Gleich und gleich gesellt sich gern

Ein gemeines Vorurteil lautet: Journalisten und Journalistinnen leben in einer Blase, in der sie in erster Linie miteinander sprechen. Eine neue Studie gibt dem zum Teil Recht – 30 Prozent aller Journalisten-Tweets auf Twitter beziehen sich auf Kollegen.

„Gleich und gleich gesellt sich nun einmal gerne. Das betrifft die ganze Gesellschaft“, sagt Folker Hanusch, Studienautor und Professor für Journalismus an der Universität Wien. „Bei dieser Berufsgruppe besteht allerdings die Gefahr eines Herdenjournalismus, der immer über die gleichen Dinge spricht und keine diversen Meinungen nach außen tragen und reflektieren kann.“

Soziale Homophilie in Australien untersucht

Hanusch hält Mittwochabend seine Antrittsvorlesung an der Uni Wien und hat vorher an der Queensland University of Technology in Australien gearbeitet. Aus dieser Zeit stammen die Daten zu der Studie zur „sozialen Homophilie“, wie es im Fachjargon heißt: Gemeint ist damit die Neigung von Menschen, andere eher zu mögen und mit ihnen in Kontakt zu treten, wenn einem diese ähnlich sind.

Um zu überprüfen, wie weit dieses Phänomen unter Journalisten und Journalistinnen verbreitet ist, hat Hanusch mit seinem Kollegen Daniel Nölleke zweieinhalb Millionen Tweets auf Twitter untersucht. Sie wurden zwischen September 2014 und August 2015 von über 3.000 Redakteuren und Redakteurinnen in Australien „gezwitschert“, rund zwei Millionen werteten die Kommunikationswissenschaftler als echte Interaktionen.

Screenshot der Twitter-Homepage von Mark di Stefano

Lukas Wieselberg, ORF

Der australische Journalist Mark di Stefano auf Twitter

„30 Prozent dieser Interaktionen erfolgten zwischen Journalisten, wobei 300 von ihnen für die Hälfte der ganzen Aufmerksamkeit verantwortlich sind“, erklärt Hanusch gegenüber science.ORF.at. Die restlichen 70 Prozent verteilten sich auf etwa 200.000 andere Twitter-User. Die Homophilie zeigt sich nicht nur bei der Branche insgesamt, sondern auch bei ausgewählten Eigenschaften. So twittern Männer eher mit anderen Männern, Frauen eher mit Frauen, Mitarbeiter eines bestimmten Mediums eher mit Kollegen, ebenso Journalisten innerhalb bestimmter Ressorts – wobei Politikredakteure überdurchschnittlich stark „unter sich bleiben“ – und Bewohner bestimmter geografischer Regionen.

Männer dominieren die Twittersphäre

Beim Geschlecht gibt es freilich Besonderheiten, wie Hanusch betont: „Männer dominieren die Twittersphäre in Australien. Die Daten zeigen, dass Männer bei direkten Interaktionen viel stärker mit anderen Männern kommunizieren, als Frauen mit anderen Frauen. Männer retweeten auch die Inhalte andere Männer öfter, Frauen retweeten hingegen Männer und Frauen gleichermaßen.“ Dazu gebe es zwar keine harten Daten, aber die Vermutung liegt nahe, dass das mit der hierarchischen Organisation des Journalismus zu tun hat, an dessen Spitze mehr Männer als Frauen stehen – und erstere sind somit auch in der Twittersphäre sichtbarer und zitierbarer.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 21.11., 13:55 Uhr.

Ob es in Australien auch einen Armin Wolf gibt? „In Australien ist Twitter im Journalismus weiter verbreitet als in Österreich, es wird auch mehr für die Alltagsarbeit verwendet“, sagt Hanusch. „Persönlichkeiten wie Armin Wolf fallen in Österreich mehr auf, in Australien gibt es mehr davon, einige von ihnen arbeiten auch für nicht-traditionelle Medienunternehmen wie etwa Mark di Stefano, der für Buzzfeed tätig ist.“

Auf Österreich übertragbar

Die Studie zum Journalismus hat Hanusch zwar für Australien gemacht, er glaubt aber prinzipiell, dass sie auch auf Österreich und andere Länder übertragbar ist. „Das Konzept der Homophilie stammt aus der Offline-Welt und wurde dort in ganz vielen Kontexten bestätigt.“

Den Vorwurf an die Zunft, in einer Blase zu sitzen, will der Kommunikationswissenschaftler hingegen nicht bestätigen. „Journalisten und Journalistinnen sind zwar in vielen Ländern kein akkurates Abbild der Gesellschaft. Dazu reicht es, sich den Anteil an Minderheiten in den Redaktionen anzuschauen. ‚Blase‘ würde ich das dennoch nicht nennen, sondern eine spezifische Community“, so Hanusch. Jüngste Forschungsergebnisse würden außerdem zeigen, dass man – entgegen dem gemeinen Vorurteil – in der Online-Welt eher gegensätzliche Meinungen zu Gesicht bekommt als in der Offline-Welt.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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