Vom „Judenklub“ zum fast „normalen“ Fußballverein

Rapid Wien hat es vorgemacht, nun hat auch die Austria ihre Geschichte im Nationalsozialismus aufgearbeitet. Ein neues Buch zeigt, wie ab 1938 aus dem „Judenklub“ ein – aus NS-Sicht – fast normaler Fußballverein wurde.

In 1980er Jahren konnte man sie noch hören: die „Judenschweine“-Schlachtgesänge von Rapid-Fans in Richtung des Austria-Anhangs. Das hat sich zwar mittlerweile geändert, aber der Ruf der Austria als jüdischer Verein besteht unter manchen Fußballfans noch immer. Dieser Ruf stammt aus den 1920er Jahren, als tatsächlich einige Spieler Juden waren. „1938 gab es hingegen keinen einzigen mehr bei der Austria“, sagt der Historiker Bernhard Hachleitner, einer der Autoren des aktuellen Buchs. „Allerdings bestand der komplette Vorstand aus Juden.“

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Über das Thema berichten auch die Ö1-Journale, 22.11., 12.00 Uhr.

Nach dem „Anschluss“ am 12. März 1938 änderte sich das schnell. Schon zwei Tage danach versperrte die Polizei die Tür des Austria-Sekretariats, weitere vier Tage später übernahm ein kommissarischer Leiter den Verein. „In den ersten Monaten wurden alle Vereine aufgefordert, ihre Statuten an die Einheitssatzungen des Nationalsozialismus anzupassen und einen neuen Vorstand zu wählen oder den alten zu bestätigen – sofern er nicht aus Juden oder aus NS-Sicht politisch bedenklichen Personen bestand“, sagt Hachleitner.

Am 16. Oktober wurde der Rechtsanwalt Bruno Eckerl zum „Vereinsführer“ gewählt und somit zum Nachfolger des jüdischen Arztes Emanuel Schwarz, der bis März Präsident war. Der Manager Robert Lang und der Schriftführer Heinrich Bauer wurden Opfer der Schoah, alle anderen Vorstandsmitglieder konnten ins Ausland flüchten – nicht zuletzt wegen ihrer guten internationalen Kontakte, die ihnen der Fußball ermöglichte.

Der Fußball macht Reklame für das "Ja" bei der "Anschluss"-Volksabstimmung

Anno / ÖNB

Der Fußball macht Reklame für das „Ja“ bei der „Anschluss“-Volksabstimmung

Kaltenbrunner: Uninteressierter Ehrenpräsident

Der neue Vorstand war also schnell „judenfrei“. Er bestand aber nicht unbedingt aus überzeugten Nazis, sondern eher aus Karrieristen, sagt Hachleitner. „Viele Mitglieder des neuen Vorstands waren zum Zeitpunkt ihrer Wahl noch nicht Mitglieder der NSDAP, sie haben zwar den Antrag gestellt, mussten aber noch warten.“

Projekt von Austria, Uni Wien

Das Buch „Ein Fußballverein aus Wien – Der FK Austria im Nationalsozialismus 1938–1945“ (Autoren: Bernhard Hachleitner, Matthias Marschik, Rudolf Müllner, Johann Skocek) ist im Böhlau Verlag erschienen und beruht auf einem Forschungsprojekt des FK Austria Wien und der Universität Wien. Im Rahmen der Wiener Vorlesungen werden die Ergebnisse am 26. November 2018 um 19.00 Uhr im Festsaal des Wiener Rathauses präsentiert.

Die bekannteste Ausnahme ist Ernst Kaltenbrunner: Der hochrangige SS-Funktionär und Chef der Sicherheitspolizei, später in Nürnberg als einer der Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt, wurde 1938 Ehrenpräsident der Wiener Austria. „Kaltenbrunner hat sich mit Ausnahme von Fechten für Sport eigentlich nicht interessiert“, sagt der Historiker. „Er war sich aber der populären Bedeutung des Fußballs bewusst.“ So habe Kaltenbrunner zwar nie an einer Vorstandssitzung teilgenommen, er sei aber beim Spiel der Austria gegen Schalke im November 1938 auf der Ehrentribüne gesessen und habe beim Begräbnis von Matthias Sindelar, dem Superstar der Austria, im Jänner 1939 einen Kranz gespendet.

Neben Kaltenbrunner gab es unter den Funktionären nur noch ein weiteres SS-Mitglied, ein weiterer Funktionär und ein Spieler (Johann Mock) waren bei der SA. „17 Austrianer, teilweise auch solche, die erst nach 1945 im Vorstand saßen, waren Mitglieder der NSDAP“, sagt der Historiker und Buchmitautor Matthias Marschik.

Immer noch „Austria“, immer noch technisch brillant

Den Verein „rassisch zu säubern“ war relativ einfach. Wie aber gingen die Nazis mit dem jüdischen Nimbus des Clubs um? „Gleich in den ersten Tagen nach dem ‚Anschluss’ schrieben die Medien, dass alle Spieler ‚Arier‘ waren, die man anders behandeln müsse als den Vorstand. Sie betonten, dass die Austria ein ganz normaler Wiener Fußballverein sei, der mehr oder minder zufällig einen jüdischen Vorstand hatte“, erklärt Hachleitner.

„Normalität“ wurde überhaupt zu einer Art Leitwährung im Umgang mit dem „Judenverein“. Dafür gibt es allerdings zwei Ausnahmen. Zum einen was den Namen betrifft, denn „Austria“ – der lateinische Name für Österreich – war im Deutschen Reich nicht gerne gesehen. Der Verein hätte deshalb in „SC Ostmark“ umbenannt werden sollen. Einen entsprechenden Beschluss des Vorstands gab es zwar, noch im Juli 1938 wurde der aber widerrufen. Die Begründung: „Den Fußballverein ‚Ostmark‘ kennt niemand, man wollte also offensichtlich die Marke Austria, die weit über Wien hinaus bekannt war, erhalten“, so Hachleitner.

Auch in einer zweiten Hinsicht blieb der Verein in der NS-Zeit nicht ganz „normal“, wie der Sporthistoriker Marschik ergänzt: „Das besondere Image der Austria als technisch brillanter Verein und als launische Diva wurde immer wieder bemüht. Auch in der NS-Zeit blieb also die Marke Austria als Inbegriff des Wienerischen Fußballs bedeutsam.“

Gastspiel der Austria (als "SC Ostmark") im Juni 1938 in Berlin: Die Wiener siegen 2:1 gegen Blau-Weiß-90-Berlin

ÖNB

Gastspiel der Austria (als „SC Ostmark“) im Juni 1938 in Berlin: Die Wiener siegen 2:1 gegen Blau-Weiß-90-Berlin

Arisierungen statt Profitum

Speziell in der Zeit des „Anschlusses“ wurde aber die Normalität des Vereins betont. Das hat damit zu tun, dass Fußball in Wien für die Nationalsozialisten generell ein heikles Terrain war. „Er war nicht die ideologisch bevorzugte Sportart und einer der wenigen Bereiche, wo sich die Wiener den Deutschen gegenüber als überlegen fühlten“, so Hachleitner. Man sei deshalb stark darauf bedacht gewesen, die Wiener Fußballfans nicht zu verärgern.

Das betraf auch die Frage des Profitums: Im Gegensatz zu Deutschland spielten auf Wiens Plätzen bis 1938 nämlich bezahlte Fußballer. Die Nazis schafften diesen – als „verjudet“ und „undeutsch“ geltenden – Profibetrieb zwar sofort ab, wollten die Kicker aber nicht vertreiben. „Sie wollten vermeiden, dass die Fußballer ins gut zahlende Ausland abwandern. Deshalb hat die Gemeinde Wien vielen Spielern der ersten Liga Arbeitsstellen verschafft. Bei den Stars waren das meistens Scheinbeschäftigungen, wo sie kaum gearbeitet haben“, erzählt Hachleitner.

In diesem Zusammenhang seien auch die Arisierungen zu sehen, die die Austria-Ikonen Matthias Sindelar („Der Papierene“) und Karl Sesta („Der Blade“) betrieben haben. Beiden wurden im Zuge ihrer Re-Amateurisierung arisierte Kaffeehäuser zugesprochen. „Es gibt Aktennotizen, in denen explizit aufgefordert wird, dass Parteigenossen und prominente Fußballer Kaffeehäuser erhalten sollen“, so Hachleitner. Sesta konnte das für ihn vorgesehene Cafe Lovrana allerdings nicht übernehmen, weil ihm dazu das Kapital fehlte.

Matthias Sindelar eröffnet das arisierte Kaffeehaus

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Matthias Sindelar (stehend) eröffnet im September 1938 das arisierte Kaffeehaus

Keine systematische Benachteiligung

Weder dabei noch bei der der Versorgung mit Jobs bei der Gemeinde wurden Austrianer benachteiligt. Die in manchen Austria-Kreisen bis heute herumschwirrende These einer systematischen Benachteiligung des „Judenklubs“ gegenüber Rapid wurde nach Ansicht der Historiker nun widerlegt. Das betreffe auch die Einberufungen zur Wehrmacht. „Zwar wurden etliche Austrianer schon mit Kriegsbeginn im September 1939 einberufen, und zwar früher als der Stamm der Rapid-Elf, doch erfolgten die Einberufungen stets jahrgangsgemäß. Es gab also weder Bevorzugungen noch Benachteiligungen“, so Marschik. „Dafür sprechen auch etliche Einberufungen von Austrianern ins deutsche Team. Das gilt für Johann Mock, Leopold Neumer, Franz Riegler, Karl Sesta und Josef Stroh.“

Personelle Kontinuität

Für die Nachkriegszeit finden die Historiker die verbreitete Erzählung einer nahtlosen Anknüpfung an die Zeit vor 1938 bemerkenswert. Tatsächlich kehrte als einziger Funktionär aus der Zeit vor dem „Anschluss“ der Ex-Präsident Emanuel Schwarz im Dezember 1945 nach Wien zurück und übernahm wieder das Präsidentenamt. „Diese Geschichte hat das Narrativ erzeugt, dass die Austria 1945 dort weitergemacht hat, wo sie 1938 aufgehört hat – unter dem Motto: ‚Es ist eh nix passiert‘. Was natürlich nicht stimmt“, sagt Hachleitner. „Denn alle anderen jüdischen Funktionäre sind in den Fluchtländern geblieben.“

1957 wurde Bruno Eckerl, der „Vereinsführer“ der NS-Jahre, in einer Kampfabstimmung gegen Emanuel Schwarz erneut zum Präsidenten gewählt, „wobei die Zeitung ‚Der Wiener Montag‘ eine stark antisemitische Kampagne gegen Schwarz führte“, wie Marschik erzählt. „Die Auseinandersetzungen um und mit dem Nationalsozialismus waren also keineswegs 1945 beendet.“

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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