Ein Schalter für das Immunsystem

Wiener Forscher haben einen Mechanismus gefunden, der das Immunsystem ein- bzw. ausschaltet. Das könnte neue Wege in der Krebstherapie und bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose eröffnen.

Körpereigene Waffen gegen Tumoren zu richten, ist die Idee, die hinter der Immuntherapie gegen Krebs steht. Diesem Ansatz ist ein Forscherteam des Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen gefolgt. Sie haben einen Stoff unter die Lupe genommen, der eigentlich eine wichtige Rolle im menschlichen Nervensystem spielt, einem Baustein der „Glückshormone“ Dopamin und Serotonin.

Die Studie

„The metabolite BH4 controls T cell proliferation in autoimmunity and cancer“, Nature, 7.11.2018

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“ am 8.11. um 13.55 Uhr.

Zwei Wirkstoffe regulieren Immunsystem

Die Forschungsergebnisse zeigen, dass ein Baustein dieser Glückshormone, BH4, das Immunsystem aktiviert. Denn BH4 schalte die T-Zellen gewissermaßen ein und aus, sagt der Zellbiologe Shane Cronin vom IMBA, der Erstautor der Studie. „Gibt es viel BH4, dann schalten sich die T-Zellen ein, sind bereit zu kämpfen und werden aggressiv“, so Cronin.

Der Zellbiologe konnte gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen am IMBA, der Universität Harvard und des Max Planck Instituts Heidelberg zwei Wirkstoffe identifizieren, die diesen Mechanismus nutzen und damit das Immunsystem regulieren. „BH4 ist bereits mit einem anderen Verwendungszweck auf dem Markt“, sagt Cronin. Den anderen Wirkstoff haben die Wissenschaftler selbst entdeckt und getestet. Sie könnten die T-Zellen jetzt also gezielt ein- bzw. ausschalten.

IMBA-Video zu den Forschungsresultaten

Wichtiger Kandidat für Krebstherapie

Das macht BH4 zu einem wichtigen Kandidaten für zukünftige Krebs-Immuntherapien, denn aktivierte T-Zellen spüren Krebszellen auf und bekämpfen sie. Erste Versuche an Mäusen waren bereits erfolgreich. Der andere Wirkstoff, den Cronin und seine Kollegen entdeckt haben, tut genau das Gegenteil: Er reguliert das BH4 und führt dazu, dass das Immunsystem heruntergefahren wird.

Reduziere man das BH4, könne man überaktive T-Zellen regulieren, die bei Autoimmunerkrankungen gesunde Zellen im Körper angreifen, sagt Cronin. Bei der entzündlichen Darmerkrankung Colitis ulcerosa, bei Multipler Sklerose, bei Allergien und Asthma waren die Wissenschaftler im Mausmodell bereits erfolgreich. Der neue Wirkstoff schaltete nicht nur BH4 und damit die T-Zellen aus, sondern beruhigte das gesamte Immunsystem. Beide Therapieansätze, jener gegen Autoimmunkrankheiten und jener gegen Krebs, sollen in den nächsten Jahren bereits klinisch getestet werden.

Auch als Antidepressivum denkbar

Sind die Wirkstoffe beim Patienten erfolgreich, könnten sie bereits in einigen Jahren auf den Markt kommen. Cronin möchte seine Forschung in der Zwischenzeit in einer anderen Richtung fortsetzen: Weil BH4 das „Glückshormon“ Serotonin beeinflusst und damit die Stimmungslage von Menschen, möchte der Zellbiologe den Zusammenhang von Immunsystem und Nervensystem genauer untersuchen.

„Vielleicht können wir mit demselben oder einem ähnlichen Wirkstoff auch den Serotoninspiegel im Hirn erhöhen“, meint Cronin. Das könnte nicht nur Fortschritte bei der Therapie von Depressionen bringen, sondern auch bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson, so die Hoffnung des Wissenschaftlers.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft

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