Zeitgeschichtsmuseen im Vergleich

Historische Museen gibt es in den meisten Ländern. Zeitgeschichte ist dabei meist nur der Endpunkt eines weit zurückgehenden Rund- und Rückblicks. Ein kleiner Vergleich von europäischen Museumsprojekten mit Fokus auf die Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts.

Haus der europäischen Geschichte Brüssel

Seit 2011 hat ein Team aus Historikern und Museumsfachleuten aus verschiedenen europäischen Ländern daran gearbeitet, ein europäisches Narrativ zu entwickeln, das sich gemeinsam darstellen lässt. „Das Museum soll nicht unbedingt die Vielfalt der Nationalgeschichten darstellen. Die Leitfrage ist ‚Was bindet den Kontinent zusammen?‘“, schildert Chefkuratorin Andrea Mork.

„Wir haben der Versuchung einer allumfassenden Präsentation der europäischen Geschichte widerstanden. Die Dauerausstellung konzentriert sich auf das 19. und 20. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der europäischen Integration nach 1945. Sie wird als das Ergebnis eines langen und schmerzvollen Lernprozesses und zugleich als ‚Produkt‘ des Kalten Krieges kenntlich gemacht.“ Neben der als „konstitutiv für das Selbstverständnis Europas“ empfundenen Hinterlassenschaft der Shoah sei auch der kommunistische Totalitarismus ein wichtiges Thema. „Wie unsere Ausstellung zeigt, verblassen die Erinnerungen an diese traumatischen Erfahrungen keineswegs mit wachsender zeitlicher Distanz. Deshalb ist die Verpflichtung zur Erinnerung eine Art kategorischer Imperativ geworden.“

Eröffnet wurde das Haus der europäischen Geschichte im Mai 2017 im Eastman-Gebäude im Leopoldpark, einer ehemaligen Zahnklinik im Herzen des Brüsseler Europaviertels, wo nach Renovierung und Erweiterung 4.000 Quadratmeter Fläche für die Dauerausstellung, 800 Quadratmeter für Wechselausstellungen und ein Veranstaltungsraum für 100 Personen entstanden ist. Mork spricht gegenüber der APA von breiter Rezeption und - abgesehen von einer Kampagne der polnischen Regierung gegen das Museum - „vorwiegend positiver Resonanz“: „Der Großteil der Kritik nimmt daran Anstoß, dass bestimmte Themen nicht oder nicht ausreichend gewürdigt werden. Die Kommentatoren fordern mehr zu Frauen und Immigranten, mehr zum Holocaust, mehr zu den Opfern des Kommunismus, mehr zur Europäischen Integration und zur NATO, ... und diese Liste ließe sich fortsetzen. Jedem dürfte klar sein, dass in einem Museum die Geschichte Europas nicht erschöpfend dargestellt werden kann.“

Haus der Geschichte Bonn

„Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn präsentiert einem breiten Publikum deutsche Zeitgeschichte vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die Gegenwart in vielfältigen Perspektiven anschaulich und lebendig. Mit ausdrucksstarken Originalobjekten, einprägsamen Bildern und individuellen Zeitzeugenberichten vermitteln die Dauer- und Wechselausstellungen nicht nur Kenntnisse der Vergangenheit, sondern bieten auch emotionale Zugänge zu historischen Prozessen bis in die Gegenwart.“ So beschreibt der Historiker Hans Walter Hütter gegenüber der APA das Erfolgsrezept jener Institution, deren Stiftungs-Präsident er seit 2007 ist. „Auch ein attraktives Veranstaltungs- und Publikationsprogramm sowie zeitgemäße digitale Angebote sind wesentliche Bausteine des Erfolgs.“

Mit 850.000 Besuchern jährlich ist das Haus der Geschichte in Bonn eines der meistbesuchten Museen in Deutschland. Die Sammlung umfasst rund eine Million Objekte, von der Briefmarke bis zum Panzer. In der Dauerausstellung „Unsere Geschichte“ wird auf 4.000 Quadratmetern mit mehr als 7.000 Objekten deutsche Zeitgeschichte von 1945 bis in die Gegenwart beleuchtet. Jährlich bis zu vier Wechselausstellungen sind auf zusätzlichen 650 Quadratmetern aktuellen, zeithistorischen Themen gewidmet, seit 10. Oktober steht „Angst. Eine deutsche Gefühlslage?“ im Mittelpunkt. Hütter: „Ein zeitgemäßes Geschichtsmuseum stellt die Gegenwart in historische Zusammenhänge. Zeithistorische Ausstellungen bleiben nur durch kontinuierliche Überarbeitung und Aktualisierung attraktiv.“ Neben dem rund 22.000 Quadratmeter Gesamtnutzfläche umfassenden und 1994 durch Helmut Kohl eröffneten Museumsbau in Bonn gehören auch das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig sowie der Tränenpalast und das Museum in der Kulturbrauerei in Berlin zur Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Hütters Expertise ist auch in Wien gefragt: Er ist seit 2015 Mitglied des „Internationalen Beirates“, seit Sommer 2018 Mitglied im „Wissenschaftlichen Beirat“ des hdgö. Welche Fehler soll man seiner Ansicht nach bei der Neukonzeption eines zeitgeschichtlichen Museums unbedingt vermeiden? „Die Zielgruppe muss immer im Fokus stehen. Die Arbeit muss wissenschaftlich basiert und unabhängig erfolgen. Wichtig ist die Reduzierung der Themenfülle, die Erzählung von Geschichten, die sich zur Geschichte verknüpfen. Fragen stellen ist spannender als Antworten geben.“

Deutsches Historisches Museum Berlin

Das von rund 800.000 Menschen jährlich besuchte prominenteste deutsche Geschichtsmuseum(www.dhm.de) wurde erst vor etwas mehr als 30 Jahren gegründet: Nach dem großen Erfolg der Ausstellung „Preußen - Versuch einer Bilanz“ im Gropius-Bau 1981 waren Stimmen laut geworden, die eine dauerhafte historische Einrichtung forderten. Zunächst wurde ein Neubau in der Nähe des Reichstags forciert, ehe nach Mauerfall und Wiedervereinigung das Zeughaus, das älteste erhaltene Gebäude der Prachtstraße Unter den Linden, als Standort bestimmt wurde. Nach der Sanierung des Zeughauses wurde der große Zeughaushof überdacht und durch Architekt Ieoh Ming Pei ein auf vier Etagen 2.700 Quadratmeter umfassender Anbau für Sonderausstellungen errichtet, der seit 2003 bespielt wird.

Die Dauerausstellung „Deutsche Geschichte vom Mittelalter bis zum Mauerfall“ führt auf zwei Ebenen und 8.000 Quadratmetern in einem langen, chronologisch angeordneten Parcours durch das Zeughaus und erzählt mit rund 7.000 Objekten „von Menschen, Ideen, Ereignissen und geschichtlichen Abläufen“. „Im Zentrum steht dabei die politische Geschichte, gestaltet durch Herrscher, Politiker und verfasste Gemeinschaften“, heißt es über die Ausstellung, die in ihrer Masse von Informationen und Exponaten, aber auch in der Didaktik und Ausstellungsarchitektur nicht mehr up to date wirkt. Anders dagegen die Wechselausstellungen, die auch „heiße Eisen“ wie etwa „RAF - Terroristische Gewalt“ (2014) aufgreifen. Derzeit zu sehen: „Europa und das Meer“. Dazu heißt es: „Angesichts der Flucht von Millionen von Menschen nach Europa ist die Rolle des Meeres als Brücke und Grenze des Kontinents von großer Aktualität. Und auch die Nutzung und Ausbeutung der Meeresressourcen, Umwelt- und Klimafragen werden zunehmend öffentlich diskutiert.“

Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig

Zu einem regelrechten Museumsboom, aber auch zu hitzigen inhaltlichen wie gestalterischen Debatten kam es in den vergangenen Jahren in Polen. Das 2004 in einem ehemaligen Straßenbahn-Elektrizitätswerk eröffnete Museum des Warschauer Aufstands hat durch modernste Szenografien erstmals versucht, Kriegserfahrung nicht zu musealisieren, sondern als Infotainment erlebbar zu machen - ein bei Fachleuten umstrittenes, durch den großen Besucherandrang jedoch mit Rückenwind versehenes Konzept. Es folgten die 2010 als Teil des Historischen Museums der Stadt Krakau eröffnete Ausstellung in der Schindler-Fabrik und 2014 das Museum der Geschichte der Polnischen Juden in Warschau(www.polin.pl). Dieser im ehemaligen Ghetto gelegene, spektakuläre, mit einem gläsernen Riss versehene Neubau des finnischen Architekten Rainer Mahlamäki wurde 2016 mit dem Europäischen Museumspreis ausgezeichnet. Das Museum geriet zuletzt wegen seiner Einbeziehung des polnischen Antisemitismus unter Druck der nationalkonservativen Regierung.

Zu heftigen Kontroversen kam es auch rund um die Errichtung und Eröffnung des von der Regierung Donald Tusks 2008/09 geplanten Museums des Zweiten Weltkrieges in Danzig(www.muzeum1939.pl), deren inhaltliche Konzeption die neue polnische Regierung heftig bekämpfte. Das Leid der Zivilbevölkerung bildet den Kern der Erzählung, die keine nationalpolnische Perspektive forciert, sondern globale und europäische Zusammenhänge sucht. Schon vor der Eröffnung des vom Architekturbüro Kwadrat entworfenen, schräg aus dem Boden ragenden Kubus, der 23.000 Quadratmeter Geschoßflächen (davon 5.000 Quadratmeter Dauerausstellungsfläche) bietet, wurde daher von der Regierung versucht, einzugreifen. Die mit Kosteneinsparungen begründete Zusammenlegung des Hauses mit dem deutlich kleineren Westerplatte-Museum, die auch den Hinauswurf des ungeliebten Gründungsdirektors Pawel Machcewicz ermöglicht hätte, konnte vorübergehend gerichtlich verhindert werden. Doch schon wenige Tage nach der Eröffnung im März 2017 wurde die Zusammenlegung durchgesetzt und der Direktor gefeuert. Kommissarischer Museumsleiter ist seither der Historiker Karol Nawrocki, ein ehemaliger Fußballer und Boxer.

science.ORF.at/APA

Mehr zum Thema