Seltsamer Platztausch im Atomkern
Wir schreiben das Jahr 1947. Die beiden Briten George Rochester und Clifford Butler entdecken in der Höhenstrahlung ein Teilchen, das es gar nicht geben dürfte. Das Teilchen, Kaon genannt, vereint nämlich Materie und Antimaterie - und bleibt dennoch für eine gewisse Zeit, etwa zehn Nanosekunden, stabil.
Verzögerte Vernichtung
Normalerweise vernichten Materie und Antimaterie einander, zerstrahlen zu Energie und erzeugen eventuell neue Teilchen. Dass dieser Vorgang im Fall des Kaons länger dauert als erwartet, empfinden Rochester und Butler als sonderbar, „strange“ - und dieser Umstand hat sich auch im Sprachgebrauch der theoretischen Physiker verfestigt: Die Stabilität der Kaonen hat mit einer Eigenschaft von Elementarteilchen zu tun, die 1947 noch unbekannt war. Sie heißt heute „Strangeness“.
J-PARC
Gut 70 Jahre später macht sich ein internationales Forscherteam, darunter Johann Zmeskal von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, auf die Spuren der beiden Pioniere Rochester und Butler. Die Kaonen sind mittlerweile fixer Bestandteil des Teilchenzoos, auf der Ebene der Atome gibt es allerdings noch unerforschte Materiekonfigurationen. Eine solche haben Zmeskal und seine Kollegen nun am J-PARC-Teilchenbeschleuniger in der Nähe von Tokio hergestellt.
Kaonenschuss auf den Atomkern
Die Situation erinnert ein wenig an den Anstoß beim Billard: Die weiße Kugel ist, um im Bild zu bleiben, ein negativ geladenes Anti-Kaon. Und die bunten Kugeln sind vertreten durch Protonen und Neutronen im Atomkern des Helium-3-Isotops: „Wenn wir das Anti-Kaon auf den Heliumkern schießen, gelingt in sehr seltenen Fällen ein direkter Treffer am Neutron. Dadurch wird das Neutron aus dem Atomkern geschleudert“, erklärt Zmeskal gegenüber science.ORF.at.
Wie die Forscher im Fachblatt „Physics Letters B“ berichten, nimmt das Anti-Kaon dann kurzfristig den Platz des Neutrons ein. Lange hält diese extravagante Verbindung nicht, aufgrund der Zerfallsprodukte lässt sich jedenfalls nachweisen, dass das Helium tatsächlich über einen „anti-kaonisierten“ Kern verfügt beziehungweise verfügt hat.
ÖAW/Harald Ritsch
Das ist nicht nur L’art pour l’art im Beschleuniger, denn mit dieser Methode könnte man in Zukunft „extrem dichte Kernmaterie bei normalen Temperaturen herstellen“, sagt Zmeskal. Was vor allem für die Erforschung von Neutronensternen interessant wäre: Die bestehen nämlich ebenfalls aus extrem dicht gepackter Materie. Kaonen entstehen dort übrigens auch, sie sind gewissermaßen das Dichtemittel im Inneren des Sterns.
Robert Czepel, science.ORF.at