Lockeres Copyright, mehr Innovation

Wie wirken sich Copyright-Regeln in der Wissenschaft aus? Das „Book Republication Program“, mit dem deutsche Bücher in den USA während des Zweiten Weltkriegs breit verfügbar wurden, zeigt: Ein lockeres Copyright führt zu mehr Innovation.

Es ist der 18. Dezember 1941. Vor elf Tagen haben japanische Kampfflugzeuge den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor angegriffen, und die Vereinigten Staaten von Amerika sind in den Zweiten Weltkrieg eingetreten. Als nunmehriger Kriegsteilnehmer fassen die USA an diesem 18. Dezember 1941 den folgenschweren Beschluss, sämtlichen Besitz des Feindes zu US-Eigentum zu machen - inklusive aller Copyrights. „Das war eine strategische Entscheidung, um die Kriegsführung zu erleichtern“, schildert die Wirtschaftshistorikerin Petra Moser von der New York University. Anfang Jänner 1942 folgt der nächste Schlag gegen das geistige Eigentum des Feindes: Unter dem sogenannten „Book Republication Program“ (BRP) bekommen US-Verlage gegen ein geringes Entgelt Lizenzen, um wissenschaftliche Bücher in deutscher Sprache zu vervielfältigen.

Deutlich mehr Zitate

Petra Moser untersucht gemeinsam mit ihrem Team an der New York University, was diese De-Facto-Aufhebung des Copyrights für Verbreitung und Nutzung der Bücher bedeutet - und für die Wissenschaft generell. In den Fächern Mathematik und Chemie sind deutsche wissenschaftliche Publikationen damals besonders wichtig. Moser analysiert, wie oft Bücher unter dem „Book Republication Program“ während des Krieges und danach zitiert werden - als Kontrollgruppe dienen ihr Schweizer Bücher, sie bleiben im Zweiten Weltkrieg Copyright-geschützt: „Die Analyse zeigt: Auch in den konservativsten Berechnungen sind die Zitate der frei verfügbaren Bücher um 60 Prozent gestiegen.“

Die Zahl der Zitate aus "Methoden der Mathematischen Physik" von Richard Courant und David Hilbert ist nach 1941 steil nach oben gegangen.

Petra Moser, New York University

„Methoden der Mathematischen Physik“ von Richard Courant und David Hilbert ist eines der bekanntesten deutschsprachigen Bücher, deren Copyright unter dem BRP nahezu aufgehoben wurden. Die Zahl der Zitate aus dem Buch ist nach 1941 steil nach oben gegangen.

Wurde also ein deutsches Buch vor 1942 beispielsweise hundert Mal pro Jahr zitiert, findet man nach 1942, nach Aufhebung des Copyrights, 160 Zitate. Und das sind nicht die Flüchtlinge und Auswanderer aus Nazi-Deutschland und Österreich, sie hat Petra Moser aus ihrer Studie herausgerechnet.

Sinkender Preis gut für Verbreitung

Nachdem die US-amerikanischen Verlage nur ein geringes Entgelt für die Vervielfältigung deutschsprachiger Literatur zahlen müssen, sinken die Preise auch für die Abnehmer - was wiederum die Verbreitung beflügelt: „Sinkt der Preis um zehn Prozent, resultiert das in 45 Prozent mehr Artikel und Bücher, die auf dem Original aufbauen. Das ist aus meiner Sicht wirklich wichtig, denn es zeigt: Eine Preisreduktion ermöglicht es mehr Menschen, dieses Wissen zu nutzen“, so Petra Moser.

Der Preis des "Handbuchs der biologischen Arbeitsmethoden" fällt durch das BRP von 128 auf 84,50 US-Dollar.

Petra Moser, New York University

Der Preis des „Handbuchs der biologischen Arbeitsmethoden“ fällt durch das BRP von 128 auf 84,50 US-Dollar.

Ein Katalysator für diese Entwicklung sind während und nach dem Zweiten Weltkrieg die Unibibliotheken - auch ihren Bestand wertet Petra Moser aus, und zwar für das Jahr 1956. Dabei zeigt sich: Die Bücher unter dem „Book Republication Program“ verteilen sich gleichmäßig über das ganze Land, arme und wohlhabende Unis halten sich einigermaßen die Waage. Die teuren, weil nach wie vor mit Copyright belegten Schweizer Bücher finden sich hingegen nur an der Universität Yale, der Research Library of Chicago und einigen wenigen anderen Unis im wohlhabenden Nordosten der USA.

Die Verteilung der BRP-Bücher und sie zitierender Forscher am Beispiel der Disziplin Mathematik: Sie finden sich auch im "ärmeren" Westen.

Petra Moser, New York University

Die Verteilung der BRP-Bücher und sie zitierender Forscher am Beispiel der Disziplin Mathematik: Sie finden sich auch im „ärmeren“ Westen.

Aber nicht nur die Zitate werden mehr, auch die Studienabschlüsse steigen. Und es gibt mehr Patente, in die deutsches Wissen eingeflossen ist: „Wegen der niedrigen Preise können mehr Bibliotheken ein Buch kaufen, mehr Forscher haben Zugang - das bedeutet mehr Zitate, mehr Doktorate und mehr Erfindungen.“

Ö1 Sendungshinweis:

Über das Thema berichtete auch „Matrix“.

In der Mathematik zeigt sich dieser Effekt stärker als in der Chemie, weil man für Mathematik nicht viel mehr braucht als Papier, einen Stift und Zugang zu erstklassiger Literatur. In Chemie hingegen braucht es ein Labor mit guter Ausrüstung, das können ressourcenarme Universitäten oft nicht bieten. Dass die zur Vervielfältigung freigegebenen Bücher nicht übersetzt, sondern auf Deutsch in großer Auflage verlegt wurden, war übrigens keine Hürde für die Verbreitung: Bis in die 1960er Jahre musste jeder Student, jede Studentin in den USA Deutsch lernen, wenn er oder sie Mathematik oder Chemie studieren wollte - eben weil sie ansonsten die grundlegende Literatur nicht hätten lesen können. Erst in den 1960er Jahren wurden die Bücher ins Englische übersetzt. Das „Book Republication Program“ ist deshalb ein einzigartiges historisches Real-Time-Experiment, es liefert echte Daten zum Zusammenhang zwischen Copyright-Regeln und wissenschaftlicher Produktivität.

Den Sinn von Copyright stellt die Wirtschaftshistorikerin Petra Moser aber nicht grundsätzlich in Frage, nur die Zeitspanne aktueller Regelungen: „Sie brauchen irgendeinen Schutz, aber keine hundert Jahre. Das Leben des Autors würde vollkommen reichen.“

Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft

Mehr zum Thema: