Hier spricht das Gehirn

Forscher der Columbia University haben die Erregungswellen des menschlichen Gehirns entschlüsselt - und erstmals direkt in Sprache übersetzt: Die Gedankenlesemaschine könnte schwer erkrankten Patienten ihre Stimme zurückgeben.

Vor sieben Jahren sorgte der deutsche Autor und Musiker Felix Kubin mit einem techno-mythologischen Hörspiel für einige Aufmerksamkeit in der Radiokunstszene. Hauptfigur in seinem Stück „Orphée Mécanique“ ist ein moderner Orpheus - im Gegensatz zur klassischen Vorlage bezieht dieser Orpheus seine Magie allerdings von einem außergewöhnlichen Gerät, von einem „Psykotron“, das Erinnerungen und Gedanken aus dem Kopf in Schallwellen zu übersetzen vermag.

Als Kubin seine Vision veröffentlichte, war das alles noch Science Fiction. Doch nun macht sich die Realität daran, die Fiktion einzuholen. US-Forscher haben so ein Gerät tatsächlich gebaut.

Aus Strömen werden Wörter

Das „Psykotron“ made in USA besteht im Prinzip aus zwei Teilen, einem EEG-Auslesegerät und einem Interpretationsmodul. Schritt eins realisierten die Forschern an Epilepsiepatienten, die sich im Krankenhaus einer Hirnoperation unterzogen: „Wir baten die Patienten, sich Sätze von anderen Menschen anzuhören und nahmen währenddessen ihre Hirnströme auf“, erzählt Studienleiter Nima Mesgarani von der Columbia University in New York.

Grafik: Vermessung der Hirnströme im Hörzentrum

CSL/KIT

Vermessung der Hirnströme im Hörzentrum

Um die so gewonnenen Daten in Sprache zu übersetzen, kombinierten Mesgarani und sein Team einen Vocoder - ähnlich wie er auch bei Apples Siri oder Amazons Alexa zu Einsatz kommt - mit einem lernfähigen Computerprogramm. Der Vocoder lernte mit Unterstützung des künstlichen neuronalen Netzes die elektrischen Erregungen im Gehirn zu interpretieren. Das nun im Fachblatt „Scientific Reports“ vorgestellte Ergebnis ist bisher eher rudimentär, derzeit kann das „Psykotron“ der Columbia University die Zahlen eins bis neun (bzw. die entsprechenden Hirnströme) in Wörter umwandeln.

Und natürlich ist auch der Klang, siehe Hörbeispiel, noch nicht perfekt: Testpersonen verstanden die Computerstimme zu etwa 75 Prozent - immerhin besser als alle vorherigen Versuche auf diesem Forschungsgebiet, sagt Mesgarani.

Hoffnung für gelähmte Patienten

Nun wollen die Forscher das Repertoire der Gedankenlesemaschine schrittweise steigern und den Auslesevorgang vereinfachen. Denkbar wäre etwa, die Hirnströme künftig mit einem Implantat anzuzapfen.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 29.1., 12:00 Uhr.

Sollte das gelingen, wären auch klinische Anwendungen in Form von Neuroprothesen denkbar. Bedarf gäbe es: Denn Schlaganfallpatienten können sich häufig nicht verständlich mitteilen, bei ALS-Patienten - jene Krankheit, an der etwa Stephen Hawking litt - ist es noch schlimmer, sie können sich aufgrund fortschreitender Muskellähmungen oftmals nicht einmal bewegen.

Mesgarani schweben zunächst einfache und vor allem praktische Anwendungen vor: „Wenn die Maschine den Gedanken ‚Ich hätte gerne ein Glas Wasser‘ in Sprache übersetzen könnte, wäre das für die Betroffenen schon ein Durchbruch. Dann wären sie wieder mit ihrer Umwelt verbunden.“

Robert Czepel, science.ORF.at

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