„Die Hoffnung auf Palästina“

Insgesamt 4.000 jüdische Flüchtlinge haben zwischen 1946 und 1949 in einem Lager im steirischen Admont gelebt - unfreiwillig. Eigentlich sehnten sie sich nach einem Leben in Palästina. Ein neues Buch erzählt über Konflikte und wie man sich arrangierte.

Es war ungefähr 16.00 Uhr am 18. Mai 1946. Gut 50, vielleicht auch 60 Lagerbewohner aus Admont, das in der britischen Besatzungszone lag, traten den Türrahmen zum nahe gelegenen Schloss Röthelstein ein. Religiöse Gemälde und Kunstwerke wurden beschädigt und Gegenstände gestohlen.

Der Vorfall verschärfte die ohnehin bereits angespannte Lage in dem steirischen Dorf, das ab Sommer 1945 Hunderte Flüchtlinge in einem Lager für „Displaced Persons“ (DPs) beherbergte. Zunächst wohnten hier polnische und jugoslawische Zwangsarbeiter sowie „Volksdeutsche“, ab Mai 1946 wurde es zum Lager für jüdische Flüchtlinge aus Rumänien, Polen, Ungarn und vielen anderen Ländern.

Krankenhaus im Lager

Clio

Krankenhaus im Lager

„Mit der Befreiung durch die Alliierten und dem Kriegsende befanden sich etwa 30.000 Juden und Jüdinnen auf österreichischem Boden - umgeben von Menschen, die für ihre Situation letztlich auch mitverantwortlich waren“, erklärt der Historiker Heribert Macher-Kroisenbrunner von der Universität Graz. Einige kehrten in ihre ehemaligen Heimatländer zurück. Viele Jüdinnen und Juden wollten aber auch da nicht mehr hin. Sie wollten nach Palästina. Jedenfalls aber weg aus Österreich.

2.000 von ihnen landeten aber zunächst in Admont, das damit das größte und für mehrere Jahre auch das einzige jüdische „DP-Lager“ in der britischen Zone war. Zum Vergleich: Admont selbst hatte zu diesem Zeitpunkt 1.400 Einwohner.

Spannungen im Lager wie außerhalb

Die Spannung im wie um das Lager war in diesen Tagen groß, und viele rechneten geradezu mit Zwischenfällen wie jenen am 18. Mai, schildert der Historiker. „Dieses Ereignis, das gleich am Anfang des Kontakts zwischen den jüdischen DPs und der österreichischen Bevölkerung stand, hat nicht dazu beigetragen, die negativen Spannungen abzubauen - die beiderseits geherrscht haben.“

Buchhinweis

Heribert Macher-Kroisenbrunner: We hope to go to Palestine. Das jüdische DP-Lager Admont 1946–1949. Clio-Verlag, 200 Seiten, 22 Euro.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmet sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“ am 28.11. um 13.55 Uhr.

Das wird in einem Brief deutlich, den der Historiker in seinem Buch abdruckt: „Zum Abschluss noch eine Admonter Neuigkeit. Im Lager sind jetzt 1.800 Juden, eine Landplage, unvorstellbar. Sonntag abends sind zum Beispiel 150 ›Mann“‹ zum Schloss ROETHELSTEIN hinauf, haben den Paechter vollstaendig ausgepluendert, haben dann noch die alten Gemaelde von ALTOMONTE und STAMMEL (ungeheure Werte!) mit Messer zerschnitten und haben sich dann wieder siegreich nach Hause begeben. Kein Mensch, der dagegen etwas tun kann, 1400 Einwohner – 1.800 Juden!!! Man kann hier nirgends hingehen, kein Kino nicht ins Kaffeehaus, alles alles Juden, sie bedrohen die Leute auf das gemeinste, sie liegen den ganzen Tag in den Wiesen, eine Landplage.“

Antisemitismus und Schmuggel

Der Antisemitismus in der österreichischen Bevölkerung war nach dem Zweiten Weltkrieg alles andere als verschwunden. Immer wieder findet man in den Gendarmerieprotokollen Anzeigen und Vermerke zu antisemitischen Beschimpfungen und Übergriffen sowie Schlägereien mit den jüdischen Lagerbewohnern. „Auch in den Reihen der Gendarmerie kam es zu antisemitischen Äußerungen.“ In diesen Protokollen befinden sich aber auch Anzeigen, dass etwa Zwiebel, Kraut und anderes Gemüse aus den Gärten der Bewohner von Admont gestohlen und Waren geschmuggelt wurden. „Das entspannte die Situation nicht. Das wird auch in den Aufzeichnungen der Briten deutlich, die Telefongespräche abgehört, Briefe gelesen und ihre Inhalte dokumentiert haben.“

Musik im Lager

Clio

Musik im Lager

Mit der Zeit kam aber Struktur in das Lager, vor allem nachdem die internationale Hilfsorganisationen UNRRA die Leitung übernahm und die Strukturen so einrichtete, dass sich das Lager schließlich so gut wie möglich selbst verwalten konnte. „Die meisten waren dann in dem Lager beschäftigt“, so Macher-Kroisenbrunner. Es gab eine eigene Schule, in der auch Englisch und Hebräisch unterrichtet wurde, einen Schlosser, eine Schneiderei, eigene medizinische Versorgung, ein Gericht sowie Polizei und sogar eine eigene Lagerzeitschrift, es wurde Land- und Forstwirtschaft betrieben und der jüdische Glauben praktiziert. Abends zeigte man Filme, tanzte oder versammelte sich, beschreibt der Historiker das Leben in dem Barackenlager, das ursprünglich 1938 für das Gebirgsjägerregiment auf einem ehemaligen Getreidefeld des unter NS-Treuhand stehenden Stifts Admont errichtet wurde. „Man näherte sich auch zunehmend untereinander an. Nach 1947 halfen manche Österreicher und Österreicherinnen beispielsweise beim Bildungsprogramm und unterstützten so die Lagergemeinschaft. Auch entwickelten sich zwischen manchen eine Freundschaft.“

Warum sie nicht nach Palästina durften

Dennoch glich das Lager mehr einem Gefängnis. „Wenn man sich mehr als zehn Kilometer entfernen wollte, musst man darum ansuchen.“ Der Grund: Die britische Besatzung wollte vermeiden, dass die jüdischen Lagerbewohner nach Palästina emigrieren. Großbritannien war zu dieser Zeit nicht nur Besatzungsmacht in Österreich, sondern auch Mandatsmacht in Palästina.

Landwirtschaft im Lager

United States Holocaust Memorial Museum, Washington D.C.

Landwirtschaft im Lager

„Man versuchte, die Einwanderung in Palästina zu verhindern, um das jüdisch-arabische Gleichgewicht in der Region nicht weiter zu belasten.“ Dennoch flohen viele der jüdischen Lagerbewohner in die nahe US-amerikanische Besatzungszone und von dort nach Italien und mit dem Schiff nach Palästina. Bereits in den ersten 14 Monaten seien es 1.400 Jüdinnen und Juden gewesen, so Macher-Kroisenbrunner. „Gleichzeitig kamen aber wieder Jüdinnen und Juden aus Polen in das Lager. Sie flohen vor dem Pogrom im Juli 1946, bei dem mehr als 40 Jüdinnen und Juden ermordet wurden.“ Über die gesamte Lagerzeit hinweg lebten rund 4.000 Menschen in den Baracken.

Mit der Gründung des Staates Israel im Mai 1948 standen dann aber auch die Briten der Auswanderung der jüdischen Flüchtlinge nicht mehr im Wege. „Durch die Vermittlung von Kurt Lewin, dem ersten offiziellen israelischen Konsul in Österreich, konnten schließlich alle jüdischen DPs in Admont, welche noch immer an einer Auswanderung nach Israel festhielten, in die amerikanische Zone ausreisen, um in ihr Wunschland zu gelangen.“ Am 12. Mai 1949 übernahmen schließlich österreichische Behörden offiziell das Lager in Admont - im Juni lösten sie es endgültig auf.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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