Urknall im Labor

Im Anfang war das Plasma: Am Genfer Kernforschungszentrum CERN wollen Wissenschaftler den Urknall im Experiment nachstellen. Wie man die Uhr des Universums zurückdreht, erklärt die Physikerin Johanna Stachel in einem Interview.

science.ORF.at: Frau Stachel, das Alice-Experiment des CERN tritt dieser Tage in seine - im Wortsinn - heiße Phase. Ziel ist die Simulation der ersten Augenblicke nach dem Urknall. Wie macht man das?

Johanna Stachel: Beim Alice-Experiment stellen wir uns die Frage: Was passiert, wenn man zwei Kerne von Bleiatomen mit hohen Energien aufeinander schießt? In den vergangenen acht Jahren haben wir gelernt: Der Großteil der Energie wird in Wärme umgewandelt, hier entstehen enorme Temperaturen. Sie entsprechen jenen Temperaturen, die ungefähr Nanosekunden bis Zehnmillionstel Sekunden nach dem Urknall im Universum geherrscht haben.

Wie heiß wird es im Teilchenbeschleuniger LHC?

Johanna Stachel: Ungefähr 200.000 Mal wärmer als im Inneren der Sonne, also etwa eine Billion Kelvin. Oder in Energieeinheiten ausgedrückt: Unsere Raumtemperatur entspricht einem Vierzigstel Elektronenvolt, im Experiment erreichen wir mehr als 160 Millionen Elektronenvolt.

Zur Person

Johanna Stachel ist Professorin am Physikalischen Institut der Uni Heidelberg. Am Genfer CERN erforscht sie das Quark-Gluon-Plasma - jener frühe Zustand der Materie, der kurz nach dem Urknall existiert hat und nun im Alice-Experiment erzeugt wird.

Am 7.11. gab Stachel an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eine „Lise Meitner Lecture“: „Erforschung von Urknallmaterie an der Weltmaschine LHC“

Was können Sie durch diese Urknall-Simulation herausfinden?

Johanna Stachel: Die frühesten Spuren des Universums, die wir bisher beobachten können, sind die sogenannten primordialen Elemente: Wasserstoff, Deuterium, Helium-3, Helium-4 - sie alle wurden Sekunden nach dem Urknall gebildet. Nach drei Minuten war alles zu Ende und dann ist sehr sehr lange nichts passiert. Wir wollen nun die Uhr zurückdrehen und Materie erzeugen, die anders ist als unsere normale Materie. Unter den Bedingungen des Experiments sind die elementaren Materiebausteine - die Quarks und die Gluonen - frei. Aus der Theorie wissen wir, dass so etwas passieren muss. Wir können sogar berechnen, bei welcher Temperatur es passiert. Aber wir möchten natürlich wissen, welche Eigenschaften dieser Zustand hat. Im Grunde wollen wir die Frage beantworten: Wie entsteht aus freien Quarks und Gluonen normale Materie? Von diesem Übergang hat das Universum keine Spuren hinterlassen.

Johanna Stachel bei ihrer Lecture an der Akadmeie

ÖAW/Elia Zilberberg

Johanna Stachel bei ihrer Lecture an der Akademie der Wissenschaften

Könnte es sein, dass die Messungen das bisher übliche Modell des Kosmos über den Haufen werfen?

Johanna Stachel: Ich halte es für nicht wahrscheinlich, dass wir die Welt, wie wir sie heute sehen, revolutionieren werden. Natürlich gibt es immer wieder Ideen, was für Konsequenzen das Experiment haben könnte. Aber die Ideen kommen und gehen. Eine interessante Frage ist: Gibt es diese Quark-Gluon-Materie auch heute noch im Universum? Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass es so eine Materie im Inneren von Neutronensternen gibt. Zwar können wir da natürlich nicht in hineinschauen, aber seit neuestem können wir mit Hilfe von Gravitationswellen beobachten, wenn zwei Neutronensterne kollidieren. Mit der nächsten Generation von Detektoren werden wir wahrscheinlich auch etwas über ihren inneren Aufbau erfahren.

Ein Messfühler, der mit so heißer Materie in Kontakt kommt, müsste sofort zerstört werden: Wie kann man solche Temperaturen überhaupt vermessen?

Johanna Stachel: Denken Sie an die Sonne: Wir kennen ihre Temperatur aufgrund des Lichts, das uns erreicht. Aufgrund der Tatsache, dass die Sonne gelb ist, wissen wir, dass ihre Oberfläche eine Temperatur von 5.700 Kelvin hat. Wenn ich die Herdplatte anlasse, dann wird sie zunächst rot-, dann gelb- und später weißglühend. Es gibt zwischen der emittierten Strahlung und der Temperatur einen Zusammenhang - und das gilt auch für die Quark-Gluon-Materie.

Kann man herausfinden, ob der Urknall eine Ursache hatte? Oder anders gefragt: Wer oder was hat hier ur-geknallt?

Johanna Stachel: Das ist eine Frage, zu der wir als Physiker sehr wenig sagen können. Wir machen Beobachtungen - und bestätigen damit theoretische Erwartungen. Wenn wir sie nicht bestätigen, müssen wir uns eben neue Bilder und Modelle machen. Was war die Ursache des Urknalls, wer hat das angeordnet? Um das zu beantworten, bräuchten wir vielleicht die Theologie.

Würden Sie sagen, dass sich die Physik mit dem Urknall-Modell der Genesis angenähert hat? Immerhin gibt es darin einen offiziellen „Schöpfungsakt“.

Johanna Stachel: Ich würde sagen, die Betrachtungen schließen sich keineswegs aus. Wir denken, dass wir aus einem singulären Ereignis entstanden sind. Man könnte durchaus sagen: Gott hat die Welt in seinen Komponenten erschaffen, erst entstanden Elemente, dann Sterne, dann Galaxien und schließlich Leben. Wenn man sich damit beschäftigt, wie kompliziert das alles ist und dennoch funktioniert, kann man sich schon die Frage stellen: Ist das ein zufälliger Prozess oder steckt da mehr dahinter?

Johanna Stachel beim Interview

ÖAW/Elia Zilberberg

Der Begriff „Urknall“ stammt von Fred Hoyle und war eigentlich spöttisch gemeint: Hoyle glaubte, dass das Universum unveränderlich ist. Das Wort blieb, aber der Spott ist verschwunden.

Johanna Stachel: Namen setzen sich eben manchmal fest. Bei den Quarks war es ähnlich: Als Murray Gell-Mann den Begriff prägte, waren das noch ziemlich exotische Objekte, von denen niemand wusste, ob sie wirklich existieren. Auch der Urknall war anfangs eine ganz wilde Idee. Vieles von dem, was in der Kosmologie behauptet wird, ist heute noch weitestgehend Imagination. Aber die Imagination führt zu Vorhersagen: Im Fall des Urknalls sehen wir einfach viele Signale, die auf einen Ursprung des Universums aus einem Zustand extrem hoher Energiedichte und Temperatur hinweisen.

Als Alternative wären etwa noch zwei Begriffe von Georges Lemaitre zur Verfügung gestanden: „Uratom“ und - extravaganter - „Kosmisches Ei“.

Johanna Stachel: Das wären Möglichkeiten gewesen, aber der Begriff „Urknall“ hat schon etwas: Wir beobachten die Expansion des Universums und des Raumes, das ist ein ähnliches Bild, wie man es sich von einer Explosion macht.

Der Brite Roger Penrose geht davon aus, dass es eine ganze Kette von Big Bangs gegeben hat: Was halten Sie davon?

Johanna Stachel: Man kann es nicht ausschließen. Um daran zu glauben, müsste so ein Modell etwas vorhersagen, das ich sehen kann. Es gibt auch die Idee, dass viele Universen existieren, vielleicht sogar unendlich viele. Es wäre auch möglich, dass das jetzt expandierende Universum irgendwann kontrahiert, so wie ein Jojo. Für mich entsteht Glaubwürdigkeit erst durch testbare Vorhersagen. Sonst ist es Spekulation, nicht Physik.

Sie haben ursprünglich Chemie studiert und sind erst zur Zeit der Diplomarbeit in die Physik gewechselt. So etwas passiert selten, oder?

Johanna Stachel: Ein Jahr vor dem Abitur wusste ich noch nicht so recht, was ich studieren soll. Ich dachte zunächst an Jura oder Psychologie - bis ich das Buch „Die Doppelhelix“ von James Watson las. Das war so fantastisch geschrieben, da dachte ich mir: Das wäre etwas für mich, genauso ein Rätsel wie die Aufklärung der DNA-Struktur möchte ich auch lösen. Aus diesem Grund habe ich zunächst Chemie studiert und auch das Diplom gemacht. Aber die Experimente im Labor hinterließen für mich immer den Eindruck: Glück gehabt, dass es wieder geklappt hat. Die physikalischen Methoden zogen mich einfach mehr an, deshalb begann ich während der Diplomarbeit auch Physik-Vorlesungen zu hören.

Der Fachwechsel könnte auch ein Vorteil sein: Fördert der Blick von außen kreative Zugänge?

Johanna Stachel: Ich denke schon. Je mehr Gebiete man von einem Fach kennt, desto mehr Ideen kann man woanders einbringen. Als in die USA ging, fragte mich keiner, was für einen Abschluss ich habe. Dort gilt nur die Frage: Was kann und was macht man? Und wenn man Physik macht, ist man eben Physikerin. Als ich Vorlesungen über Physik abhielt, lernte ich schnell all die Dinge, die ich während des Studiums nicht gemacht hatte. Das Wissen ändert sich ohnehin dauernd. Im Grunde kommt es darauf an, das Lernen zu lernen.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

Mehr zu diesem Thema: