Traumata-Erklärung „dunkle Magie“

Asylsuchende erleben bei ihrer Reise oft schreckliche Szenen. Eine Frau aus Eritrea etwa sah, wie Leuten bei vollem Bewusstsein Organe geraubt wurden. Psychische Traumata, die dabei entstehen, erklären sich manche der Geflüchteten mit dunkler Magie.

Das berichtet ein Team um Ricarda Nater-Mewes von der Psychologischen Forschungs-, Lehr- und Praxisambulanz der Universität Wien und Freyja Grupp von der Universität Marburg (Deutschland) in einer neuen Studie.

Die Forscherinnen befragten 119 Asylsuchende aus Afrika südlich der Sahara und 120 Menschen ohne Migrationshintergrund, die derzeit allesamt in Deutschland leben, nach den möglichen Gründen für Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS).

Gottes Wille und böse Geister

Geflüchtete sind eine Hochrisikogruppe für diese Erkrankung, da sie in Kriegs- und Krisengebieten oft stark traumatisiert wurden, bevor sie in Europa Zuflucht suchten, so die Forscher in einer Aussendung der Uni Wien. PTBS ist eine psychische Folgereaktion auf schwere Unfälle und Gewalttaten, die das eigene Leben bedrohten oder wo die Betroffenen mitansehen mussten, wie andere Menschen solchen zum Opfer fielen. Mögliche Symptome sind Albträume, emotionale Abgestumpftheit, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsschwäche und übermäßige Schreckhaftigkeit.

Zwei Drittel der Geflüchteten gaben medizinisch-psychologische Faktoren wie eine schlimme Erfahrung und Stress als mögliche Ursache an, berichtete Nater-Mewes. Von der Hälfte der Befragten wurde aber auch genannt, dass dies vielleicht „Gottes Wille“ sei, ein knappes Drittel hielt böse Geister für potenziell beteiligt, und ein Viertel Verfluchungen (Mehrfachnennungen waren möglich).

Kulturelle Unterschiede

In Eritrea, Somalia und dem Kamerun, wo der Großteil der befragten Geflüchteten herstammt, würden solche Schlussfolgerungen als normal betrachtet und seien gesellschaftlich wie kulturell akzeptiert, so die Forscher. Da dies den Therapeuten und Medizinerinnen in Europa in der Regel nicht bewusst ist, würden sie Gefahr laufen, den Betroffenen fälschlicherweise Halluzinationen und Wahnvorstellungen zu attestieren, und sie als psychotisch abzustempeln. Dies würde zu Stigmatisierungen, Fehldiagnosen und Falschbehandlungen führen.

Auf der anderen Seite dürfe man die kulturellen Unterschiede nicht überbewerten, betonten sie in dem Fachartikel. Dass Posttraumatische Belastungsstörungen von stark traumatisierenden Erlebnissen auf der Flucht und ihrer schwierigen Situation im Aufnahmeland, wie sozialer Isolation, Arbeitslosigkeit, finanziellen Problemen und der Sorge um zurückgebliebene Familienmitglieder herrührt, sei diesen Menschen völlig klar. Sie haben nur teilweise zusätzliche Erklärungen parat.

Diese hatten Personen ohne Migrationshintergrund nicht, oder sie behalten sie zumindest für sich. Keine von ihnen erwähnte Schuldige aus der Geisterwelt oder Fluche als mögliche PTBS-Verursacher, und nur drei von ihnen (2,5 Prozent) vermuteten einen Gott als solchen.

science.ORF.at/APA

Mehr zu dem Thema: