Todesursache: Krankenhaus

Pro Jahr sterben in Österreich 4.500 Menschen an Infektionen mit Krankenhauskeimen – also zehnmal mehr als im Straßenverkehr. Eine skandalöse Statistik, kritisieren Experten: Es brauche rasche Gegenmaßnahmen.

Nach Angaben der Berliner Charite erkranken europaweit ca. vier Millionen Personen an einem Infektionserreger („nosokomiale Infektion“), mit dem sie sich in einer Gesundheitseinrichtung im Rahmen von Diagnosen oder Therapien angesteckt haben. Das erzeugt nicht nur beträchtliche Mehrkosten (es entstehen ca. 16 Millionen zusätzliche „Krankenhausverweiltage“), sondern hat auch fatale gesundheitliche Folgen: Laut Statistik sind EU-weit 37.000 Todesfälle direkt auf solche Infektionen zurückzuführen.

In Österreich steckt sich im Schnitt jeder zwanzigste Patient im Spital mit Keimen an. 4,5 bis fünf Prozent davon versterben daran, ein nicht abschätzbarer Anteil lebt mit bleibenden Schäden weiter.

Ein Pfleger zieht sich Handschuhe an

APA/dpa/Stephanie Pilick

Das Erregerspektrum

Bakterien verursachen rund 70 Prozent und Viren etwa 20 Prozent der Infekte. Der Rest entfällt auf Pilze und Parasiten. Die wichtigsten bakteriellen Erreger von Krankenhausinfektionen sind Staphylococcus aureus, Escherichia coli, Pseudomonas aeruginosa und Enterokokken. Viele dieser Keime findet man auch am oder im Körper von gesunden Menschen. Hier hält sie das intakte Immunsystem allerdings in Schach.

Ö1-Sendungshinweis

Radiodoktor - Medizin und Gesundheit: Unnötige Infektionen mit gefährlichen Krankenhauskeimen, 15.11., 16.05 Uhr.

Besonders gefährdet sind ältere Menschen und Schwerkranke. Ebenso alle Patienten, bei denen das körpereigene Abwehrsystem gewollt (Organtransplantation, Autoimmunerkrankung) oder ungewollt (Leukämie, Aids, Chemotherapie) unterdrückt wird.

Erkrankungsbilder im Überblick

Die Top Fünf der nosokomialen Infekte sind: Harnweginfekte (40 Prozent), postoperative Wundinfektionen (25 Prozent), Infektionen der unteren Atemwege (15 Prozent) gefolgt von Gefäßkatheter-assoziierten Infektionen (acht Prozent) und Sepsis (sieben Prozent). Eintrittspforten wie offene Wunden und Blut- oder Harnkatheter begünstigen solche Infektionen.

„Mindestens dreißig Prozent der Infektionen ließen sich durch relativ einfache, allgemein bekannte Hygienemaßnahmen verhindern. Dies wurde bereits 1974 von den Autoren der SCENIC-Studie festgestellt“, sagt Ojan Assadian, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (ÖGKH). Seine Forderung: Krankenhäuser müssten die erprobten Hygienemaßnahmen sicher in ihre Abläufe einbauen sowie Strategien entwickeln, mit denen man auch neuartige Infektionen eindämmen oder verhindern könnte.

Wenn man die aktuellen Daten zusammenfasst, ergibt sich folgendes Bild. Das Risiko für ein Individuum innerhalb eines Jahres zu sterben beträgt:

  • durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen 1:400
  • durch Zigarettenrauchen 1:500
  • durch nosokomiale Infektion 1:600
  • durch Krebs 1:900
  • durch Unfälle aller Art 1:4.000
Desinfektion von zwei Händen

dpa/Stephanie Pilick

Wer zahlt den Schaden?

„Über die Haftungsfrage wird in Österreich kaum diskutiert – das wird sich wahrscheinlich bald ändern“, sagt Maria Kletecka-Pulker, Juristin am Institut für Ethik und Recht in der Medizin in Wien. „Viele Betroffene sehen Krankenhausinfektionen immer noch als schicksalhaftes Geschehen an. Ob alle hygienischen Standards tatsächlich eingehalten wurden und die Infektion vermeidbar gewesen wäre, lässt sich im Einzelfall schwer nachweisen.“

Die derzeitige Praxis ist folgende: Die Entschädigungen werden nicht von den Versicherungen des Krankenhauses geleistet, sondern die Betroffenen erhalten das Geld aus dem Patientenentschädigungsfonds. Und jetzt wird es absurd: In diesen Fonds zahlt der Patient selber ein, nämlich 73 Cent pro Tag in einer Krankenanstalt (auf 28 Tage begrenzt). Im Klartext: Den Schaden, den sie in der Krankenanstalt erleiden, zahlen sie sich selbst.

Kletecka-Pulker: „Daher fordern die österreichischen Patientenanwälte, dass dieser Fonds solidarisch finanziert wird und daher auch die Krankenanstaltenträger und die Sozialversicherungsträger einzahlen.“

Lückenhafte Gesetzeslage

Außerdem fehlen weitgehend bindende, gesetzliche Regelungen zu den Hygienestandards in Krankenhäusern. Derzeit gibt es einen Qualitätsstandard zur Organisation und Strategie der Krankenhaushygiene, der zur Verbesserung der Krankenhaushygiene führen soll. Die Umsetzung von Hygienemaßnahmen obliegt in letzter Konsequenz den einzelnen Gesundheitseinrichtungen.

„Ein möglicher Ansatz wäre auch, die Infektionsraten von einzelnen Krankenanstalten zu veröffentlichen“, sagt Kletecka-Pulker. „Man könnte dann im Vorfeld der Operation überlegen, welchem Risiko man sich z. B. bei der Implantation einer Hüftprothese aussetzen will.“ Eine solche Transparenz könnte rasch zu einer Verbesserung der Schutzmaßnahmen und letztlich zu einer Reduktion der nosokomialen Infektionen führen, so die Juristin. Allerdings stoße man auch hier auf das Problem der Nachweisbarkeit und Vergleichbarkeit, weswegen die meisten Experten von einer Veröffentlichung in diesem Zusammenhang abraten würden: „Letztlich würde dies zu einer großen Verunsicherung führen.“

Tatsache ist derzeit: Jene Krankenhäuser, die nicht „sauber“ arbeiten, werden genau genommen belohnt. Denn nach einer nosokomialen Infektion innerhalb der Einrichtung erhalten sie für die Therapie der von dieser „kleinen Komplikation“ Betroffenen Geld aus dem Gesundheitssystem.

Vision 2040

Die österreichische Plattform Patientensicherheit hat einen Flyer zu diesem Thema erstellt – das Ziel: Die Zahl der vermeidbaren Todesfälle in österreichischen Krankenanstalten müsse bis 2040 drastisch gesenkt werden. „Es braucht Anreizmechanismen, um jene Institutionen und Personen zu unterstützen und zu belohnen, die alles daransetzen, um Patienten vor Schaden und Leid durch nosokomiale Infektionen zu schützen“, sagt Kletecka-Pulker.

Ähnlich lautet die Bilanz von Ojan Assadian: „Nosokomiale Infektionen einfach schicksalhaft hinzunehmen und nicht mit Nachdruck an einer zukünftigen Lösung zu arbeiten, darf nicht die Einstellung einer aufgeklärten und intelligenten Gesellschaft sein.“

Sarah Binder und Christoph Leprich, Ö1-Radiodoktor

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