China: Risiko oder Chance für Europa?

Ist es riskant, wenn europäische Länder bei Hi-Tech-Forschung mit China kooperieren? In Schweden wird das anlässlich einer Satellitenanlage gerade heftig diskutiert – speziell in der Weltraumforschung liegen Chancen und Risiken nahe beieinander.

Im hohen Norden Schwedens, wo wenig die Signale stören kann, kommunizieren Bodenstationen mit sonst oft schwer erreichbaren Satelliten. Diese besonderen Erd- und Wetterbeobachtungsdaten teilen die Betreiber von der Anlage Esrange in Lappland auch mit wissenschaftlichen Einrichtungen Chinas wie deren Akademie der Wissenschaften und Raumfahrtbehörde. Außerdem betreibt China mittlerweile sogar selbst eine Bodenstation dort, die erste außerhalb des eigenen Territoriums, wie die chinesische Zeitung “South China Morning Post“ stolz berichtet hat .

Sorgen bereitete das John Rydquist vom Schwedischen Institut für Verteidigungsforschung (FOI ): Er sagt, China könne durch den Zugriff auf diese Daten strategische Informationen über militärische Stützpunkte und Infrastruktur im großen Stil sammeln oder zumindest ableiten. Und es sei nicht abwegig zu glauben, dass China genau das macht. Denn wie Rydquist erklärt, unterscheidet sich die Chinesische Weltraumbehörde (CNSA), die das Gegenstück zu NASA oder ESA darstellen soll, zumindest in einem sehr wesentlichen Punkt: Anders als die zivilen Raumfahrtbehörden unterstehen große Teile der chinesischen Weltraumforschung in letzter Instanz einer militärischen Einrichtung.

Antenne auf der Esrange-Anlage in Nordschweden

ESA

Antenne auf der Esrange-Anlage in Nordschweden

Militär im Weltraum

Rydquist ist mit dieser Einschätzung nicht alleine. Marco Aliberti, Asienexperte am Europäischen Institut für Weltraumpolitik (ESPI) in Wien gesteht zu, dass der Aufbau und die Finanzierung von Projekten im chinesischen Weltraumprogramm sehr undurchsichtig sind – und am Ende sowieso alles von der Kommunistischen Partei kontrolliert werde. Also könne man im Zweifel wohl davon ausgehen, dass eine staatliche chinesische Einrichtung, die vorhandene Daten nutzen möchte, das auch kann.

Nachdem John Rydquist im schwedischen Fernsehen die Bedenken rund um die chinesische Beteiligung an Esrange medial aufgebracht hatte, reagierte die chinesische Botschaft in Schweden in einer Stellungnahme deutlich empört: Man spricht von verantwortungslosen und böswilligen Spekulationen - China hoffe auf beidseitig gewinnbringende Zusammenarbeit.

Rydquist richtet sich aber genau genommen ohnehin nicht an China, sondern an Schweden und Europa, das die eigenen Ziele abwägen und schützen solle. Denn natürlich verfolge jedes Land eigene Interessen, egal ob China, der Iran, Russland oder die USA.

„Nationale Sicherheit“ als Risikofaktor

China natürlich sei ein besonderer Fall, sagt Rydquist: Es hat viel Geld zur Verfügung, ist weltpolitisch wichtig und bisher als sehr zielstrebig aufgefallen, wenn es darum geht, Informationen über neue Technologien zu bekommen, auch militärische. China ist außerdem politisch anders aufgebaut, gibt Rydquist zu bedenken, hat eine andere Rechtskultur und mitunter andere langfristige Ziele als zum Beispiel die EU. Man müsse sich selbst kleinlich wirkender Details des chinesischen Rechtssystems (z.B. Artikel 11 & 16) bewusst sein, mahnt Rydquist, das zulässt, auf jeden chinesischen Staatsbürger Druck mit legalen Mitteln auszuüben, wenn es um Wissen geht, das der nationalen Sicherheit dienen könnte – auch auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Auch die Sinologin Agnes Shick-Chen von der Universität Wien bezeichnet die Auslegung der nationalen Sicherheit in China auf Anfrage als „eine generell breite“, und sieht auch Wissenschaftler in die strategische Ausrichtung miteingebunden.

Dementsprechend oft könnten Interessen aneinander vorbeigehen, erklärt Rydquist, egal wie sehr sich europäische Firmen wünschen, die Geldmittel Chinas lukrieren zu können. Die Conclusio sei aber nicht, China oder gar chinesische Wissenschaftler von Kooperationen auszuschließen. Der schwedische Verteidigungsstratege wünscht sich allerdings dringlich, dass europäische Staaten mehr Fokus darauf legen, die eigenen strategischen Interessen zu schützen - gerade mit einem Blick auf sich schnell weiterentwickelnde Technologien.

ESA-Astronaut Matthias Maurer mit chinesischen Kollegen

ESA–Stephane Corvaja, 2017

ESA-Astronaut Matthias Maurer mit chinesischen Kollegen

Vorderste Front Weltraum

Vor allem bei Technologieentwicklung und bei Weltraumaktivitäten nämlich - etwa Satellitenkommunikation oder Weltraumerkundung - ist der Grat zwischen strategischem Risiko und potenziellem Nutzen schmal. Viele Weltraumerkundungsprojekte sind teuer, komplex und arbeiten mit Technologien und Daten, die mitunter nicht jeder hat. Noch gilt dabei aber die völkerverbindende Weisheit, dass kein Land alleine große Projekte im All stemmen kann und Kooperation dazugehört.

Aber: China hat in den letzten Jahren massiv in die eigene Weltraumforschung investiert. Dazu gehören rein wissenschaftliche Programme und Sonden genauso wie medial begleitete Meilenstein-Missionen wie die Reise zur dunklen Seite des Mondes oder das Tiangong-Weltraumlabor. Und bei der geplanten Marsmission wird die Welt wohl auch dabei sein. Während China seine großen Pläne finanzieren und verwirklichen will und kann, haben Indien und Japan ihre Mondpläne als weniger prioritär zurückgeschraubt. Vor einigen Jahren noch hatte man gerne von einem intra-asiatischen „Space Race“ gesprochen hat, als all diese Länder Mondsonden losgeschickt hatten.

Gerade für Europa ist die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit den Möglichkeiten, die China bietet, daher von großem Interesse. Denn europäische Firmen und die Weltraumbehörde ESA sind im Weltraum eher hoch spezialisierte Technologie-Zulieferer oder Mitorganisatoren. Man will gerne sowohl mit den USA als auch mit China zusammenarbeiten, oft die einzige Möglichkeit, um an einzigartigen Großprojekten teilzuhaben.

USA vs. China: Neues Space Race

Aber genau dabei sitzt man zwischen den zwei Akteuren des eigentlichen heutigen „Space Race“. Die USA fahren seit 2011 aus Sicherheitsbedenken und Sorgen um ungewollte Technologietransfers einen vom Kongress verordneten Abschottungskurs, der jegliche Zusammenarbeit der NASA mit chinesischen Einrichtungen ohne Bewilligung des Kongresses untersagt (bekannt ist diese Einschränkung als Wolf Amendment). Die US-Vormachtstellung im Weltraum steht bisher noch außer Frage, aber man will wohl alles tun, dass es auch so bleibt.

„Falls der eigentliche Zweck war, damit Chinas Weltraumprogramm zu blockieren, war diese Richtlinie kein Erfolg“, zweifelt Marco Aliberti die Sinnhaftigkeit dieser Herangehensweise an. Die Ausschlusspolitik führe auch bestimmt nicht dazu, mehr über Chinas Weltraumpläne in Erfahrung zu bringen, dabei wäre die Zusammenarbeit, die China sucht, sicher hilfreicher. Und China lässt sich so oder so nicht von den eigenen Zielen abbringen, sagt Aliberti in sehr bestimmten Tonfall, egal was Europa oder die USA tun.

So hat die chinesische Raumfahrtbehörde heute vor allem deswegen das eigene Weltraumlabor Tiangong („Himmlischer Palast“), weil die USA China keinen Zugang zur Internationalen Raumstation ISS ermöglichen wollten, anders übrigens als die Europäische Raumfahrtbehörde. Auch der ehemaliger Weltraumerzfeind Russland konnte erst nach langen Vermittlungen der ESA am ISS-Programm teilnehmen, das zum größten Teil von den USA finanziert wird. Diese Finanzierung läuft wohl 2024 aus, das Ende der ISS steht damit mehr oder weniger fest - und dann könnte China vielleicht die einzige aktive, bemannte Raumstation betreiben.

Der chinesische Rover Yutu-2, der mit der Sonde Chang’e 4 am 3. Jänner auf der dunklen Seite des Mondes gelandet ist

APA/AFP/CNSA

Der chinesische Rover Yutu-2, der mit der Sonde Chang’e 4 am 3. Jänner auf der dunklen Seite des Mondes gelandet ist

Unzweifelhafter Nutzen

Private Firmen, wissenschaftliche Institute und die Weltraumbehörde Europa können also von China durchaus profitieren, man sitzt aber zwischen zwei unterschiedlich mächtigen Partnern. Asienbeobachter Marco Aliberti hält Europa dabei nicht für naiv, was Chinas vielschichtige Interessen angeht. Zumindest im Weltraumsektor nehme man das Risiko wohlüberlegt hin, dass geteilte Daten und Technologien in China für unterschiedlichste Zwecke genutzt werden, um selbst zu profitieren. Aliberti betont aber, dass militärische Ziele weder für Europa, noch die USA oder China die einzige Triebfeder in der Weltraumforschung sind: Die wissenschaftlichen, politischen und auch wirtschaftlichen Interessen seien mindestens genauso stark ausgeprägt und werden gegeneinander abgewogen.

Trotzdem sieht auch er berechtigte Fragezeichen hinter den eigentlichen Absichten Chinas – denn obwohl die chinesische Weltraumbehörde mittlerweile jährliche Berichte über eigene Aktivitäten vorlegt, ist das eben nicht zu vergleichen mit vom US-Kongress überwachten und abrufbaren NASA-Budgets oder den transparenteren und von allen Mitgliedsstaaten kontrollierten ESA-Plänen. „China hat verstanden, dass die Intransparenz zu Misstrauen führt, aber China hat eine andere strategische Kultur. Man spricht gerne über Absichten und Pläne, aber zeigt nicht gerne her, was man hat. Während zum Beispiel die USA meist lieber die Fähigkeiten vorzeigen und weniger sprechen“, sagt Aliberti.

Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

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