganten Ultrareichen ein Asket“ geworden. Angetrieben wurde diese Entwicklung etwa durch seine traumatischen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg oder der Auseinandersetzung mit dem Werk Tolstois.

Das würden auch zwei Fotos in der Ausstellung belegen, die von 16. Oktober bis 30. November im Wiener Grillparzerhaus zu sehen ist. Sie zeigen Wittgenstein einmal vor dem Krieg und dann nach seinem Entschluss als Dreißigjähriger, die Philosophie an den Nagel zu hängen und Schullehrer in Niederösterreich zu werden. „Wir hoffen damit auch die Kraft seiner enorm charismatischen und inspirierenden Persönlichkeit und Sicht auf das Leben zu zeigen“, so Schweitzer über die Schau, die in Zusammenarbeit mit den Universitäten Cambridge und Oxford und den Wittgenstein Archives an der Uni Bergen (Norwegen) entstanden ist. Das Ausmaß an Selbstbestimmtheit, mit der er sein Leben angelegt habe, sei für die damalige Zeit „revolutionär“ gewesen.

Ein anderer Mensch

Im Zentrum seines laut Schweitzer ebenso mystischen wie poetisch-literarischen „Tractatus“ stehen das Wesen, die Form und die Wahrheit des Satzes. Sein Denken beeinflusste den Wiener Kreis, den Neopositivismus und die Entwicklung der mathematischen Logik nachhaltig, löste die sprachkritische Wende in der Philosophie aus und machte Wittgenstein zu einem der einflussreichsten philosophischen Vertreter des 20. Jahrhunderts.

Als „Odyssee“ könne man die Entstehung des bis heute rätselhaften Werkes durchaus sehen, so Schweitzer. Die ersten Gedanken zum „Tracatus“ entwickelte er in etwa im Herbst bzw. Winter 1913 in Norwegen - also noch vor Kriegsausbruch. Als Wittgenstein den „Tractatus“ dann im August 1918 vollendete, hatte sich die Welt grundlegend verändert: „Am Ende dieser Reise ist er ein ganz anderer Mensch.“

Großer Einfluss

Vielfach führen Wittgensteins Überlegungen zu dem Schluss, dass es letztendlich keine finalen Antworten gibt. „Das macht ihn vielleicht auch bis heute so spannend“, sagt Schweitzer. Nicht zuletzt reichte damit auch sein Einfluss bis tief in die Kultur: So wurden beispielsweise zahlreiche Schriftsteller von ihm beeinflusst - allen voran Thomas Bernhard. In der Populärkultur seien etwa Wittgensteins Einflüsse in den Filmen von Ethan und Joel Coen zu nennen. Auch die US-Sängerin Patti Smith oder der chinesische Künstler Ai Weiwei und viele andere beziehen sich laut Schweitzer immer wieder auf ihn.

Nach dem Auftakt in Wien wird die Schau voraussichtlich in Kooperation mit dem Außenministerium und den österreichischen Kulturforen auf Tour gehen. Zuerst wird man vermutlich Orte seiner „Odyssee“ ansteuern: So etwa Krakau - Wittgensteins erste Station im Ersten Weltkrieg -, Norwegen, London oder Moskau. Auch in den USA sei das Interesse an Wittgenstein ungebrochen groß, so Schweitzer.

science.ORF.at/APA

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